Die Transformation hin zu einer ressourcenschonenden und klimaneutralen Wirtschaft ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Dabei gewinnt die Kreislaufwirtschaft zunehmend an Bedeutung – nicht nur als ökologisches Gebot, sondern auch als wirtschaftliche Chance. Ein zukunftsfähiger Bestandteil dieser Entwicklung ist der Re-Commerce – dieser trägt wesentlich dazu bei, Lebenszyklen zu verlängern, Abfälle zu vermeiden und CO₂-Emissionen zu reduzieren.
Gleichzeitig schafft Re-Commerce neue Geschäftsmodelle, sichert Arbeitsplätze, stärkt insbesondere kleine sowie mittlere Unternehmen und stellt zudem Verbrauchern ein breiteres, kostengünstiges Angebot zur Verfügung. Doch bislang wird dieses Potenzial auf politischer Ebene noch nicht ausreichend berücksichtigt. Ein politischer Rahmen, der Re-Commerce gezielt fördert, ist überfällig – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Dieses Kapitel zeigt auf, welche politischen Hebel nötig sind, um Re-Commerce als wirtschaftlich tragfähigen und ökologisch sinnvollen Teil der Kreislaufwirtschaft zu etablieren.

Politische Handlungsempfehlungen des bevh zur Stärkung des Re-Commerce
1. Re-Commerce als Teil der ökologischen Transformation anerkennen und bei der Gesetzgebung mitdenken
Re-Commerce reduziert den Ressourcenverbrauch und CO₂-Emissionen. Die Politik sollte diese Leistung anerkennen.
- Re-Commerce bei der Regulierung schon von Anfang an mitdenken. Gesetzliche Vorgaben, die auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, können den Handel mit wiederaufbereiteten Produkten unbeabsichtigt erschweren. Ein Beispiel hierfür ist die Regulierung zu einheitlichen Ladegeräten: Wenn künftig nur noch Geräte mit bestimmten technischen Standards in Verkehr gebracht werden dürfen, könnten viele gebrauchte, aber noch voll funktionstüchtige Geräte aus dem Markt gedrängt werden. Daher ist es essenziell, dass die Politik die besonderen Anforderungen und Potenziale der Kreislaufwirtschaft berücksichtigt – und entsprechende Akteure aus dem Re-Commerce frühzeitig in die Ausgestaltung neuer Regelungen einbezieht.
- Ökodesign-Anforderungen sollten so gestaltet sein, dass sie die Attraktivität und die rechtliche Verkehrsfähigkeit von gebrauchten und wiederaufbereiteten Produkten nicht beeinträchtigen. Auch wenn neu hergestellte Produkte mit besonders hohen Nachhaltigkeits- und Effizienzstandards auf den Markt kommen, müssen weiterhin auch ältere, aber langlebige und funktionsfähige Produkte erhältlich sein dürfen – selbst, wenn sie in einzelnen Aspekten (z. B. Energieeffizienz) nicht mit Neuprodukten mithalten können. Es ist zentral, dass gesetzliche Vorgaben nicht dazu führen, dass wiederaufbereitete oder gebrauchte Produkte aus regulatorischen Gründen vom Markt verschwinden oder sogar vernichtet werden müssen. Vielmehr sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, nachhaltige Neuprodukte und hochwertige Second-Hand-Waren parallel anzubieten – als gleichberechtigte Bausteine einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft.
- CO₂-Einsparungen durch Re-Commerce-Aktivitäten sollten in unternehmerische Klimabilanzen einfließen dürfen. Insbesondere im Rahmen von ESG-Reporting, CSRD und EU-Taxonomie ist es wichtig, die positiven Klimaeffekte von Wiederverwendung und Wiederaufbereitung sichtbar zu machen und anzurechnen. Damit wird nicht nur die tatsächliche Umweltleistung von Unternehmen realistischer abgebildet, sondern auch ein Anreiz geschaffen, kreislaufwirtschaftliche Geschäftsmodelle aktiv auszubauen und strategisch in die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu integrieren.
