Die Europäische Kommission bereitet mit dem geplanten Digital Fairness Act weitreichende Verschärfungen für den digitalen Handel vor, die auch das in Deutschland geltende Recht erheblich beeinflussen könnten. Die öffentliche Konsultation findet seit 17. Juli und noch bis zum 24. Oktober statt. Ein Gesetzentwurf könnte dann bis Ende 2026 vorgelegt werden.
Mit dem Digital Fairness Act adressiert die EU-Kommission unterstellte Lücken in der bestehenden Gesetzgebung, zielt auf Harmonisierung und auch eine Ausweitung von Regeln, die bisher nur für ausgewählte Anbieter – etwa digitale Plattformen im Rahmen des Digital Services Act – gelten. Den Rahmen dafür hat der Digital Fairness Fitness Check abgesteckt, dessen Ergebnisse im vergangenen Jahr veröffentlich wurden.
Hier ist eine tabellarische Übersicht zu den wichtigsten Aspekten, die der Digital Fairness Act regeln will, und zu den bereits existierenden EU-Rechtsakten, die diese Bereiche aktuell behandeln:
| Aspekte, die der DFA regeln will | Bereits existierende Rechtsakte der EU |
| Dark Patterns | Digital Services Act (DSA), Unfair Commercial Practices Directive (UCPD), Datenschutz-Grundverordnung (GDPR) |
| Addictive Design | UCPD (bei unlauteren Praktiken), DSA (bei manipulativen Designs); kein spezifisches EU-weites Gesetz |
| Personalisierte Werbung | GDPR, DSA, Consumer Rights Directive, UCPD |
| Influencer Marketing | UCPD, E-Commerce-Richtlinie, Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie, DSA, DMA |
| Verbraucherleitbild | UCPD (Art. 5(3); v.a. dauerhafte Vulnerabilität), laufende politische Debatte um situative/kontinuierliche digitale Verwundbarkeit |
Aus der Struktur und den Formulierungen der Fragen im Konsultationsfragebogen lassen sich mehrere Punkte ableiten, die auf potenziell strengere Regelungen gegenüber der aktuellen Rechtslage (insbesondere in Deutschland) hindeuten. Er ist so aufgebaut, dass er Optionen für neue bindende Vorschriften in bislang lückenhaften Bereichen abfragt. Das deutet darauf hin, dass der DFA wahrscheinlich:
viele Graubereiche (Dark Patterns, Addictive Design, Personalisierung) klar regeln wird,
branchenspezifische Regeln (Gaming, Influencer) einführt,
und Preis- und Abo-Transparenz deutlich verschärft.
Die Konsultation adressiert sieben inhaltlich ausgerichtete Sektionen sowie in einem separaten Punkt die Vereinfachung der regulatorischen Lasten. Im Folgenden zeigen wir, welche Tendenz sich jeweils erkennen lässt:
1. Dark Patterns - Klarer Regelungswille erkennbar
Die Konsultation definiert Dark Patterns als "unlautere Geschäftspraktiken, die durch das Design digitaler Schnittstellen eingesetzt werden" und führt konkrete Beispiele auf:
Irreführende Darstellung von Wahlmöglichkeiten (bevorzugte Option farbig hervorgehoben)
Countdown-Timer zur Erzeugung künstlicher Dringlichkeit
Irreführende Fragen mit doppelter Verneinung
Verschärfungssignal: Die spezifische Definition und detaillierten Beispiele deuten auf geplante konkrete Verbotstatbestände hin, die über die allgemeinen UWG-Bestimmungen hinausgehen. Obwohl Dark Patterns teilweise schon durch UWG, DSGVO und DSA adressiert sind, weist die explizite Frage nach „neuen bindenden Regeln“ zusätzlich darauf hin, dass die EU klare, kodifizierte Verbote und definierte Design-Standards einführen könnte.
| Aktueller Rechtszustand | Mögliche Verschärfungen |
| Allgemeine Verbote unlauterer Praktiken ohne spezifische Online-Bezugnahme | Spezifische Verbote für Online-Interfaces |
| Einzelfallbewertung bei Dringlichkeits- und Knappheitsangaben | Ausdrückliches Verbot von Druck durch Dringlichkeits- und Knappheitsangaben während des Buchungsprozesses, evtl.. allgemein im Checkout |
| Allgemeine Regelungen zu irreführenden Angaben | Verbot irreführender und mehrdeutiger Sprache bei der Präsentation von Wahlmöglichkeiten |
| Keine spezifischen Regeln für emotionale Manipulation | Verbot von Druck oder Beschämung („Confirmation Shaming“) durch emotionale Sprache |
| Preistransparenz nach allgemeinen Grundsätzen | Verbot des Hinzufügens neuer Gebühren zum Gesamtpreis während des Abschlussprozesse |
2. Suchterzeugendes Design – Fokus auf Verhaltensmanipulation
Die Konsultation identifiziert spezifische Mechanismen:
Infinite Scrolling ohne erkennbares Ende
Ephemeral Stories (schnell verschwindende Inhalte)
Autoplay-Funktionen
Bestrafung für Nutzer-Disengagement
Engagement-steigernde Empfehlungssysteme
Regulierungsintensität: Die detaillierte Auflistung deutet auf technische Regulierung von Interface-Design hin - ein Novum im EU-Verbraucherschutz. In Deutschland findet sich entsprechende Regulierung bisher nur am Rande im Jugendschutz- und Datenschutzrecht. Die Abfrage deutet auf mögliche Querschnittsregeln für alle Anbieter im digitalen Raum hin, nicht nur für bestimmte Plattformen.
