Blog:

Was ist "normal" im E-Commerce?

Gedanken zur Ausbildung von Martin Groß-Albenhausen

Seit November 2016 wird der E-Commerce vermessen. Genauer gesagt: das Berufsbild, die typischen, differenzierenden Handlungen in unserer Branche. „Was mit Internet“ ist häufig die Antwort, wenn Oma zu erklären versucht, was Emmas Enkel so den ganzen Tag treibt. Jeder hat eine Vorstellung davon, was ein Einzelhändler macht. Aber der Onlinehändler?

Die „Sachverständigen-Kommission des Bundes zur Neuordnung des Ausbildungsberufs der E-Commerce-Kaufleute“ (so der offizielle Titel) legt fest, was jemand zwingend im Rahmen seiner Ausbildung im E-Commerce gelernt haben muss. Der doppelte Imperativ (zwingend! muss!) steht hier bewusst, denn die resultierende Ausbildungsverordnung legt die Fertigkeiten fest, die ein Unternehmen von einer Fachkraft im E-Commerce mindestens erwarten kann.

Wenn man auf einer der Veranstaltungen des Frühjahrs, z.B. auf der Internet World, dem DCD oder der K5, die dort anwesenden Experten befragen würde, was jeder E-Commerce-Macher können muss, würde vermutlich ein Lehrbuch herauskommen, das Andre Alpars oder Mario Fischers Standardwerke wie Frühstückslektüre aussehen ließe. Sperrte man dieselben Experten in einen Raum und verpflichete sie, die demonstrative Einigkeit („mit uns läuft die neue Zeit!“) auf 15 Mindest-Gebote zu kondensieren – wie viel common sense gäbe es wirklich?

Dabei liegt die besondere Herausforderung darin, Tätigkeiten so zu beschreiben, dass kein bestehendes Geschäftsmodell als zwingend vorausgesetzt wird. Wieso? Weil E-Commerce eben nicht auf einen Onlineshop reduziert werden kann. Und weil auch bei aller Wahrnehmung von Multichannel-Nutzung nicht gesetzt werden darf, dass ein E-Commerce-Unternehmer mehr als einen einzigen Kanal (für Werbung etc.) nutzt. In einer Branche, in der sich das Wissen alle 11 Monate halbiert und im Jahrestakt neue Kanäle samt proprietären Absatzmodellen entstehen, würde die Verordnung eines bestimmten Mediums den Ausbildungsplan zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt schon revisionsbedürftig machen.

So ringen die Experten um Formulierungen, die hinreichend offen bleiben, um auch solche Unternehmen als Ausbildungsbetriebe einzubinden, die keinen eigenen Shop betreiben, sondern nur über Plattformen verkaufen. Oder die sich von der Werbung in einer Suchmaschine völlig verabschiedet haben. Oder die perfekte Verkaufsberatung über Sprachdialoge (Alexa, Siri, Cortana, Google Home) bieten, aber keinen einzigen Screen designen.

  • Wer das, was heute im E-Commerce Repräsentationen der Daten sind, als „normal“ betrachtet und im Ausbildungsplan mit seinen vorgeschriebenen Tätigkeiten „normiert“, verkennt das Paradigma der Digitalisierung. Panta rhei. 

Ein Ding der Unmöglichkeit? Die Sachverständigen des Bundes – Praktiker aus dem Online- und Multichannel-Handel – spalten mit Begeisterung Haare: sie zerlegen etwa den Checkout-Prozess in seine Bestandteile; sie beschreiben und unterscheiden beispielsweise den Dispositions- und Lieferungsprozess zwischen Dropshipping und eigener Bevorratung in E-Commerce-Szenarien und führen beide auf die gemeinsamen spezifischen Tätigkeiten zurück; sie vollziehen die Prozesse im Performance-Marketing nach und leiten die nötigen Fertigkeiten der E-Commerce-Mitarbeiter ab.

E-Commerce steht für sich allein, ragt aber auch in die Arbeitsfelder der Produktion, des Handwerks und jeglicher anderer Branchen hinein. Die Fachkräfte können als Einzelunternehmer erfolgreich werden oder im Unternehmen andere Abteilungen unterstützen.

Sie werden die Macher des neuen Handels – der eben immer wieder nicht normal ist.