2. Rechtssicherheit auf Seiten der Unternehmer schaffen und bürokratische Hürden abbauen
Eine Herausforderung der Re-Commerce-Branche sind noch immer unscharfe rechtliche Definitionen und komplexe Regelwerke. Aus diesem Grund sind klare und praxistaugliche gesetzliche Regelungen notwendig:
- Eindeutige Begriffsdefinitionen für „gebraucht“, „refurbished“ und „recycelt“ erhöhen Rechtssicherheit und schützen Verbraucher sowie Unternehmen vor Missverständnissen.
- Abschaffung von doppelter Lizenzierungspflicht von Versandverpackungen, die mehrfach verwendet werden. Nach bestehender Regelung im Verpackungsgesetz müssen Versandverpackungen erneut lizensiert werden, obwohl sie bereits im Umlauf waren. Dies führt zu einer doppelten Lizensierung und damit zu erhöhten Kosten sowie unnötigem bürokratischen Aufwand bei den Unternehmen. Hier bedarf es – auch im Sinne der Nachhaltigkeit – einer praktikablen Lösung.
- Eine Anpassung der Produktkennzeichnungsvorgaben ist notwendig, da Kennzeichnungen wie das Energielabel, Umweltzeichen oder Konformitätserklärungen oft nicht auf gebrauchte oder wiederaufbereitete Produkte anwendbar sind. Es braucht deshalb eine Überarbeitung dieser Regelungen mit Blick auf die Besonderheiten des Re-Commerce.
- Eine Harmonisierung nationaler Vorschriften ist erforderlich, da unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich Marketings und Verbraucherinformation in den EU-Mitgliedsstaaten stellen insbesondere für grenzüberschreitend tätige Unternehmen eine Hürde darstellen. Einheitliche Vorgaben würden faire Wettbewerbsbedingungen schaffen und den grenzüberschreitenden Handel erleichtern.
3. EU-weite Harmonisierung und Abbau von Handelshemmnissen
Ein funktionierender europäischer Binnenmarkt für Re-Commerce erfordert gemeinsame Regeln und vereinfachte Verfahren:
- Die Einführung einheitlicher EU-Standards für wiederaufbereitete Produkte – etwa in Bezug auf Kennzeichnung, Garantiebedingungen und Produktsicherheit – ist essenziell, um Vertrauen zu schaffen und den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern. Mitgliedstaaten sollten davon absehen, bei Richtlinien oder sogar bei Verordnungen durch nationale Alleingänge die EU-weite Harmonisierung zu gefährden.
- Abbau von Export- und Importhemmnissen für gebrauchte Waren innerhalb der EU – beispielsweise durch einfachere Zollverfahren für gebrauchte Elektronik oder Second-Hand-IT.
- EU-weit einheitliche End-of-Waste-Kriterien einführen. Aktuell behindern unterschiedliche nationale Vorgaben zur Frage, wann Abfall seinen Abfallstatus verliert, die grenzüberschreitende Nutzung von Sekundärrohstoffen. Diese Unsicherheit erschwert Investitionen und erhöht Kosten. Die EU sollte daher verbindliche, harmonisierte End-of-Waste-Kriterien für alle relevanten Abfallströme einführen. Das würde Rechtssicherheit schaffen, Materialkreisläufe stärken und den Zugang zu wiederverwendbaren Produkten und hochwertigen Rezyklaten erleichtern. Zusätzlich braucht es ein zentralisiertes digitales System für Abfallverbringung, das Transparenz und Effizienz im grenzüberschreitenden Handel mit Kreislaufmaterialien verbessert.
- Ein One-Stop-Shop-Modell für die erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) würde insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) den europaweiten Handel erleichtern und dabei helfen, die europäischen Abfallreduktionsziele effizient zu erreichen. Darüber hinaus sollten sich die Verpflichtungen der erweiterten Herstellerverantwortung mehr auf die Wiederverwendung von Produkten als auf das Recycling fokussieren.
