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Nachschlag: Contextual Commerce (5) - Vorreiter B2B?

verfasst von Martin Gross-Albenhausen

Douglas Adams lässt grüßen: Dies ist "der fünfte Teil einer vierteiligen Serie" über das Verkaufen aus dem Kontext des Kunden heraus.

Teil 1 ("Jenseits der transaktionalen Suche") setzte den Rahmen, Teil 2 ("Persuation Architecture") erörterte die Bedeutung für die Werbung, Teil 3 ("Produkte und Sortimente entwickeln") zeigte kontextorientierte Sortiments- und Produktentwicklung. Teil 4 ("mit Apps und Services differenzieren") schließlich widmete sich dem Service-Design.

 

Im Geschäft mit Firmenkunden als Endkunden, dem eigentlichen B2B (ohne Großhandel oder Halbzeuge), scheint der Kontext der Beschaffungssituation vorgegeben. Macht es bei einem Einkäufer, der auf den ersten Blick vor allem auf die Optimierung von Preis und Lieferkette fixiert scheint, überhaupt Sinn, kontextgebunden zu verkaufen?

Für unseren Preferred Business Partner dotSource habe ich die Logik des Contextual Commerce auf das B2B-Geschäft angewendet. (Mein Vortrag im Rahmen des B2B-Frühstücks in Stuttgart fand im Mai statt, das nächste B2B-Frühstück gibt es im September in Düsseldorf.)

Die Matrix (s.o.) ändert sich vom B2C- zum B2B-Kunden nicht. Noch immer geht es um das Verständnis der Kundensituation im Hinblick auf die Größe und Investitionsneigung, die Wünsche der Einkaufenden (nicht unbedingt der Einkäufer, denn im B2B muss man zwischen Bedarfer, Entscheider und Beschaffer unterscheiden), und schließlich die Nutzungssituation. Natürlich ist der Entscheidungsprozess bei C-Teilen anders als bei Rohstoffen, Halbzeugen oder Komponenten. Gerade das aber kann für das Verständnis der Kaufmotivationen der Kunden sehr wichtig werden. 

Deutlich wird die Breite der Möglichkeiten auch im B2B, wenn man die – manchmal „feinen“ – Unterschiede zwischen Spezialanbietern im Firmenkunden-Geschäft online und offline betrachtet:


 

Jäger Direkt und Engelbert Strauss habe ich schon in meinen Beiträgen über Produktentwicklung und Service-Design angeführt. Im B2B-Kontext ist erwähnenswert, dass Jäger Direkt hier nicht einzig durch seine Lieferservices punktet, sondern nicht weniger als 101 Gründe auflistet, die für die Bestellung sprechen – und damit fast jedes der 3x3 Felder tangiert. Die weiteren Firmen sind wiederum in die Felder eingeordnet, wo sie exemplarisch den Kontext des Kunden berücksichtigen. 

 

