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Ein Internat für E-Commerce-Kaufleute

Die duale Berufsausbildung zu „Kaufleuten im E-Commerce“ hat sich seit der Einführung vor fünf Jahren etabliert. In den Corona-Jahren legte die Zahl der neuen Ausbildungsverträge deutlich zu und führte das Ranking des „Bundesinstituts für Berufsbildung“ an. Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Neuverträge im Eindruck der Wirtschaftskrise durch den Ukraine-Krieg wieder leicht zurück – allerdings weniger stark als in anderen kaufmännischen Ausbildungswegen des Handels.

Zwar gibt es inzwischen eine große Zahl an Berufsschulen, die Klassen für E-Commrce-Kaufleute anbieten. Allerdings sind diese nicht in allen Bundesländern für alle Azubis gut zu erreichen. Und in einigen Regionen steht jeweils in Frage, ob die Mindestzahl an Schülern für eine eigene Klasse zustanden kommt. Dann müssten Schüler entweder deutlich weiter zum Berufsschulunterricht fahren, oder die Schule könnte einen Verbundunterricht mit z.B. Groß- und Außenhandels-Kaufleuten anstreben.

Nun gibt es das erste Internat für E-Commerce-Kaufleute. Angesiedelt ist es am Frankfurter mediacampus, der längst weit mehr Ausbildungen als die für Buchhändler und Verlagskaufleute anbietet. Während des Blockunterrichts wohnen die Schüler auf dem Campus und verbringen so mehr Zeit am Stück in den Ausbildungsunternehmen. Auch ist der Zeitbedarf für die Vermittlung des schulischen Lehrstoffs geringer, sagt Monika Kolb, Geschäftsführerin des mediacampus frankfurt, im Interview mit Martin Groß-Albenhausen.

Frau Kolb, Sie haben vor fünf Jahren mit der Planung für den Internats-Schulgang der E-Commerce-Kaufleute begonnen. Warum hat es bis zum Jahr 2022/2023 gedauert?

Eine Schulgenehmigung für ein neues Berufsbild können nur etablierte Berufsschulen erhalten, und selbst für eine private Ersatzberufsschule wie den mediacampus ist das ein intensiver Prozess. Es müssen die passenden Dozent:innen gefunden, zahlreiche Qualitätskriterien erfüllt und verschiedene Gutachten ausgestellt werden. Gleichzeitig haben wir auch eine neue Aufstiegsfortbildung zur „Fachwirt:in im E-Commerce (IHK)“ entwickelt und 2020 erfolgreich umgesetzt. Dadurch haben wir bereits einige Kompetenzen entwickelt, haben qualifizierte Dozent:innen eingesetzt und hilfreiche Erfahrungen machen können, die uns in der Entwicklung des Berufsbilds E-Commerce-Kaufmann/-Kauffrau geholfen haben. Natürlich konnten wir auch schon auf die Expertise aus unseren anderen Berufsbildern zurückgreifen, da das Thema E-Commerce auch für die Ausbildung:zur Buchhändler:in oder Medienkaufmann/-frau immer wichtiger wird.  

An welche Unternehmen richtet sich die Internats-Beschulung der Kaufleute im E-Commerce auf dem mediacampus?

Wir richten uns mit unserem Angebot an alle Unternehmen, die Kaufleute im E-Commerce ausbilden. Die Auszubildenden profitieren damit besonders von dem spartenübergreifenden Austausch untereinander. Mit unserer Erfahrung aus der Buchbranche können wir eine besondere Expertise einbringen, sie geht aber noch weit darüber hinaus, denn wir wissen, dass Kompetenzen in den Bereichen E-Commerce und Omnichannel in Unternehmen sämtlicher Branchen an großer Bedeutung gewonnen haben. Dabei können wir miteinander und voneinander lernen. Große Unternehmen von kleinen und umgekehrt, genauso wie das stationäre Geschäft mit eigenem Onlineshop von dem reinen Onlinehandel. In allen Bereichen geht es darum zu wissen, was Kund:innen heute brauchen und wie diese Bedürfnisse in allen Wertschöpfungsstufen der Customer Journey umgesetzt werden können. Welche Kommunikationskanäle es braucht und wie man diese vernetzt. Wie sieht eine medienbruchfreie Customer Journey aus, natürlich auch technisches, betriebswirtschaftliches und rechtliches Know-how. Das alles lernen unsere Kaufleute und Fachwirt:innen im E-Commerce von der Pike auf. Wir hoffen auch, mit unserem Angebot Unternehmen dazu anregen zu können, eigene Fach- und Führungskräfte zu entwickeln, um auf den Fachkräftemangel zu reagieren.     

Ist es nicht eher im Sinn der Schüler und Betriebe, nahe am Ausbildungsort zur Schule zu gehen?

