Foulspiel von Drittstaaten-Plattformen

Braucht es mehr Regeln?

In der EU gelten eine ganze Reihe von Rechtsvorschriften, um zu verhindern, dass nicht regelkonforme Waren hierher gelangen. Viele dieser Regeln sind bereits in Kraft, andere befinden sich noch auf dem Weg durch das Gesetzgebungsverfahren.

Produktsicherheitsverordnung

Zu den bereits bestehenden Regeln zählen verschiedene Vorschriften im Bereich der Produkt-Compliance, die eine Art Verantwortungskaskade vorsehen: Hat der Hersteller keinen Sitz in der EU, steht der Importeur in der Verantwortung. Sitzt der Importeur ebenfalls nicht in der EU, haftet der Bevollmächtigte. Gibt es keinen Bevollmächtigten ernannt, haftet der in der EU niedergelassene Fulfillment-Dienstleister für die von ihm abgefertigte Ware. Dieser muss laut Artikel 4 der Marktüberwachungsverordnung im Zweifel die Konformitätsdokumente bereithalten und mit den Marktüberwachungsbehörden kooperieren (Erleichterung der Kontrolle der Konformitätsdokumente und der Marktüberwachungstätigkeiten insgesamt, einschließlich der Durchsetzung). Als Ultima Ratio erlaubt es die MarktüberwachungsVO den Marktüberwachungsbehörden von den Betreibern verlangen, den Zugang zu nicht konformen Produkten, die über ihre Plattform angeboten werden, zu beschränken, sofern keine anderen wirksamen Mittel zur Verfügung stehen.

Während Artikel 4 der MarktüberwachungsVO nur für bestimmte harmonisierte Produkte gilt, weitet die Produktsicherheitsverordnung, die zum Jahresende 2024 in Kraft treten wird, dieses Prinzip in den Erwägungsgründen auf sämtliche weitere Produktkategorien aus. Zudem überführt sie RAPEX in das Safety Gate. Das Safety Gate besteht aus drei Komponenten:

  • ein Schnellwarmsystem für gefährliche Non-Food Produkte, das es der Kommission und den Behörden erlaubt, Informationen auszutauschen (Safety Gate Rapid Alert System).
  • ein Webportal zur Information der Öffentlichkeit und zur Einreichung von Beschwerden (Safety Gate Portal)
  • ein Webportal, über das Unternehmen ihrer Pflicht nachkommen können, Verbraucher über gefährliche Produkte und Unfälle zu informieren (Safety Business Gateway).

Darüber hinaus nimmt die Produktsicherheitsverordnung vor allem Onlinemarktplätze in den Blick und führt neue Pflichten für sie ein (Die Verordnung ist ab 13. Dezember 2024 anzuwenden). So müssen sie sich im Safety Gate Portal registrieren und Informationen über ihren zentralen Ansprechpartner zur Verfügung stellen. Sie müssen

  • die im Safety Gate bereitgestellten Informationen berücksichtigen ohne unnötige Verzögerung und innerhalb von drei Arbeitstagen nach Eingang der Meldung gemäß Artikel 16 Digital Services Act eingegangene Meldungen zur Produktsicherheit bezüglich auf ihrem Marktplatz zum Verkauf angebotenen Produkte bearbeiten.
  • den Online-Tools der Marktaufsichtsbehörden Zugang zu ihren Plattformen gewähren, um gefährliche Produkte zu identifizieren, und das Scraping von Daten für Produktsicherheitszwecke usw. ermöglichen.
  • die Plattform so gestalten, dass der Verkäufer die relevanten Informationen zur eindeutigen Identifizierung des Produkts bereitstellen kann.

Auch in Fragen der Produkthaftung sieht die neue Produkthaftungsrichtlinie das Prinzip der Kaskadenverantwortung vor, d. h. wenn kein Verantwortlicher identifiziert werden kann, haftet im Zweifel der Markplatz für Schäden. Die Richtlinie muss nach Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union innerhalb von zwei Jahren von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden.

