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Paradox: Bewusst sorglos im E-Commerce?

Am Montag hat der Verein Deutschland sicher im Netz (DsiN) den diesjährigen Sicherheitsindex vorgestellt. Die jedes Jahr von der ARIX Business Intelligence GmbH erstellte und in diesem Jahr von kleinanzeigen.de unterstützte Studie erscheint unter Schirmherrschaft des Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV).

Die Studie zeichnet ein durchaus düsteres Bild. Der Index wird aus vier Faktoren gebildet: tatsächlich erlebten Sicherheitsvorfällen, subjektivem Gefährdungsempfinden, Sicherheitswissen und Sicherheitsverhalten. Wie im Vorjahr steht der Index bei 55,7 und damit nur wenig über dem Schwellenwert von 50. Sinkt er darunter, überwiegt die Bedrohungslage.

Blickt man etwas tiefer in die Daten, fällt ein doppeltes Paradox auf. Denn einerseits trifft ein substantielles Sicherheitsrisiko auf ein nur schwach entwickeltes Gefahrenbewusstsein. Und obwohl das Wissen um Sicherheitsmaßnahmen im digitalen Raum so hoch ist wie nie zuvor, schützen sich die Nutzer nur in deutlich geringerem Maß. Die Differenz liegt bei gut 37 Punkten: Es gibt ein massives Umsetzungs-, aber kein Erkenntnisproblem

Diese Diskrepanz fällt besonders deutlich beim mit mehr als 40 Prozent in der Bevölkerung dominierenden Typus des „gutgläubigen Nutzers“ aus:  Mit 88,7 von 100 möglichen „Schutzpunkten“ sollte er in der Lage sein, sich sicher und souverän im Internet zu bewegen. Der Online-Einkauf zählt für ihn auch zu den regelmäßigen Aktivitäten im Netz. Aber sein Sicherheitsverhalten erreicht nur 35,1 Punkte – eine Differenz von mehr als 50 Punkten.

Nimmt man die „antreibenden“ und die „bedachtsamen“ Nutzer hinzu, sind mehr als mit 87,5 Prozent fast neun von zehn Deutsche nicht nur durchschnittlich, sondern durchaus gut informiert darüber, wie man sich sicher im digitalen Raum bewegt.

Das Recherchieren in Suchmaschinen und Online-Shopping bzw. Online-Reisebuchung zählen laut Studie zu den vier Onlineaktivitäten, bei denen sich die Nutzer am wenigsten unsicher fühlen. Immerhin verfügt der Onlinehandel über etablierte und verbraucherrechtlich gut abgesicherte Prozesse.

Entsteht aber durch die hohe Dynamik in unserer Branche, durch neue Anbieter und Geschäftsmodelle eine gravierende, durch neue Gesetze zu schließende Sicherheitslücke? Der DsiN-Sicherheitsindex kann gerade hier als Gegenargument angeführt werden. Denn diejenigen, die neuartige Angebote und Formate zuerst ausprobieren – die „antreibenden“ Nutzer – sind, wie auf S. 31 der Studie beschrieben, „selbstbewusst, aber nicht sorglos. Sie vertrauen auf ihre Fähigkeit, Informationen einzuordnen, Risiken zu bewerten und passende Schutzmaßnahmen zu wählen. Ihr Vertrauen basiert auf Wissen und Erfahrung – nicht auf blinden Annahmen.“

Der DsiN-Sicherheitsindex macht also deutlich, dass sich die Menschen im digitalen Raum genauso versiert bewegen wie dann, wenn sie den Straßenverkehr nutzen, ins Kino gehen oder durch die Fußgängerzone bummeln. Darum ist er ein für den Onlinehandel wichtiger Gradmesser. Denn im Rahmen des von der EU für das kommende Jahr geplanten Digital Fairness Acts wird ernsthaft diskutiert, ob Menschen im Internet grundsätzlich „verwundbarer“ seien als im physischen Raum.

Der Staatssekretär im BMJV, Frank Schwabe, hat eine höhere Schutzbedüftigkeit der Menschen im Internet bei der Vorstellung des DsiN-Sicherheitsindex am Montag klar verneint. „Digitaler Selbstsschutz“, so Schwabe auch im Vorwort der Studie, „muss zentraler Baustein einer sicheren Nutzung digitaler Dienste und Produkte bleiben.“ Zur Stärkung des digitalen Selbstschutzes wolle die Bundesregierung eine altersübergreifende digitale Kompetenzoffensive starten.

Schärfere Regulierung wird in der Studie lediglich von „außenstehenden“ und „fatalistischen“ Internet-Nutzern gefordert, die zusammen gerade einmal 12,6 Prozent der in der Studie befragten Personen ausmachen. Vier von zehn Nutzern hingegen setzen insbesondere auf Transparenz und eigene Kontrollmöglichkeiten.

Eine Veränderung des Verbraucherleitbilds für den digitalen Raum braucht es demnach nicht.

 

Disclosure: Der Autor ist Beirat bei Deutschland sicher im Netz