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Wahlanalyse reloaded – Parteiprogramme zur Europawahl im E-Commerce-Schnellcheck

Keine Frage; mit der gerichtlichen Untersagung, den Wahl-O-Mat weiterbetreiben zu dürfen, ist VOLT ein medienträchtiger Coup gelungen. Und auch wenn ich der Argumentation von VOLT folgen kann, hinterlässt dieser Sieg für die demokratische Willensbildung bei mir einen faden Beigeschmack. Gerade im Vorfeld der nur bedingt begeisterungsfähigen Wahlen zum Europäischen Parlament empfinde ich das Fehlen des Wahl-O-Mat als Aufklärungs- und Unterscheidungstool und darüber hinaus für gewiss nicht Wenige als Motivator, am Wahltag überhaupt die Urne aufzusuchen, als überaus bedauerlich. Die Lektüre der Wahlprogramme aller Parteien und politischen Gruppierungen, die am kommenden Sonntag um Stimmen buhlen, ist jedenfalls keine probate Alternative. Selbst wenn man sich, so wie auch ich, als politisch interessiert versteht, erweist sich das Lesen von 40 teilweise gut 200 Seiten langen Wahlprogrammen offenkundig als nicht vergnügungssteuerpflichtig. Auch deshalb habe ich mich im Rahmen des traditionellen bevh-Parteienchecks im Vorfeld von Wahlen auch dieses Mal auf die Programme der „etablierten“, demokratischen Parteien beschränkt. Und auf das von VOLT.

In allen gesichteten Parteiprogrammen dominieren die Themen Umwelt, Soziale Gerechtigkeit, Steuergerechtigkeit, Digitalisierung und Migration. Abseits der politischen Ränder bleibt schon deshalb die Unterscheidungskraft unter den Parteien weitestgehend gering. Unsere zum Wahlkampfauftakt im März 2019 vorgestellten „Sieben Punkte“ haben erwartungsgemäß nur sehr vereinzelt Niederschlag in den Programmen gefunden. Gezeichnet wird zumeist das Big Picture, Detailaspekte haben es da nicht leicht.

Nachfolgend habe ich die für unsere Branche meines Erachtens wichtigsten Aussagen zusammengetragen, wie immer ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. 


CDU/CSU (EVP)

„Wir wollen den Binnenmarkt weiter stärken. Dazu wollen wir bestehende Hindernisse schrittweise abbauen sowie Infrastruktur, Bildung und Forschung für mehr Wohlstand und Arbeitsplätze in Europa ausbauen.“ 

„Unser Europa will den zusätzlichen Aufwand der Wirtschaft für jede neue Regel mindestens in demselben Umfang an anderer Stelle reduzieren.“ 

„Wir wollen den Wettbewerb stärken und ihn durch gute Rahmenbedingungen in den Dienst der Menschen und der im Binnenmarkt tätigen Unternehmen stellen.“ 

„Wir brauchen eine faire Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Alle Unternehmen sollen Steuern zahlen. Dabei setzen wir uns in der EU und international weiterhin für abgestimmte Lösungen auf Basis einer virtuellen Betriebsstätte ein. Auch brauchen wir eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, damit Unternehmen in Europa möglichst nach gleichen Regeln besteuert werden.“

„Zur anstehenden Überarbeitung der Datenschutzgrundverordnung soll auf EU-Ebene ein Innovations-Board eingerichtet werden, um die Grundverordnung innovationsoffen, zukunftsweisend und gerade für Mittelstand, Gründer und Ehrenamtler anwendungsfreundlicher zu gestalten.“

„Bei der Digitalisierung muss Europa schneller werden. Daher arbeiten wir an einem europäischen Mobilfunknetz 5G und einheitlichen IT-Datenstandards für Computer und alle Arten von digitalen Geräten.“

„Wir setzen uns für einen nachhaltigen Ausbau von Straßen und Schienen sowie leistungsfähiger Wasserstraßen, Häfen und Flughäfen ein.“


FDP 

„Deshalb setzen wir uns auf europäischer Ebene für die Einführung einer „One in, two out“-Regelung mit Blick auf die daraus entstehende Belastung ein, um die immer zahlreicher werdende EU-Gesetzgebung bürokratieärmer zu gestalten.“ 

„Ein ambitionierterer Breitbandausbau ist daher Grundvoraussetzung für Innovation und Teilhabe an der Digitalisierung. Wir können es uns nicht leisten, auch auf der Datenautobahn im Stau zu stehen, sondern brauchen hochleistungsfähiges Internet für den Down- und Upload. Glasfaser bis zur Haustür muss in der Europäischen Union (EU) Standard werden. Vectoring von Kupfer-Telefonleitungen darf nicht zu Re-Monopolisierungen führen.“

