Blog:

Contextual Commerce (2): Persuasion Architecture

verfasst von Martin Groß-Albenhausen

(Dies ist der zweite Teil einer vierteiligen Serie zur Entwicklung des Contextual Commerce. Teil 1 ("Jenseits der transaktionalen Suche") setzte den Rahmen, Teil 2 widmet sich der Werbung, Teil 3 ("Produkte und Sortimente entwickeln") der Produkt-, Angebots- und Sortimentsentwicklung, Teil 4 ("mit Apps und Services differenzieren") der Veränderung von Services und Operations/Fulfillment.)

 

Die letzte Dekade war geprägt von einem auf Links, SEO und Produktdaten fokussierten und Neukunden-orientierten Paradigma in der (Online-)Werbung. Diese bleiben unvermindert wichtig. Die steigenden Werbe-Preise und die Dominanz der Aggregatoren machen heute eine differenziertere Betrachtung und eine zielgerichtete Allokation von Werbebudgets und Investitionen nötig.

Die Teilnahme an Marktplätzen und Präsenz bei Aggregatoren ist heute für kaum noch einen Händler verzichtbar. Um so wichtiger ist es, die Werbung so einzusetzen, dass Nachfrage über Intermediäre das Geschäft fundiert, aber daneben ein so differenziertes Kernangebot entsteht, dass hochwertige Kunden den Einkauf beim Händler direkt vorziehen.

 

Das „Werbehaus“, das der Händler um seine Kunden baut, braucht eine klare Architektur. Im folgenden schlage ich eine Methode vor, die ursprünglich für Medien mit starkem Direktvertrieb entwickelt wurde, sich aber auf den Onlinehandel anwenden lässt.



Das von Winfried Ruf im <link www.fachmedieninstitut.de>Fachmedieninstitut</link&gt; entwickelte „3x3“ zwingt den Anbieter dazu, seine Werbung, aber auch seine Produkt- und Serviceentwicklung stets vom Nutzer aus zu beginnen. Der Charme des Konzepts liegt darin, dass in der Vertikale der Kunde, der Händler und der Interaktionsprozess, in der Horizontalen von der rein soiodemographischen über die operative bis zur ideellen Ebene die am Transaktionsprozess beteiligten „Stakeholder“ betrachtet werden. 

 

  • Auf der untersten Ebene organisiert der Händler sein Unternehmen im Hinblick auf die genutzten Medien, aber auch die Preispunkte oder die Servicetiefe (Zahlverfahren etc.) an den Möglichkeiten der Kunden.
  • Auf der mittleren Ebene entwickelt der Händler sein Sortiment, aber auch seine Angebotsformen und die gewählten Medien so, dass sie dem Kunden in seinen täglichen Handlungen entsprechen.
  • Auf der obersten Ebene stimmt der Händler seine Werbeaussagen darauf hin ab, dass sie nicht nur einen akuten Bedarf befriedigen, sondern die mit dem Produktkauf „codierten“ übergeordneten Ziele und Wünsche adressiert werden. Diese können für das gleiche Produkt je nach Kunde sehr unterschiedlich ausfallen.

Das Wissen um und das Verständnis für den Kontext des Kunden ist damit kritisch, um in den wenigen Sekunden des ersten Kontakts im Shop bzw. Offsite mit einem Werbemittel mehr als nur möglichen Lieferantenstatus zu erreichen.

Wie sortieren sich die möglichen Werbewege dem Kunden zu? Darauf gibt im folgenden Bild die linke Spalte eine Antwort. Rechts zeigt sich demgegenüber, dass sehr unterschiedliche kreative Leistungen auf Händlerseite gefordert sind.

Klar ist, dass Produktdaten-Exzellenz in einer von Suchmaschinen, Marktplätzen und Aggregatoren geprägten Welt unverzichtbar ist. Der Erstkontakt findet heute meistens online statt, und wer dort keine „Relevanz“ hat, kann dem möglichen Kunden auch auf Performance Displays nicht begegnen. Allerdings ist es ein Unterschied, ob die Produktdaten-Einheit „Bild“ in einer Preissuchmaschine, auf Pinterest, auf einem Display oder einer Zeitschriftenanzeige ausgespielt wird. Das Dateninventar muss stets den Einsatzzweck beim Kunden spiegeln.