3. Gaming-Features – Spezielle Aufmerksamkeit für Glücksspiel-ähnliche Mechaniken
Besondere Fokussierung auf:
Loot-Boxes mit ungewissen Belohnungen
Pay-to-Progress und Pay-to-Win Mechanismen
Virtuelle Währungen, die den realen Wert verschleiern
Verschärfungsindikator: Die explizite Erwähnung von Glücksspiel-Imitationen signalisiert mögliche sektorspezifische Verbote oder Altersbeschränkungen.
4. Unfaire Personalisierung – Schutz vor Vulnerabilitäts-Ausnutzung
Problemdefinition: Ausnutzung von Informationen über Verbraucher-Vulnerabilitäten wie:
Persönliche Probleme
Finanzielle Herausforderungen
Negative mentale Zustände
Regulierungsansatz: Dies deutet auf erweiterte Datenschutz-Bestimmungen speziell für kommerzielle Personalisierung hin. Über die DSGVO hinausgehend könnte hier eine inhaltliche Zweckbegrenzung für Personalisierung kommen – nicht nur Transparenzpflichten.
| Bereich | Aktuelle Regelung | Mögliche Verschärfung |
| Transparenz | Allgemeine DSGVO-Anforderungen | Detailliertere Aufklärung über Personalisierungsverfahren |
| Minderjährigenschutz | Begrenzte DSA-Regelungen | Ausweitung auf alle Händler? |
| Preisgestaltung | Offenlegung personalisierter Preise nach VRR | Mögliches Verbot verhaltensbasierter Preiserhöhungen |
| Wahlmöglichkeiten | Keine spezifischen Regelungen | Explizite Option für nicht-personalisierte Angebote |
5. Influencer-Marketing - Verstärkte Transparenzpflichten
Die Konsultation fokussiert auf:
Verstecktes Marketing
Bewerbung potenziell schädlicher Produkte
Verschärfungstendenz: Hinweise auf branchenspezifische Offenlegungspflichten und mögliche Produktbeschränkungen; Sanktionen auch für Plattformen, die Verstöße nicht moderieren.
6. Preispraktiken – Detaillierte Regulierung geplant
Spezifische Praktiken im Fokus:
Drip Pricing (nachträgliche Gebührenhinzufügung)
Irreführende "Startpreise" mit automatischen Preiserhöhungen
Irreführende Preisvergleiche
Regulierungstiefe: Die technischen Details deuten auf präzise Preisauszeichnungsvorschriften hin. Deutschland kennt Preisangabenverordnung und UWG, aber die Umsetzung ist bei dynamischen Preisen schwierig.
7. Digitale Verträge – Umfassende Vereinfachungspflichten
Als Problem werden insbesondere schwierige Abonnement-Kündigungen adressiert
Automatische Umwandlung kostenloser Testversionen
Fehlende menschliche Ansprechpartner im Kundenservice
Verschärfungsrichtung: In Deutschland besteht bereits eine Widerrufs/Kündigungsbutton-Pflicht (§ 312k BGB), aber es existiert kein EU-Standard für Bot-Verträge oder menschliche Erreichbarkeit. Man kann hier Hinweise auf europaweit standardisierte Kündigungsverfahren und Right-to-Human-Contact erkennen.
Mögliche Entlastung durch Standardisierung?
Sektion 8 fragt explizit nach Bereichen, wo EU-Maßnahmen Marktfragmentierung reduzieren könnten. Dies signalisiert eine Tendenz zu:
Vollharmonisierung statt Mindeststandards
Einheitlichen EU-weiten Standards
Reduzierung nationaler Spielräume
Allerdings erkennt die Konsultation explizit Compliance-Kosten an und fragt nach konkreten Vereinfachungsmaßnahmen, digitalen Informationspflichten als Alternative zu Papierform und nach einer Reduzierung des regulatorischen Aufwands. Hierin kann man eine Strategie vermuten, verschärfte Regeln zu legitimieren, indem man an anderer Stelle Bürokratielasten reduziert.
Fazit
Die Konsultationsfrist bis zum 24. Oktober sollten die Händler nutzen, um im Rahmen der Konsultation die praktischen Auswirkungen bestimmter Regulierungsvorhaben darzustellen und hervorzuheben, wie heute schon Verbraucher-orientiert gehandelt wird.