Datenschutzsicherheit als Standortvorteil Europas.“ 

„Überlegungen wie die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Digitalsteuer als eine Art zweite Umsatzsteuer stoßen bei uns auf Ablehnung.“ 

„Wir wollen die DSGVO konsequent weiterentwickeln. Insbesondere werden wir darauf achten, dass die Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen, deren Kerngeschäft nicht der Umgang mit personenbezogenen Daten ist, und ihre Belange stärker berücksichtigt werden und der bürokratische Aufwand der einzelnen Verpflichtungen überprüft und datenschutzrechtlich ebenso wirksame, aber weniger aufwendige technische Lösungen berücksichtigt werden.“

„Im Bereich der geplanten E-Privacy-Verordnung ist im Sinne des Medienpluralismus ein Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse auf Privatsphäre und der Refinanzierungsmo- delle der durch Online-Werbung finanzierten Online-Medien. Die Verarbeitung von Daten, auch auf der Ebene der Endgeräte der Nutzer (durch Cookies und vergleichbarer Technologien), soll in der E-Privacy-Verordnung daher in materiellrechtlicher Sicht nicht hinter die bisherigen Standards zurückfallen.“ 

„Dazu fordern wir europäische Digital-Freiheitszonen. Durch Experimentierräume und Öffnungsklauseln wollen wir grenzüberschreitende „Sonderwirtschaftszonen“ für digitale Ausgründungen von Unternehmen, Start-ups und Spin-offs schaffen.“


LINKE 

„Die LINKE will mit Abkommen über Partnerschaft und fairen Handel die globalen Wirtschaftsbeziehungen der Europäischen Union neu ausrichten und die bestehenden Handelsabkommen ersetzen.“

„Bei transnationalen Unternehmen kommt es weltweit zu schweren Menschenrechtsverletzungen.“ 

„Profite müssen in den Ländern besteuert werden, in denen die Nutzer*innen der Digitaldienste sie nutzen (Virtuelle Betriebsstätte).“

„Stattdessen halten wir eine Digitalsteuer, die die großen Plattformen in die Verantwortung nimmt, für den geeigneten Weg.“

„Verstöße gegen den Datenschutz wollen wir schärfer bestrafen und Datenschutzbeauftragte stärken.“ 

„Private elektronische Kommunikation (E-Privacy-Verordnung) muss stärker reguliert werden.“


Grüne

„Wer europaweit verkaufen darf, muss auch europaweit gleichwertig besteuert werden. Deshalb ist eine einheitliche Unternehmensbesteuerung die logische Fortsetzung des Binnenmarktes.“

„Die Kommission hat einen Plan für ein einheitliches Mehrwertsteuergebiet in der EU vorgelegt. ... Wir unterstützen das Ziel der Kommission.“

„Damit die europäische Wettbewerbspolitik den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, fordern wir ein eigenständiges europäisches Kartellamt mit angemessenen Mitteln und Personal. Dieses Kartellamt soll auch als europäische Digitalaufsicht fungieren. Die Marktmacht der großen Digitalkonzerne wollen wir so gemeinsam kontrollieren und begrenzen.“

„Aber welche personenbeziehbaren Daten im Internet preisgegeben, gesammelt und gespeichert werden, das sollen die Betroffenen selbstbestimmt entscheiden können – und nicht Internet-Giganten wie Google oder Facebook.“ 

„Daher setzen wir uns für eine europäische Transparenzrichtlinie ein, die die gesamte Herstellungs- und Lieferkette der Textilindustrie umfasst und die Einhaltung konkreter Sorg- faltspflichten auf allen Stufen garantiert.“ 

„Frühzeitiger Verschleiß von Produkten ist für die Verbraucher*innen ein teures Ärgernis, verschwendet Ressourcen und lässt die Müllberge weiter wachsen. Unser Ziel sind langlebige Produkte, die repariert und recycelt werden können.“

„Wir wollen den digitalen Wandel demokratisch, ökologisch, sozial und feministisch gestalten.“ 

„Insbesondere die Plattformökonomie mit ihren Netzwerkeffekten schafft zunehmend Monopole und geschlossene Strukturen. ... Gegenüber marktmächtigen Plattformen und Anbietern brauchen wir ein Europa, das mit einer Stimme spricht, um für den Schutz von Verbraucher*innenrechten, fairen Wettbewerb und den Erhalt öffentlicher Güter zu sorgen.“


SPD

„Das wollen wir beenden und bis Ende 2020 eine globale Mindestbesteuerung der digitalen Unternehmen einführen. Gleichzeitig treiben wir eine europäische Lösung voran – für den Fall, dass die internationale Lösung nicht zu erreichen ist. Den gemeinsamen deutsch-französischen Vorschlag für eine Besteuerung der digitalen Wirtschaft ab dem 1. Januar 2021 wollen wir zügig in Europa umsetzen. ... Die Frage der Steuergerechtigkeit wird ein Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020.“