Die Nähe zum Ausbildungsort kann ein wichtiges Argument für eine Berufsschule sein. Als erste Berufsschule mit dem Berufsbild Kaufleute im E-Commerce im Rhein-Main-Gebiet schließen wir sogar eine Lücke, die viele Unternehmen bis jetzt davon abhält, eigene Ausbildungsplätze anzubieten. Andere Unternehmen wiederum bilden bundesweit aus. Für sie bietet der mediacampus die perfekte Gelegenheit für den gegenseitigen Austausch der Auszubildenden untereinander, die zwar im selben Unternehmen, aber an komplett verschiedenen Orten ihre Ausbildung absolvieren. Der mediacampus bringt 75 Jahre Erfahrung als Berufsschule mit. Wir wissen, was für Unternehmen in der Ausbildung besonders wichtig ist. Durch das Blocksystem, in dem die Auszubildenden für gewisse Zeitabschnitte am Campus leben und lernen, ergibt sich eine gute Planbarkeit für die Unternehmen. Sie wissen von vornherein, wann die Auszubildenden in der Berufsschule sein werden und dass es in dieser Zeit zu keinen Unterrichtsausfällen kommt. Sie haben einen zentralen Ansprechpartner für all ihre Auszubildenden und können ein einheitliches Ausbildungsniveau garantieren. Für die Auszubildenden bedeutet das Leben und Lernen am mediacampus die Möglichkeit zum konzentrierten Lernen und eine starke Vernetzung untereinander.

Kann man den negativen Effekt weiter Schulwege in Zahlen erfassen?

Der Unterricht am mediacampus findet im Blockunterricht statt. Innerhalb dieser Blöcke leben die Auszubildenden in der Regel am Campus. Das bedeutet zunächst, dass sie nur eine Anreise planen müssen. In Berufsschulen ohne Blocksystem müssen die Azubis zum Teil sehr lange Strecken zu ihrer Berufsschule zurücklegen, und das zweimal pro Woche. Das bedeutet viele Stunden mit dem ÖPNV oder im Auto zu verbringen. Wegen der weiten Wege zur nächsten Berufsschule entscheiden sich daher manche Unternehmen, gar keine Ausbildungsplätze anzubieten. Für Unternehmen im Rhein-Main-Gebiet bieten wir hier erstmalig ein Angebot in der eigenen Region. Für alle anderen ergibt sich durch den Blockunterricht die Möglichkeit einer passenden Berufsschule.

Wie sieht es rechtlich aus: Kann jedes Unternehmen frei entscheiden, wo es die Schüler zur Berufsschule schickt?

Es gibt ein Rechte auf freie Schulwahl, die im Grundgesetz verankert ist. Also ja, jedes Unternehmen darf selbst entscheiden, auf welche Berufsschule sie ihre Auszubildenden schicken wollen.

Hat die regionale IHK ggf. ein Einspruchsrecht?

Da die Schulwahl, wie gesagt, rechtlich verankert ist, haben die IHKen kein Veto, auch wenn wir schon davon gehört haben, dass es Diskussionen geben kann. Allerdings haben sie sich immer lösen lassen. Durch unsere langjährige Erfahrung haben wir ein großes Kooperationsnetzwerk an IHKen, mit guten Kontakten.

Durch das Internat kommen Zusatzkosten (Aufenthalt, Verpflegung) auf die Unternehmen zu; wie viel mehr kostet die Ausbildung Betriebe und ggf. Azubis?

Hier kommt es ganz darauf an, welche Rechenmodelle man verwendet. Es stimmt, dass am mediacampus aufgrund des Internatsbetriebs zusätzliche Kosten entstehen. Aufgrund unseres Blocksystems haben die Auszubildenden aber auch eine zu 25% kürzere Berufsschulzeit als in anderen Berufsschulen, natürlich ohne Lerninhalte wegzulassen. Das heißt, dass sie mehr Zeit im Betrieb verbringen und dadurch mehr zur Wertschöpfung beitragen. Dazu kommen die wegfallenden Fahrtkosten. Wenn man das alles in die Rechnung mit einbezieht, sieht man schnell, dass das Blockmodell nicht teurer ist.

Durch den Blockunterricht fällt der schulische Teil deutlich kürzer aus als bei öffentlichen Berufsschulen. Streichen Sie Inhalte oder wie gelingt es, den sehr umfassenden Rahmenlehrplan vollumfänglich abzubilden?

Am mediacampus gibt es eine 100%ige Unterrichtsgarantie. Sollte ein:e Dozent:in mal krank werden können wir schnell reagieren und die Unterrichtseinheit mit einem anderen Themenbereich tauschen. Selbst in Ausnahmesituationen wie wir sie zu Beginn der Pandemie erlebt haben, haben wir schnell reagiert und unseren Unterricht online fortgeführt. Die Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben, haben wir in der Zeit noch weiterentwickelt und stehen uns auch noch heute zur Verfügung, so dass wir immer ermöglichen können, den Unterricht stattfinden zu lassen. Mit unserem Unterricht erfüllen wir alle Anforderungen aus dem Rahmenlehrplan, Stoff- und Prüfungskatalog. Eine kürzere Berufsschulzeit heißt nicht, dass wir Inhalte weglassen. Das Berufsbild kann im Blockunterricht sogar integrierter ausgebildet werden.