Digital Services Act

Umrahmt werden die Regeln vom Digital Services Act. Im Digitale Dienste Gesetz werden den Onlinemarktplätzen bestimmte Regeln auferlegt, die die auf ihnen angebotenen Produkte beteffen. U. a. müssen sie eine einzige Anlaufstelle für die Kommunikation mit den Behörden der Mitgliedsstaaten einrichten und einen gesetzlichen Vertreter in der EU benennen, wenn sie außerhalb der EU niedergelassen sind, aber Dienstleistungen in der EU anbieten (Art. 13). Zudem müssen Marktplätze ihre Händler nachverfolgen können. Für große Marktplätze, sogenannte VLOPs, gelten strengere Vorschriften.

Ein neuer Bereich, der es Behörden erlaubt, stärker gegen asiatische Plattformen durchzugreifen, entsteht gerade im Nachhaltigkeitsbereich: Die Ökodesignverordnung sieht künftig einen digitalen Produktpass für alle auf dem EU-Markt in Verkehr gebrachten Produkte vor. U.a. stärkt es Kontrollen durch Marktüberwachungsbehörden und den Zoll mit Schwerpunkt auf regulierte Produkte. In delegierten Rechtsakten der Kommission werden Überprüfungsanforderungen zur Unterstützung der Marktüberwachung festgelegt. Die Mitgliedsstaaten sollen einen eigenen Abschnitt in ihre nationale Marktüberwachungsstrategie aufnehmen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, der Europäischen Kommission über ihre Überwachungsaktivitäten zu berichten.

Verpackungsverordnung

Während die erweiterte Herstellerverantwortung im Nachhaltigkeitsbereich den Behörden wenig Mittel an die Hand geben, erlaubt die neue Verpackungsverordnung es den Mitgliedstaaten die Pflicht für Unternehmen, einen Bevollmächtigten zu benennen, auch auf Akteure aus Drittstaaten auszuweiten. Da diese Verpflichtung für Unternehmen einen großen Aufwand bedeutet, ist diese Pflicht unbedingt von den Mitgliedsstaaten auch für Akteure aus Drittstaaten umzusetzen. Nur so kann ein Level-Playing-Field gewährleistet und sichergestellt werden, dass ein Ansprechpartner für die Pflichten der erweiterten Herstellerverantwortung auch für Akteure aus Drittstaaten in jedem Mitgliedsstaat vorhanden ist.

Aktionismus wie im Bereich der Abfallrahmenrichtlinie, laut der Mitgliedsstaaten selbst bestimmen können, welche Mengenkriterien sie für die Entrichtung höherer Gebühren geltend machen, um Ware als „Fast Fashion“ zu deklarieren, macht wenig Sinn. Denn die Menge in Verkehr gebrachter Produkte sagt nichts zu ihrer Nachhaltigkeit aus und die Öffnungsklausel für die Mitgliedsstaaten wird dem Binnenmarkt und damit dem innereuropäischen Handel extrem schaden.

Zollbehörden

Auch der Zollkodex der EU wird gerade überarbeitet, um die Kontrollen künftig besser und effektiver zu gestalten. Auch wenn Änderungen wohl frühestens im Jahr 2028 in Kraft treten, versprechen sich viele Besserung durch die vorgeschlagene Abschaffung der Zollfreigrenze von 150 Euro. Das heißt aber auch, dass für jede Sendung eine Zollanmeldung vorzunehmen und Zoll abzuführen ist. Dies wird jedoch wenig helfen, da es zwar zu mehr Zollerklärungen kommen wird, diese aber auch von jemandem überprüft werden müssen. Deshalb braucht es eine bessere personelle Ausstattung, Durchsetzbarkeit und Digitalisierungsmaßnahmen seitens des Zolls.