4. Steuerliche Anreize zur Förderung der Kreislaufwirtschaft
Um Re-Commerce wirtschaftlich attraktiver zu gestalten und Anreize für nachhaltiges Wirtschaften zu setzen, sind gezielte steuerliche Maßnahmen erforderlich:
- Eine ermäßigte Mehrwertsteuer auf wiederaufbereitete Produkte, ähnlich wie sie auch für Reparaturen gilt, könnte einen echten Anreiz für Verbraucher schaffen. So würden wiederaufbereitete Produkte preiswerter und dadurch attraktiver.
- Investitionsfreundliche Abschreibungsmodelle verbessern die Rahmenbedingungen für Unternehmen, die in Infrastruktur zur Wiederaufbereitung, Prüfung und Reparatur von Produkten investieren. Solche Abschreibungen würden eine bessere langfristige Planbarkeit ermöglichen und dadurch Innovationen fördern. Sie müssen auch für den Erwerb gebrauchter Produkte gelten. Die im Koalitionsvertrag von CDU und SPD vorgesehenen sogenannten „Turboabschreibungen“ sind ein wichtiges Signal – sie müssen nun zügig umgesetzt werden.
- Ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz für Gebrauchtwaren innerhalb der EU (ausgenommen gemäß § 25a UStG) und dessen Anwendung wie im Regelbesteuerungsverfahren stärkt den Binnenmarkt und erhöht die Akzeptanz bei den Verbrauchern. Zudem senkt er die Kosten für die Einhaltung von Compliance-Vorschriften und reduziert den bürokratischen Aufwand aller beteiligten Wirtschaftsakteure. Auch die Folgekosten für die Mitgliedstaaten im Rahmen steuerlicher Prüfungen lassen sich dadurch verringern.
- Null-Steuersatz für Gebrauchtwaren aus dem Bereich Babybekleidung und Bildungsbedarf. Mit Blick auf die Stärkung von Familie und Soziales kann der Re-Commerce eine entscheidende Rolle bei der Erfüllung von Versorgungsaufgaben leisten. Ein Null-Steuersatz, wie es beispielsweise in Großbritannien auf Babywaren im ersten Markt gibt, würde gerade Verbraucher, die auf preisgünstigere Gebrauchtwaren angewiesen sind, im Besonderen fördern und finanziell entlasten. Gerade Babyprodukte sind Waren, die aufgrund ihres kurzlebigen Gebrauchs schnell wieder in den Kreislauf gelangen (können) und somit weiterer Bestimmung zugeführt werden könnten. Gleiches gilt für den Bereich des Bildungsbedarfs. Schulen, Vorschulen, Kindergärten und Horteinrichtungen sind oft mit begrenzten Mitteln ausgestattet, sodass sich auch hier ein besonderer Bedarf nach finanzieller Entlastung abzeichnet.
- Die Differenzbesteuerung ist für Händler auf Marktplätzen ein besonders sensibles Thema. In Hinblick auf die Marktplatzhaftung für die Umsatzsteuer ist hier der Händler gegebenenfalls zur Angabe sensibler Daten verpflichtet, da sonst eine Sperre auf dem Marktplatz drohen kann. Hier sollte der Marktplatz aus dem Haftungsrisiko gelöst werden, insofern der auf dem Marktplatz handelnde Unternehmer nur unter Anwendung der Sonderregel verkauft. Im Fall von Regelbesteuerung auf inländische Lieferungen oder die Meldung an OSS sollte von der Haftung nicht abgewichen werden.