Mindestlohn von 12 Euro in Deutschland und länderspezifischer Mindestlöhne in allen Mitgliedsstaaten.“

„Wir wollen keine digitalen Tagelöhnerinnen und Tagelöhner, die nur auf Abruf arbeiten können. ... Eine EU-Richtlinie zum Schutz von Beschäftigten auf Online-Plattformen, um faire Lohn- und Arbeitsbedingungen in der digitalen Arbeitswelt sicherzustellen.“

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort explizit auf das Transportgewerbe anzuwenden.“

„Die Tarifbindung wird dadurch gestärkt, dass Tariftreue künftig besonders positiv im Ausschreibungs- und Vergabeverfahren vorausgesetzt wird. Unternehmen, die als Sozialpartner anständig bezahlen, sollen nicht das Nachsehen haben gegenüber denjeni- gen, die auf Kosten der Beschäftigten Lohndumping betreiben.“ 

„Eine bessere und wirksamere Integration der Wirtschaftspolitik – perspektivisch mit der Einrichtung einer Wirtschaftsregierung für den Euro-Raum unter politischer Führung eines europäischen Wirtschafts- und Finanzministers.“ 

Daten für alle - digitale Monopole aufbrechen: Google, Amazon und Facebook sind zu Datenmonopolen mit unglaublicher Macht geworden. Wir werden den offenen Zugang zur Nutzung von vollständig anonymisierten und nicht-personenbezogenen Daten in Europa sicherstellen und verhindern, dass Datenschätze weiterhin von einigen Monopol-Konzernen exklusiv verwertet werden. ... Zudem werden wir Anreize für gemeinsame Datenpools schaffen, die es Unternehmen ermöglichen, auf freiwilliger Basis Daten zu teilen.“

„Wir wollen schnelles Internet und flächendeckenden Mobilfunk für alle Bürgerinnen und Bürger gerade auch in ländlichen Regionen. Die Versorgung gehört zur Daseinsvorsorge und muss daher zu 100% in der Fläche sichergestellt werden.“

„Wer im Internet unterwegs ist, soll besser vor unerwünschter Werbung und Nachspionieren („tracking“) geschützt werden. Dafür überwinden wir die konservativen Widerstände gegen die E-Privacy-Verordnung.“

„Alltagsgeschäfte auch online anonym bezahlen. Über die bargeldlose Bezahlung ist das Erstellen von persönlichen Profilen möglich. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen in der Lage sein, bei Alltagsgeschäften online anonym zu bezahlen – in dem Rahmen, in dem dies auch bei Bargeldzahlungen möglich ist.“

„Pflicht für Transparenz für Online-Marktplätze. Sie sollen deutlich sichtbar machen, welche Kriterien für die Sortierung von Suchergebnissen zugrunde gelegt werden, insbesondere auch darüber, ob Provisionen fließen. „Bezahlte Platzierungen“ müssen klar erkennbar sein.“

„Differenzierung darf nicht zu Diskriminierung führen, deshalb wollen wir individualisierte Preise und verhaltensabhängige Versicherungstarife gesetzlich beschränken.“


VOLT

VOLT fordert „nichts Geringeres als ein neues, besseres Europa.“ Die Amsterdam-Deklaration, das Wahlprogramm von VOLT, ist ein Potpourri an Wünschen und Ideen, die wohl der ganz überwiegende Teil der Bürgerinnen und Bürger Europas unterstützen und mittragen: Wirtschaft stärken und nachhaltig aufstellen, Bildung stärken, vertrauenswürdige Medien verfügbar machen, Stärkung der innereuropäischen Sicherheit, Sicherung der digitalen Infrastruktur, usw. usf.. Das Wahlprogramm von VOLT erinnert mich an die Wunschzettel meines Sohnes vor seinen Geburtstagen oder zu Weihnachten. Im Unterschied zu VOLT hat mein Sohn auf die Finanzierungsfrage aber wenigstens ein „Na Papa!“ parat. Bei VOLT herrscht hierzu Fehlanzeige. Wer aber „menschenwürdige Lebensstandards durch die Einführung eines Mindesteinkommens oberhalb der Armutsgrenze des jeweiligen Mitgliedsstaats“ fordert, „EU-Mittel in ökonomisch schwache Regionen“ leiten oder „EU-Mittel für Lehrende“ erhöhen will und zugleich jede Antwort auf das Wie der Finanzierung schuldig bleibt, handelt meines Erachtens ähnlich populistisch und nicht weniger unlauter als die Vollpfosten an den äußersten rechten und linken Rändern. VOLT erreicht Herz, aber nicht den Verstand; und dennoch drücke ich diesen Europa-Enthusiasten fest die Daumen.