  • Als flankierenden Maßnahmen sieht die Überarbeitung des Zollkodex vor, dass Markplätze selbst als „Deemed Importers“, also als Importeure für die über sie verkaufte Ware gelten und als solche alle steuerlichen und nicht-steuerlichen Pflichten für die über sie einführenden Marktplatzhändler übernehmen müssen.
  • Außerdem soll ab 2028 (tbc) das Customs Data Hub dafür sorgen, dass Daten von E-Commerce-Verkäufern zentral eingegeben werden können und die Behörden einen 360-Grad-Überblick über Lieferketten und Warenbewegungen bekommen, indem ihre Mitarbeiter durch eine Kombination aus Machine Learning und KI unterstützt werden.
  • Darüber hinaus wird eine zentrale EU-Zollbehörde eingerichtet, die Informationen und Fachwissen auf EU-Ebene bündelt, um die Zollbehörden in den Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, Risiken zu priorisieren, Kontrollen zu koordinieren und die Zusammenarbeit zwischen Zoll- und Marktüberwachungsbehörden zu verbessern.
  • Eine weitere Ergänzung bietet das System der Trust & Check Traders, eine Art Anreizsystem für redliche Händler, das es erlaubt, Ware ohne aktive Zollkontrolle in Umlauf zu bringen. Die dafür in Frage kommenden Händler müssen einen Sitz in der EU haben, seit mindestens 3 Jahren regelkonform sein, und den Zollbehörden den Zugriff auf ihre Systeme erlauben, um die Einhaltung der Zollregeln regelmäßig überprüfen zu können.

Die Verhandlungen im Rat zur Überarbeitung des Zollkodex sollen bis 2026 abgeschlossen sein. Seit März 2023 müssen den EU-Zollbehörden vor Ankunft der Waren, die auf dem Luftweg kommen, Sicherheitsdaten über die summarische Eingangsmeldung übermittelt werden. Seit Juni 2024 gilt dies auch für Ware, die über den Schienen-, Wasser- oder Straßenweg eintreffen.

VAT in the Digital Age

Der Umgehung der Pflichten im Bereich Umsatzsteuer von unlauteren Akteuren in Drittstaaten soll durch das Gesetzesvorhaben „VAT in the Digital Age“ Einhalt geboten werden. In diesem Rahmen soll die Nutzung des sogenannten Import One Stop Shop zur Meldung der Umsatzsteuer für Onlinemarktplätze für importierte Ware mit einem intrinsischen Wert bis zu 150  Euro verpflichtend gemacht werden. Außerdem sollen Marktplätze für alle über sie getätigten Verkäufe an EU-Kunden als fiktive Lieferanten (“Deemed Supplier”) behandelt werden. Das heißt, dass sie die Umsatzsteuer für die auf ihnen getätigten Verkäufe melden und entrichten müssen.

Die nationalen Bestrebungen in diesem Bereich blieben hingegen ohne große Wirkung. Die 2019 in Deutschland eingeführte nationale Umsatzsteuerhaftung für die in Deutschland registrierten Marktplätze führte zwar zu einer deutlichen Zunahme der umsatzsteuerlichen Registrierungen von E-Commerce-Händlern aus Drittländern. Das Mittel der umsatzsteuerlichen Außenprüfung bei eben diesen Händlern fand jedoch keine häufige Anwendung. Bekannt wurde genau ein Fall der Inanspruchnahme der Marktplatzhaftung mit einem steuerlichen Erlös von 1640,50 Euro Umsatzsteuer (Quelle: www.taxdoo.com/de/blog/amazon-guthaben-umsatzsteuer-61208/).

Erst die Lieferkettenfiktion über das Meldeverfahren IOSS seit 1. Juli 2021 erhöhte das Umsatzsteueraufkommen erheblich. Die generelle Verpflichtung zur Registrierung für Unternehmen, die Fernverkäufe importierter Waren unter einem Gesamtwert von 150 Euro an europäische Endkunden richten, oder für Betreiber elektronischer Schnittstellen, wäre dem Ansinnen des Gesetzgebers, Umsatzsteuerumgehung zu unterbinden, on top zuträglich.