von Prof. Dr. Gerrit Heinemann
Lehrstuhl BWL, Managementlehre und Handel; eWeb Research Center
Hochschule Niederrhein
Mit dem Aufkommen digitaler Plattformen hat der Secondhand-Markt einen erheblichen Wandel erfahren. Sie ermöglichen es Verbrauchern, gebrauchte Produkte flexibel online zu kaufen und zu verkaufen, wodurch der Zugang zu Secondhand-Produkten erleichtert und das verfügbare Produktangebot breiter wird. Nicht ohne Grund sehen vielzählige Marktprognosen daher ein großes Potenzial für den Re-Commerce. Seit 2010 hat sich das Marktvolumen für Secondhand und Re-Commerce in Deutschland nahezu verdoppelt und soll in gleichem Umfang weiterwachsen. Insbesondere vor und nach der Pandemie konnte dieses Segment einen regelrechten Boom erleben. Re-Commerce liegt insofern im Trend.
Die vorliegende Studie erforscht diesen Trend und identifiziert wesentliche Faktoren: Innovative und technologisch fortgeschrittene Handelsprozesse, das politische Interesse an nachhaltigerem Konsum und nicht zuletzt die intrinsische Motivation der Kunden.
“Re-Commerce” im engeren Sinn bezeichnet ein „Consumer-to-Business-Geschäftsmodell“ des Online-Handels. Gewerbliche Händler kaufen Gebrauchtware von Endverbrauchern an und verkaufen diese auf eigenen oder externen Internet-Plattformen wie u.a. Amazon oder eBay weiter. Anstelle herkömmlicher Herstellprozesse und Lieferantenbeziehungen rücken im Re-Commerce Aufkaufprozesse, Rücknahmesysteme, umfassende Qualitätsprüfungen sowie potenzielle Aufbereitungs- und Reparaturmaßnahmen in den Vordergrund. Der Ankaufspreis basiert allerdings – ebenfalls im Gegensatz zu Onlineauktionen oder Privatverkäufen über Kleinanzeigen – nicht auf direkten Preisverhandlungen zwischen Anbieter und Nachfrager, sondern wird vom Händler als Festpreis verbindlich vorgegeben.
Re-Commerce als Handelsmodell trägt dazu bei, die Lebensdauer von Produkten zu verlängern und Abfälle zu reduzieren. Aus gesellschaftspolitischer Sicht hat es ein großes Potenzial hinsichtlich des Erreichens von Klimaschutzzielen und bietet diesbezüglich eine wichtige Basis für die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft, wie eine Analyse der verschiedenen Faktoren in der Studie zeigt. Politische Rahmenbedingungen wie das Kreislaufwirtschaftsgesetz, die EU-Ökodesign-Richtlinie oder nationale Förderprogramme zur Reparatur und Wiederverwendung unterstützen in dieser Hinsicht den Handel mit gebrauchten Produkten, setzen aber bisher nur begrenzt Anreize für die Skalierung von Re-Commerce-Angeboten.
Auch die Kunden legen zunehmend Wert auf umweltfreundliche Produkte, klimaneutralen Versand sowie Vermeidung von Plastik. Sowohl beim Kauf als auch beim Verkauf gebrauchter Waren genießt Re-Commerce dementsprechend eine breite Akzeptanz. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie belegen, dass der Re-Commerce in den unterschiedlichsten Produktkategorien relevant ist und insbesondere gebrauchte Kleidung, Bücher, Medien, Elektronik, Möbel und Freizeitartikel von Konsumenten online ver- und gekauft werden.
Viele Kunden zeigen diesbezüglich jedoch ein paradoxes Kaufverhalten: Sie sehen sich nicht zu nachhaltigem Konsum in der Lage. Zudem spielt auf der Kundenseite das Geld nach wie vor eine herausragende Rolle. Dementsprechend sind die wichtigsten Motive für die Nutzung von Re-Commerce-Angeboten auf Käuferseite vor allem ökonomische Vorteile wie Preisgünstigkeit und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Der Preissetzung kommt somit eine besondere Rolle zu.
Fast alle der Befragten der vorliegenden Studie geben dabei an, im Vergleich zum Kauf von Neuware beim Kauf von Secondhand erhebliche Einsparungen zu erzielen. Hemmnisse auf Käuferseite sind hingegen insbesondere Unsicherheiten bezüglich des Produktzustands und der Lebensdauer, während beim Verkauf an Re-Commerce-Plattformen der Aufwand und die fehlende Wiederverkaufseignung der Produkte als größte Hürden genannt werden. Der Ankaufsprozess scheint für viele Kunden ungewohnt und sollte in jedem Fall gezielt unterstützt werden.
Für die Händler hingegen bergen die im Rahmen des Re-Commerce nötigen strukturellen Anpassungen enorme Herausforderungen, wie die vorliegende Studie zeigt. Eine besondere Relevanz kommt diesbezüglich händlerseitig einer effektiven Rückwärtslogistik zu. Ihr reibungsloser Ablauf ist unabdingbar für einen erfolgreichen Re-Commerce. Besonders in Hinblick auf gesetzliche Verpflichtungen und Verbraucherschutzrechte herrschen sowohl auf Händler- als auch auf Konsumentenseite immer noch deutliche Unsicherheiten.
Gleichzeitig werden durch den Re-Commerce aber volkswirtschaftliche Potenziale eröffnet. Dieses gilt insbesondere für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie das Eröffnen von Innovationspotenzialen in Bezug auf die Neuausrichtung von Handelsprozessen. Auch ermöglicht Re-Commerce die Vermarktung von Produkten mit Gebrauchsspuren als nachhaltigere Alternativen im derzeit besonders gefragten Niedrigpreissegment. Gerade unter dem weiterhin steigenden Preis-Druck durch die Konkurrenz aus China mit Plattformen nach dem D2C-Modell wie Temu, SHEIN oder auch TikTok-Shop ist dieser Faktor als Wachstumsfaktor für den deutschen Markt von hoher Relevanz. Zudem vergrößert die Re-Commerce-Integration auch den Umfang des online angebotenen Produktsortiments deutlich.
Die vorliegende Studie zeigt Ansatzpunkte auf, wie dieses Potenzial stärker genutzt werden kann und wie Geschäftsmodelle des Re-Commerce erfolgreich ausgestaltet werden können. Für die nächsten Jahre gilt, die zentralen Motive der Nutzung des Re-Commerce auf Käufer- und Verkäuferseite zu erfüllen, bestehende Hemmnisse weiter abzubauen und die Attraktivität sowie die Transparenz der Angebote weiter zu erhöhen.