Die Werbemedien in der mittleren Reihe können gleichfalls nicht beliebig genutzt werden. Ein Video, das lediglich das Produkt und Features zeigt, aber keine weitere nutzwertige Leistung enthält - also nicht bei der Produktwahl hilft oder die Produktnutzung nahelegt - ist mag im Shop die Conversion erhöhen. Es differenziert den Händler aber nur minimal und ist kein Content-Marketing. Ein Markenspot aus dem TV funktioniert idealerweise auch viral auf YouTube, ist aber ebenfalls noch kein Content-Marketing. Erst ein Werbespot, der dem Nutzer eine kontextorientierte Frage beantwortet, stellt ein Stück Content dar, das eine „operative Beziehung“ über den Kauf hinaus begründen kann.

Wieder anders die Außenwerbung, Display auf Basis von predictive Targeting oder Printwerbung, die stark auf Moods setzt. Sie adressiert mangels individueller Informationen bestimmte Cluster und muss diese z.B. durch die Fotoauffassung oder den Teaser stoppen. Die kreative Leistung besteht darin, den zuvor desinteressierten Betrachter durch die Kraft des Bildes oder der Botschaft zu involvieren.

Nicht zu vergessen, dass der Händler drei Arten von Textern braucht. Zum einen diejenigen, die sich mit der Optimierung der Produktdaten beschäftigen. Zum zweiten diejenigen, die Tutorials und andere Content-Marketing-Elemente schaffen. Und schließlich die Texter, die Herz und Hirn der Kunden erreichen.

Die mittlere Säule gibt einen Hinweis darauf, welche Art von Vorteilsargumentation auf welcher Ebene und in welchen korrespondierenden Medien zweckmäßig ist. Die Basis bieten Preis- oder Liefervorteile - diese ziehen, wenn man keine höher angesiedelten Differenzierungsmerkmale bieten kann. Wer den Alltag seiner Kunden kennt, kann ihm Transaktionsvorteile über das Produkt oder aufgrund des Produktes nennen, die wichtiger sind als der reine Preisvorteil. Dies spielt im B2B eine große Rolle, ist jedoch auch bei vielen Hobby- oder Special Interest-Themen im B2C wichtig.

Die auf der obersten Ebene genannten „Meta-Vorteile“ adressieren die geheimen Wünsche der Leser. Zum Teil sind es sehr subtile Botschaften, zum Teil ist es die Wahl des Models oder die Szenerie. Es können aber auch die gewählten Testimonials oder die abgebildeten Zertifikate sein, die überzeugen.

Man kann auch einzelne Werbeformen so auf den Kunden ausrichten. Bild 4 zeigt, wie z.B. die e-Mail sich dem Kontext des Kunden anpassen kann. Mit rudimentären Daten - die e-Mail-Adresse genügt, ein Geburtsdatum besser, Site-Analytics Lieferant von Indikatoren zum Produkt-Interesse - kann man sehr effektive Trigger-Vertriebsmails starten. Je mehr Daten der Händler gewinnt - z.B. RFM-Transaktionsdaten, um so stärker kann er sich an den erkennbaren Neigungen des Kunden orientieren. Eine Segmentierung nach psychografischen Merkmalen (über Fokusgruppen-Gespräche) ermöglicht eine feinere Justierung von Sprache und vor allem Angebotsverstärkern, um Bestellwerte zu erhöhen.

Mit dem Begriff „App-related“ meine ich nicht allein mobile Informationen. Vielmehr geht es um den höheren „Nutzen-Charakter“ von Anwendungen auf mobilen Endgeräten. Smart Devices sind nicht einfach Displays, sondern Werkzeuge. Das können Anwendungen des „Quantified Self“ sein oder ganz praktische Werkzeuge. Je höher der Nutzwert, um so mehr Informationen gibt der Kunde von sich preis, die wiederum gezieltere Angebote triggern.

Der „AboutYou“-Kern von Ottos Collins-Projekt zielt genau auf solche extrem Nutzen-orientierten Applikationen, die auch auf normalen Rechnern laufen. In den Apps können die Anbieter das Sortiment in einer Form anbieten, die sich eng an den situativen Nutzungskontext der Kunden anschmiegt.

Der Weg vom klassischen Retail zu einem solchen "Me-tail" ist Kern des <link www.etailment-summit.de>etailment Summit 2014</link>. Hier werden wir u.a. mit Benjamin Otto darüber sprechen, wie durch AboutYou "Opa's Versandhaus wieder neu erfunden wird" (so seine eigenen Worte auf der Launch-Party). Jetzt anmelden!