verfasst von Martin Groß-Albenhausen
Nur Bares ist Wahres, weiß der Einzelhandelskaufmann. Die Kasse ist eine der wichtigsten Lernpositionen für Verkäufer. Und wer im B2B, zumal im Außendienst unterwegs ist, der kennt die Verhandlungen um Zahlungskonditionen, die durchaus Kundenbindung erzeugen. Hier ist der Kaufmann in seinem Element. Auch wenn er zuweilen die Übersicht verliert, welche Margenverluste er durch minimale Nachlässe oder nicht monetäre Zugaben in Summe realisiert.
| Raum | Zeit | Quantität | Qualität |
Nominalgüter-strom | Übermittlung der Zahlungsmittel von Ort zu Ort | Verbraucherkredite, Vorfinanzierung der nächsten Produktion | Sammeln und aufteilen von Zahlungsbeträgen | Umwandeln von Zahlungsmitteln und Sicherungs-formen |
Nun zählt die Bargeldlogistik sicher nicht zu den beliebtesten Wertschöpfungselementen im Handel, aber die jüngere Diskussion über die Abschaffung von Münzen und Scheinen zeigt, wie tief verankert der Griff zu Münzen und Scheinen als Verkörperung einer Tauschwährung ist.
Zu den großen Unterschieden zwischen klassischem und digitalem Handel zählt nicht zuletzt die Preisbildung an sich. Sie erfolgt bei guten E-Commerce-Unternehmen permanent neu, mit Millionen von Preisanpassungen pro Monat. Die vielfach behauptete Verunsicherung des Kunden tritt bislang faktisch nicht ein – aber in den mikroskopischen Anpassungen liegt für digitale Händler eine enorme Wertschöpfung. Es ist quasi das umgekehrte Modell zum „Goodie“, das der Vertreter noch oben drauf packt. Die vollständige Ausschöpfung dessen, was der Kunde noch mehr zu bezahlen bereit ist, bringt Gewinn. Oder die Realisierung eines fast verlorenen Umsatzes durch den minimal nötigen Nachlass am Produkt oder Leistungsbündel.
Das gilt im B2C wie im B2B. Der Marktplatz Mercateo zeigt für einen Warenkorb nicht einen, sondern drei mögliche Preise an: Den günstigsten Gesamtpreis, den für die schnellste gesamthafte Lieferung, und eine Kombination aus beiden Werten als Empfehlung. Die meisten verlassen sich auf den Vorschlag von Mercateo und ermöglichen dort für Händler und Marktplatz eine Wertoptimierung. Amazon-Nutzer wählen häufig auch eher den höheren Preis, wenn die Lieferung verlässlich über das Versandprogramm Prime erfolgt – selbst dann, wenn dieser noch über dem konsolidierten Preis aus Produktkosten und Lieferkosten beim Wettbewerber liegt. Sie zahlen eine Prämie für den verlässlichen Lieferprozess. Und niemand passt so oft so viele Preise an wie Amazon.
Im digitalen Handel ist der Einsatz von bestimmten bevorzugten Zahlungsweisen nach wie vor ein wichtiger Wertschöpfungshebel. Er treibt die Conversion und kann auf Händlerseite durch bessere Konditionen oder Verringerung von Prozesskosten Erträge einspielen. Die gerne als Wertschöpfung angeführte Kreditierung von Verbrauchern hingegen spielt heute eine nur noch marginale Rolle. Ratenkredite übernehmen ohnehin spezialisierte Institute oder neuerdings Payment Service Provider, die Kundenbonitäten aus deren Online- und Offline-Transaktionen beurteilen können.
Während gegenüber dem Verbraucher die Kreditierungs-Funktion also obsolet scheint, ist der Großhandel tatsächlich einer der größten Kreditgeber für den deutschen Mittelstand. Unstrittig ist auch, dass die Zentralregulierung der Einkaufsverbünde eine wichtige Rolle für die Auflösung der systemischen Spannung zwischen der vorlaufenden Produktion und der Nachfrage.
Dennoch hängt der Nominalgüterstrom hier von einer, wie im letzten Post dargelegt, im Digital Commerce zukünftig eher gefährdeten Handelsfunktion ab: dem Sortimentieren und nachfolgenden Einkaufen und Disponieren. In manchen Kategorien hat der Onlinehandel inzwischen eine Bedeutung erlangt, der die stationären Händler zum Umdenken zwingt – aber an der alten Wertschöpfungsstruktur fast scheitern lässt. Im Textilhandel entsteht beispielsweise Streit zwischen Herstellern und klassischen Händlern wegen der Konditionierung des „Endless Virtual Shelfs“: Die Händler erhoffen sich, durch die bessere Nachorder von im Store ausverkauften oder gar nicht in der ersten Listung enthaltenen Kollektionsteilen die Nachfrage zu realisieren, die sonst an die digitalen Wettbewerber verloren ginge. Doch wie weit lässt sich das Risiko wirklich an die Hersteller zurückdelegieren? Manche Markenhersteller sehen sich inzwischen gezwungen, selbst in den digitalen Handel einzusteigen, weil die immer geringere Distribution im stationären Handel sonst den Nominalgüterstrom versiegen lässt. Wenn sie aber digital in Vorlage gehen müssen, können sie den nachgelagerten Wertschöpfungsstufen nur geringere Leistungsrabatte gewähren.
Digitale Handelsmodelle teilen die Wertschöpfung durch Kreditierung der Hersteller. Die eingangs beschriebene Auflösung des Zusammenhangs von Information, Produkt und Transaktion bietet bis in Randgrößen hinein dabei einen viel früheren und exakteren Indikator auf die zu erwartende Nachfrage. Allerdings erfolgt eine andere Art von Einkauf – eher Category Management als Sortimentsbildung.
Für das Wohl und Wehe dieses Wertschöpfungsbestandteils ist also eine wichtige Frage, ob die Kreditierung der Hersteller von einem anderen Anbieter so überzeugend übernommen werden könnte, dass der klassische Handel hier Probleme bekommt. Im B2C-Geschäft sind heute für einige Hersteller schon die Marktplätze Ecksteine der Finanzstrategie.
Potentiell könnte von Seiten der „Fintechs“ hier ein Angriff erfolgen. Die Kapitalisierung von Paypal beispielsweise liegt über der von Deutsche Bank und Commerzbank zusammen. Das Wissen von Paypal beruht auf Transaktionen. Der Umgang mit diesen Daten könnte dem Unternehmen in Verbindung mit weiteren Erkenntnissen über transaktionale Suchen eine sehr gute Prognosegüte für die Leistungsfähigkeit eines Herstellers zumindest im B2C-Segment bieten. Auf einmal steht die Wertschöpfung des Handels aus der Kreditierung von Herstellern in Konkurrenz zur Wertschöpfung eines Zahlungsdienstleisters und könnte aus der Konditionenstaffel des Handels ganz herausgelöst werden.
Die Beschäftigung mit der Transaktion, mit Preisgestaltung, Zahlungsweisen und –konditionen ist im digitalen Handel wesentlich, weil hier enorme Wertschöpfungshebel liegen – allerdings an Stellen, die mit der Wertschöpfung an der Ladenkasse nichts zu tun haben.