Wie ist das Feedback der teilnehmenden Unternehmen und Schüler in der Pilotklasse?

Wir haben durchweg positives Feedback der Schüler:innen erhalten, mit denen wir im Januar mit unserer ersten Klasse Kaufleute im E-Commerce gestartet sind. Großen Anklang findet besonders unser campuseigenes Ladengeschäft mit verknüpftem Onlineshop, durch die die Schüler:innen praxisorientiert lernen und die erlernten Inhalten direkt ausprobieren können.

Der Mediacampus ist besonders im Buchhandel bekannt. Wie rege ist die Nachfrage nach dem Beruf aus dieser Branche und aus dem Verlagswesen?

Das Berufsbild stößt auf sehr großes Interesse, denn vor allem die Buchbranche hat während der Corona-Pandemie verdeutlicht, wie wirtschaftlich relevant das kanalübergreifende Verkaufen, also der E-Commerce und vor allem eine gut umgesetzt Omnichannel-Strategie sind. Insgesamt haben sich die Buchhandlungen und Verlage blitzschnell neu aufgestellt und zahlreiche neue Kommunikations- und Verkaufskanäle etabliert. Und das Ergebnis lässt sich in jeder Hinsicht als positiv bezeichnen. Die wirtschaftliche Entwicklung in der Branche ist positiv. Wir haben bereits jetzt eine erste E-Commerce Klasse etabliert, und das sowohl im klassischen Berufsschul-Modell, als auch im Abiturientenmodell. Das bedeutet konkret, dass Betriebe ihre Auszubildenden mit einer deutlich kürzeren Berufsschulzeit bei uns beschulen lassen können, aber auch dem Nachwuchs attraktive Modelle wie ein Abiturientenmodell anbieten können. In diesem erwirbt der Nachwuchs in dreieinhalb Jahren gleich drei Abschlüsse: Kaufmann oder Kauffrau im E-Commerce, Fachwirt:in im E-Commerce und die Ausbildereignung.

Sie haben noch vor der kaufmännischen E-Commerce-Ausbildung die Aufstiegsfortbildung „Fachwirtin/Fachwirt im E-Commerce“ angeboten. Wie deutlich nehmen Sie den Anforderungsunterschied dieser höherwertigen Qualifikation wahr? Könnte eine ausgelernte E-Commerce-Kauffrau sich hier gleich weiterqualifizieren?

Ja, uns ist es bereits im Jahr 2021 gelungen, mit dem ersten E-Commerce Fachwirtangebot auf dem Markt zu überzeugen. Die Anforderungen lassen sich nicht mit den Anforderungen einer dualen Ausbildung gleichsetzen und das liegt schon in der Natur der Sache.  Das Anforderungsniveau bei einer dualen Ausbildung und bei einer Fachwirtausbildung sind gesetzlich und von den entsprechenden Bildungsplayern klar geregelt. Hierfür gibt es einen Rahmenlehrplan und das zu vermittelnde Niveau ist klar in der dazugehörigen Taxonomie geregelt. Im Ergebnis erreichen die absolvent:innen unterschiedliche Bildungslevel. Um diese vergleichbar zu machen, hilft der Europäischen Qualifikationsrahmen, in dem beispielsweise die Ausbildung auf Stufe EQR 4 und der Fachwirtabschluss auf EQR 6 abgebildet ist.  Der Abschluss ist also gleichwertig zum Abschluss des Bachelors. Damit qualifizieren sich Fachwirt Absolvent:innen klar für eine erste Führungsrolle im Unternehmen und diese Kompetenzen sind darüber hinaus auch Bestandteil der inhaltlichen Vermittlung und Abschlussprüfung.

Und wie ist bisher die Erfahrung aus den Fortbildungskursen?

Unsere Dozierenden bringen alle eine sehr hohe Fachexpertise aus ihrem jeweiligen Berufsalltag mit. Die Teilnehmer:innen profitieren daher in den Fachwirtfortbildungen von einem sehr aktuellen und praxisnahen Know-how. Durch den berufsbegleitenden Ansatz können unsere Teilnehmer:innen die gelernten Inhalte direkt im eigenen Arbeitsalltag umsetzen oder eigene Prozesse im Dialog mit den Expert:innen hinterfragen und professionalisieren. Die Teilnhmer:innen kommen aus ganz unterschiedlichen Branchen, was das wechselweise lernen zusätzlich verstärkt. Wir erleben eine hohe Motivation und Begeisterung bei den Teilnehmenden und freuen uns auf den nächsten Starttermin am 15. Juni.

 

Informationen zum Internatsangebot "Kaufleute im E-Commerce"