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Künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch: Über Chancen und Kundennutzen aus Sicht eines Online-Modehändlers

Vor Jahren noch als mitunter verstörendes Szenario in Science-Fiction-Filmen wahrgenommen, heute brandaktueller IT-Trend mit zahlreichen Nutzungsmöglichkeiten für den E-Commerce: Künstliche Intelligenz (KI). Dabei gibt es sie schon seit den 1930er Jahren, als ein gewisser Alan Turing den theoretischen Grundstein für Maschinen legte, die Algorithmen verarbeiten. Als wissenschaftliche Disziplin benannt wird sie dann erstmals in den 50ern im Rahmen einer Konferenz in Dartmouth – und erlangt Berühmtheit, als der Rechner „Deep Blue“ von IBM 1997 spektakulär den unerreichten Schachweltmeister Kasparov schlägt (wobei man heute kontrovers diskutiert, ob es sich dabei um „echte“ KI handelte – oder nicht). Mit Apples lernfähigem Assistenten „Siri“ kann dann jedenfalls ab 2011 jeder ein bisschen Künstliche Intelligenz in der Tasche tragen. Im selben Jahr betritt IBM’s „Watson“ die internationale Bühne und bringt vor allem im Bereich Medizin große Innovationskraft. KI hat unseren Alltag erreicht, und wir nutzen sie vielleicht häufiger, als wir denken, beispielsweise bei Spracherkennungsprogrammen und Sprachassistenz über Navigation bis hin zum Musikstreaming.

Lernende Systeme unterstützen den Handel und steigern die Kundenzufriedenheit

Natürlich sind wir auch 2020 noch immer weit entfernt von dem visionären Ziel, eine Maschine zu entwickeln, die wie ein Mensch denkt, fühlt und handelt – aber wir sind bereits in der Lage, lernende Systeme einzusetzen, die unfassbar große Datenmengen sammeln, verarbeiten und für den Handel nutzbar machen können. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ermöglicht es uns, unsere Kund*innen über alle Touchpoints hinweg noch individueller, noch gezielter und noch schneller anzusprechen. Gerade im E-Commerce bietet die enorme Lernfähigkeit von KI ein großes Potenzial, die Kundenzufriedenheit signifikant zu steigern: durch hochgradig personalisierte Interaktion, die noch besser auf jeweilige Wünsche und Bedürfnisse eingeht.

Zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten von KI im E-Commerce

Anwendungsbeispiele finden sich in vielfältigen Bereichen des E-Commerce, so zum Beispiel, wenn es im Onlineshop um Größenberatung oder das Aufzeigen von Alternativen, passenden Ergänzungen zum gewählten Style und personalisierte Angebote für eine Kund*in geht. Auch die Sortimentsplanung und -gestaltung kann durch KI wesentlich optimiert werden: Wir bringen mehr „Tops“ und weniger „Flops“. Mit dem richtigen Fashionartikel in der passenden Größe verbessern sich schließlich die Retourenquoten und schonen damit nicht nur die Umwelt, sondern auch unsere Kund*innen, die sich den Weg zur Paketannahmestation sparen können – gerade in Zeiten von Covid-19 noch einmal wichtiger! Wir setzen bei bonprix bereits seit Jahren KI-gestützte Anwendungen ein und sind von ihrem positiven Nutzen für unsere Kund*innen überzeugt. Einige Best Practice Beispiele und Learnings möchte ich im Folgenden kurz beschreiben.

Optimierte Größenberatung mit dem „Fit Finder“

Anfang 2019 haben wir nach vorangegangenen Tests mit erfreulich positiven Ergebnissen den sogenannten Fit Finder gelauncht. Der Fit Finder arbeitet mit einem Machine Learning-Algorithmus, der sich selbstständig verändert und kontinuierlich optimiert. Sobald Kund*innen den Fit Finder nutzen, wird ein Prozess angestoßen, um ihnen bei der Bestimmung der richtigen Kleidergröße zu helfen. Dafür werden beispielsweise Fragen nach Größe, Gewicht, Körperform, Alter und gewünschter Passform gestellt. Der Algorithmus sammelt diese Informationen, kombiniert sie mit Daten zu Bestellungen und Retouren von über 17.000 Marken, 20 Millionen Artikeln und mehr als 100.000 3D-Scans und vergleicht dieses Paket dann mit Angaben von Millionen anderer Menschen, die die gleichen oder ähnliche Antworten gegeben haben. Daraus ergibt sich schließlich die Größenempfehlung.

