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Webgeschäft braucht Datenschutz als entscheidenden Vertrauensanker

Einkaufen in Zukunft. Ein Gastbeitrag von Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen

Der E-Commerce steht regelmäßig im Zentrum gesellschaftlicher Debatten. Das ist ein gutes Zeichen, denn es zeigt: Die Branche bewegt. Deshalb hat der bevh Wissenschaftler, Politiker und Verbände gefragt, wie sie den E-Commerce sehen. Dabei lassen wir selbstverständlich auch diejenigen zu Wort kommen, die nicht unserer Meinung sind und laden alle Leser dazu ein, die Beiträge kritisch zu kommentieren. Der bevh wird zudem auf Grundlage der Beiträge ein Thesenpapier erarbeiten, das nach Abschluss der Reihe die Beiträge aufnimmt. Bis dahin können Sie im September und Oktober jede Woche Dienstag im Rahmen unserer Beitragsreihe „Einkaufen in Zukunft“ lesen, was andere über den E-Commerce denken. 

Heute mit Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen

Erfolg in E-Commerce und Versandhandel sind von zahlreichen Voraussetzungen abhängig, welche die beteiligten Verbände und Unternehmen selbst kaum garantieren können. Dies betrifft maßgeblich das Ansehen der in Anspruch genommenen Infrastruktur, das Internet. Kaum ein anderes Business dürfte aufgrund des fehlenden direkten Kundenkontaktes von eher mittelbaren Feel-Good Faktoren abhängig sein. Erfreut sich das Medium einer hohen Akzeptanz, so steigt auch der Umsatz. Wird das Vertrauen in diese Infrastruktur beschädigt, so sinkt tendenziell die Akzeptanz und der Blick der Verbraucher wandert ab und hin zu Alternativen.

Das Interesse an einer vertrauenswürdigen Infrastruktur eint alle, denen das Internet zur selbstverständlichen Grundlage ihrer beruflichen oder privaten Tätigkeiten geworden ist. Umso ernster sind die Entwicklungen der zurückliegenden Jahre rund um das Thema Datenschutz. Nicht erst die Snowden-Veröffentlichungen haben das gezeigt. Die Stärkung des Verbrauchervertrauen durch mehr, nicht weniger Datenschutz wird seit anderthalb Jahrzehnten diskutiert. Reformen der Datenschutzgesetze konnten hingegen immer nur rudimentär und unter maximalem Widerstand der betroffenen Verbände durchgeführt werden. So wurde die Reform des Bundesdatenschutzgesetzes in 2009 entsprechend eindeutig wegen ihrer verwässerten Vorschriften kritisiert. Selbst die wenigen Neuregelungen, mit denen zum Teil große Hoffnungen verbunden waren, endeten bereits wenige Jahre später vor dem Bundesgerichtshof: das Scoring-Urteil etwa enttäuschte die Klägerin, die ausreichende Auskunft zu den Kriterien einer Scoringbewertung erstreiten wurde und wieder wurde kein Rechtsfrieden geschaffen. Das Verfahren wird nun voraussichtlich vor dem Bundesverfassungsgericht enden. Auch zum Geoscoring, der Heranziehung statistischer Vorurteile über Wohngebiete für Fragen der Vertragsabwicklung konnte durch die Lückenhaftigkeit der Neuregelung kein Rechtsfrieden hergestellt werden.

Die 2010 durch die Initiative der Europäischen Kommission aufkeimende Hoffnung, es könne via Brüssel einen glücklichen Neustart des Datenschutzes und eine zeitgemäße Rechtssicherheit in diesem Feld geben, ist längst der nüchternen Realität eines bis heute nicht abgeschlossenen, im politischen Häuserkampf feststeckenden Reformprojekts gewichen. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass auch mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen, auch und insbesondere mit Blick auf die dominierende US-IT-Industrie, die Sicherung der Anwendbarkeit und Durchsetzbarkeit europäischer Datenschutzregelungen einen bedeutenden Schritt für mehr Bürgerrechte und mehr fairen Wettbewerb bedeuten könnte.

Auf dem Höhepunkt der Streitigkeiten um die Datenschutzgrundverordnung insbesondere im Europäischen Parlament traf die Welt der internationale Überwachungs- und Spähskandal. Er belastet alle – die Bürger an vorderster Stelle, weil sie gerade erst zu realisieren beginnen, dass ihre Demokratien eine abgründige Facette als Überwachungsstaat entwickelt haben. Die Unternehmen, weil diese sich nicht nur ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht mehr sicher sein können, sondern weil Überwachung auch das Verbrauchervertrauen in die Netzstruktur unterminiert. Und zuletzt auch staatliche Strukturen, weil diese als im Lager der Geheimdienste stehend wahrgenommen werden. Und nicht ausgeschlossen werden kann, dass die bei staatlichen Behörden vorgehaltenen Behörden dort auch nicht mehr sicher sind.

Vor diesem Hintergrund kann es auch in E-Commerce und Versandhandel kein Leisetreten und kein business as usual geben. Die US-Internetökonomie hat, nach langem Zögern und immer noch zu halbherzig, mit diversen Initiativen in Washington begonnen, ihre Stimme gegen die Massenausspähung von Webinfrastrukturen, gegen die Infiltrierung von Servern und Glasfaserleitungen sowie die gezielte Manipulation von Hard- und Software zu erheben.

Es wäre klug, wenn sich auch weitere deutsche Unternehmen ihrer Zurückhaltung entledigten und auf Reformen und wirkungsvolle Grenzen der Überwachungsaktivitäten der Geheimdienstapparate drängten. Denn auch der BND ist Teil der internationalen Spähnetzwerke, und die Glaubwürdigkeit deutscher Vorschläge für mehr privacy hängen davon ab, ob gründlich vor der eigenen Tür gekehrt wird.

Ebenso von Nutzen wäre ein mehr vernehmbarer Einsatz für eine erfolgreiche Beendigung der Verhandlungen um die Europäische Datenschutzgrundverordnung im Rat sowie die Eröffnung des Trilogs. Denn eine Vielzahl der den E-Commerce betreffenden Frage können bereits seit mehreren Jahren allenfalls in mühseligen Rechtsstreitigkeiten einer punktuellen Rechtssicherheit zugeführt werden. Am Ende wird sich der Datenschutz, und davon bin ich zutiefst überzeugt, als ein entscheidender Vertrauensanker auch im digitalen Geschäft durchsetzen. Seine laufende problembezogene Modernisierung zählt zu den Grundbausteinen einer tragfähigen digitalen Agenda.