  • CDW hatte ich schon einmal in einem B2B-Beitrag beleuchtet – damals im Hinblick auf die Offenlegung der Einkaufskonditionen institutioneller Kunden. Auffällig ist aber auch, dass die Kunden vom Start weg ihren speziellen Status als Startup, KMU, Kanzlei oder Behörde auswählen können und dann Bundles und Kategorien sowie Produktempfehlungen angepasst werden. Warum fragen eigentlich bei uns so wenige Händler nach dem Kontext der Unternehmen?
  • Mcmaster ist ebenfalls hier im Blog schon erwähnt worden. Der Schraubenverkäufer hat nicht nur eine vor allem in der After Search-Navigation hervorragende Shopgestaltung, sondern bietet einen für kleine Unternehmen sehr guten Service: Die Firmen können nach Verbrauch kaufen, d.h. Überschuss Stück für Stück zurückgeben. Dieser Service wird nicht offensiv verkauft, sondern ist ein wiederkehrendes Thema vor allem in Social Media.
  • Der Verpackungsanbieter Ratioform ist mir wegen seiner direkten Ansprache der Motivationen von B2B-Einkäufern und B2B-Entscheidern sowie den eigentlichen „Bedarfern“ aufgefallen.
  • Mercateo hat es geschafft, im Warenkorb eben nicht nur den günstigsten Preis abzubilden, sondern dem Kunden die Wahl nach Preiskombination oder Lieferzeit zu lassen. Faktisch vertrauen die Kunden heute meist dem Vorschlag von Mercateo, die für ihn die Auswahl des Lieferantenmixes aus verschiedenen typischen B2B-relevanten Kriterien übernehmen.
  • Festo hat als Hersteller eine Menge Services in seinem Shop integriert, die dem Kunden die mittelbaren Transaktionskosten mindern. Dabei geht es nicht um das einzelne Produkt, sondern um den Zusammenstellung der Stücklisten oder die Kalkulation. Außerdem können die Nutzer die Komponenten in Dutzenden nativen Formaten in CAD-Systeme übernehmen.
  • Grainger, der größte amerikanische B2B-Ausstatter und Bollwerk gegen den Start von AmazonSupply, führt über das eigene Sortiment hinaus Millionen weitere Artikel von Dritten in seinem „Find MRO“-Programm. Auf diese Weise ist Grainger schon heute eine One-Stop-Shopping-Lösung, die Amazon erst werden möchte.
  • Würth als Direktvertrieb mit Außendienst verwirklicht heute schon den kontextuellen Verkauf durch eine Vielzahl von Apps, die dem Kunden konkrete „Werkzeug-Funktionalitäten“ bieten. Nach meiner Einschätzung ist es der permanente Kontakt mit den Nutzern „da draußen“, die es Würth besser als jedem anderen ermöglichen, wirklich nützliche und – zumindest derzeit – unique E-Commerce-Umfelder zu schaffen.


In wenigen Tagen wird in Deutschland Zoro Tools an den Markt gehen. Dieser Ableger des amerikanischen „Würth“, Grainger, spricht gezielt die kleineren Kunden an – ganz explizit: 

 

Zoro has a simple mission—
We help small business stay competitive! We do this by offering more than 400,000 great products at super low prices. Small businesses have historically been at a disadvantage to larger companies who can buy stuff at lower prices because of their size. We want to change that! Zoro has most of the products that the “big guys” have and we offer every single one of them at an everyday low price. There are no complex discount structures to understand. Every customer pays the same low price for an item—whether you want to buy one or one thousand!

Im Geschäftsbericht für 2013 hatte der Aufsichtsratsvorsitzende von Grainger, James T. Ryan, die unterschiedlichen Ausrichtungen so beschrieben:

„Driven to lower their total cost of ownership, large customers tend to have more complex needs and require services more customized to how they operate. They want a broad product and service offering available through the phone, branch, sales representative and eCommerce channels. To meet this need, we run our multichannel business model in all geographies except Japan. On the other end of the spectrum, many small customers tend to use fewer services, mix business and personal purchases and are often willing to spend more time shopping, often on the web.”


B2B-Handel steht nach meinem Eindruck noch vor der eigentlichen Revolution. Die Situation ist geradezu paradox: Aktuell geht wenig ohne die klassischen Vertriebsimpulse aus Katalog, Vetriebsaußen- und innendienst oder Niederlassung. 2014 ist aber auch das Jahr, in dem die Digital Natives massiv in Entscheider-Positionen im Einkauf drängen.

Wenn der Umschwung kommt, dann ist er nicht nur um so härter, sondern die Ansprüche auch um so größer: 

  • Preislich wird die Transparenz den Druck auf die Margen erhöhen. Das merken Händler heute schon bei C-Teilen
  • Operativ muss der Händler die häufig sehr groben Produktdaten viel stärker als bisher anreichern, um facettierte Navigation zu erlauben. Die Shops bieten sich für Plankauf ja geradezu an – aber die Logik ist eben nicht einfach „Preisliste“.
  • IT-seitig müssen die B2B-Händler in kurzer Zeit auch auf den Smart-Devices mehr bieten als nur einen Shop. Im MRO-Sektor (Betrieb und Wartung) halten gerade Augmented Reality-Lösungen Einzug. Die Order erfolgt bald nicht mehr im Lager, sondern aus der Einsatzsituation heraus.

B2B müsste (und könnte) eigentlich technologisch viel mehr bieten als B2C-Shops. Auch und gerade die B2B-Händler stehen dabei in direkter Konkurrenz mit den Herstellern. Viele fertigen ohnehin selbst, aber die o.g. Beispiele aus Amerika zeigen, dass es nicht mehr genügt, sich auf seine eigenen Erzeugnisse zu beschränken.