Wir haben bereits in der Testphase festgestellt, dass die Zahl der Auswahlbestellungen und Retouren mit dem Fit Finder spürbar reduziert werden konnten. Seit April dieses Jahres bemerken wir außerdem eine wachsende Nutzung des Tools, was zeigt, dass unsere Kund*innen von dem verbesserten Service profitieren.

Bessere Sortimentsgestaltung dank „lernender Kollektion“

Wir kennen es alle: Produktion und Einkauf müssen mit großem Vorlauf geplant werden, und wir wissen nie zu 100%, was unsere Kund*innen sich in dem Moment wünschen, in dem die Kollektion dann in den Shop kommt – das Verhältnis von Warenbestand und Nachfrage wird schnell zum kritischen Faktor. Der Einsatz von KI kann auch hier das Produktmanagement bei der Kollektionsplanung maßgeblich unterstützen. Wir haben im Juni 2020 ein Prognosesystem eingeführt, das via Machine Learning arbeitet, indem es mit historischen Daten gefüttert und darauf trainiert wird, bestimmte Regelmäßigkeiten in dieser riesigen Datenmenge zu entdecken. Alle Artikel, die es jemals gab, inklusive Artikel-Attribute und Verkaufszahlen, werden in das System eingespeist. Dann nimmt man eine aktuelle Monatskollektion hinzu, allerdings ohne Verkaufszahlen, und lässt das Tool prognostizieren, wie einzelne Artikel dieser Kollektion laufen sollten. Anschließend lässt sich prüfen, inwieweit die Prognose tatsächlich zugetroffen hat. Ist eine Prognose über mehrere Monate konstant gut, kann davon ausgegangen werden, dass sie das auch in Zukunft sein wird. Und durch immer neue Daten und Informationen wird die Voraussage immer genauer. So wird es möglich, bei der Kollektionsplanung direkt zu berücksichtigen, ob ein Produkt vermutlich ein „Top“ oder ein „Flop“ wird. Trifft letzteres zu, wird es gar nicht erst in die Kollektion genommen, andere Artikel werden anhand der Erkenntnisse optimiert (zum Beispiel durch eine angesagtere Farbe). Das neue Prognosesystem wird ab der Januarkollektion 2021 zum Einsatz kommen, so dass wir unseren Kund*innen noch passgenauer die gewünschten Fashion-Artikel anbieten können.

Testen & Lernen – im Zusammenspiel von Mensch und Technologie

„Gut Ding will Weile haben“ sagt man so schön. Wenn neue Tools entwickelt werden, geht dem in der Regel eine längere Konzeptions- und Testphase voraus. Gerade bei solchen, die KI-basiert sind, müssen sehr große Datenmengen zur Verfügung gestellt und sinnvoll verknüpft werden. Eine Herausforderung für verschiedene Teams, die eng miteinander arbeiten und Ideen einbringen. Steht ein Konzept, muss eine Anwendung immer wieder auf Herz und Nieren geprüft werden, um mögliche Schwachstellen zu erkennen und zu verbessern. Das ist ein langer Prozess, bei dem laufend neue Hürden genommen werden müssen. Wenn wir eine neue Service-Anwendung wie den Fit Finder dann final launchen, laden wir auch gerne unsere Kollegen und Mitarbeiter ein, sie zu testen – sie sind die besten Experten und geben uns eine offene Rückmeldung. Ihr Feedback und das unserer Kund*innen hilft uns enorm, um auch bestehende Tools immer weiterzuentwickeln.

Denn, auch wenn wir begeistert von KI-Erfolgen berichten und auch zukünftig große Chancen in ihr sehen, unsere Arbeitsabläufe und unseren Kundenservice weiter zu verbessern, bleibt diese Technologie immer noch Tool in den Händen unserer Experten. Eine leistungsstarke Unterstützung dort, wo riesige Datenmengen es sinnvoll machen, aber doch nie Ersatz für das abschließende, ganzheitliche und verantwortungsvolle menschliche Urteil.