5. Digitale Infrastruktur und Reparierbarkeit stärken
Eine moderne, offene Dateninfrastruktur und gesetzlich geregelter Zugang zu Reparaturinformationen sind Grundvoraussetzungen für einen funktionierenden Re-Commerce:
- Digitale Produktpässe (DPP) sollten so gestaltet sein, dass auch Drittanbieter und Akteure im Second-Hand-Markt auf relevante Informationen zugreifen und diese ergänzen können – ohne auf herstellerspezifische oder exklusive Systeme angewiesen zu sein. Gleichzeitig müssen die DPP so konzipiert werden, dass auch dann Produktpässe erstellt werden können, wenn nur unvollständige oder keine Originalinformationen verfügbar sind. Die Anforderungen an die enthaltenen Produktinformationen sollten so definiert sein, dass sie auch für gebrauchte und wiederaufbereitete Produkte erfüllbar bleiben. Darüber hinaus sollten Händler die Freiheit haben, ihren Kunden zusätzliche Informationen bereitzustellen, die über die standardisierten Inhalte der DPP hinausgehen. Im Rahmen der geplanten Regelungen zu umweltbezogenen Werbeaussagen („Green Claims“) ist sicherzustellen, dass wiederaufbereitete Produkte nicht benachteiligt werden und ihre ökologischen Vorteile angemessen berücksichtigt werden können.
- Offene Datenstandards für Produktinformationen, etwa zur Herkunft, Nutzungsdauer oder Reparierbarkeit, erleichtern den Wiederverkauf und erhöhen die Transparenz im Re-Commerce. Damit Unternehmen den Verbrauchern die notwendigen Informationen zur Verfügung stellen können, müssen Hersteller grundsätzlich verpflichtet werden, für Verbraucher relevanten Informationen bereitzustellen.
6. Vertrauen der Verbraucher stärken
Ein funktionierender Re-Commerce-Markt braucht das Vertrauen der Kunden – dieses kann durch gezielte Maßnahmen gestärkt werden:
- Transparente Angaben für Zustand, Herkunft und durchgeführte Wiederaufbereitungen machen Produkte vergleichbar und stärken die Kaufentscheidung. Unternehmen im E-Commerce haben das bereits in ihrer DNA integriert. Entscheidend ist es den Unternehmen den nötigen Freiraum zu lassen, um detaillierte und aussagekräftige Informationen zum Zustand der Produkte bereitzustellen. Je verlässlicher und nachvollziehbarer diese Angaben sind, desto größer ist das Vertrauen der Kunden – und damit auch deren Bereitschaft, sich für ein wiederaufbereitetes Produkt zu entscheiden.
- Aufklärungskampagnen und öffentlichkeitswirksame Informationsarbeit über Re-Commerce als nachhaltige, sichere und kostengünstige Alternative zum Neukauf, könnten das gesellschaftliche Umdenken und nachhaltigen Konsum fördern
- Einheitliche Gütesiegel oder Zertifizierungsprogramme können Qualitätsstandards definieren bieten Verbrauchern eine verlässliche Orientierung bei der Auswahl wiederaufbereiteter Produkte und schaffen Vertrauen in deren Zustand und Herkunft. Gleichzeitig stärken sie den fairen Wettbewerb unter den Anbietern und fördern einheitliche Mindestanforderungen innerhalb der Branche.
7. Öffentliche Beschaffung als Motor für den Re-Commerce
Die öffentliche Hand kann durch ihr Einkaufsverhalten eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft spielen. Als bedeutender Nachfrager hat sie das Potenzial, Märkte für gebrauchte und wiederaufbereitete Produkte aktiv zu stärken und so einen wichtigen Beitrag zur Ressourcenschonung und Abfallvermeidung zu leisten.
- Öffentliche Ausschreibungen sollten gezielt den Einsatz von gebrauchten oder wiederaufbereiteten Produkten fördern, insbesondere in Bereichen wie IT-Ausstattung, Möbel oder Kommunikationsgeräte. Der Vorrang solcher Produkte trägt nicht nur zur Verlängerung von Produktlebenszyklen bei, sondern stärkt auch das Vertrauen in die Qualität von Second-Hand-Waren.
- Anreizsysteme für den Einsatz wiederverwendeter Produkte in öffentlichen Einrichtungen, etwa in Verwaltungen, Schulen oder Behörden, können zusätzliche Marktvolumina schaffen. Gleichzeitig wird dadurch die gesellschaftliche Wahrnehmung von Re-Commerce als gleichwertige und nachhaltige Alternative zum Neukauf deutlich gestärkt.