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Unechte und echte Disruption im Handel - zwei Beispiele

verfasst von Martin Groß-Albenhausen

Am Donnerstag auf dem Tengelmann e-Day hatte ich die Gelegenheit, einen Startup-Pitch der Firma Springlane zu verfolgen. Springlane ist ein sog. „Vertical“ im Segment der Küchenutensilien. Oder auf altdeutsch: Ein Spezialversender wie Hagen Grote, nur eben online. Und mit dem Anspruch, diesen Markt zu „disruptieren“. Die Gründer erläuterten das in etwa so:

  • „Wir wollten unbedingt einen Markt disruptieren. Und dann haben wir uns Vertical für Vertical angeschaut, wo das klappen könnte. Und dann sind wir auf den Bereich der Küchenutensilien und die Zielgruppe der Foodies gekommen.“

Ein großer Anspruch und absolut gültiger Ansatz. Er zeigt, wie heutzutage Wettbewerb entsteht: nicht aus einem generischen Interesse für ein Sortiment oder ein Thema, sondern aus dem nackten Bewusstsein, die Ineffizienz und digitale „Rückständigkeit“ in einem beliebigen Teilmarkt nutzen zu können. Zunächst ziehen die Angreifer die Online-Nachfrage mit hohen Anlaufverlusten auf sich, um dann über die Skaleneffekte – notfalls international abgestützt – allmählich profitabel zu werden.

Nun ist es ja nicht so, dass die offensichtliche Nachfrage nicht bisher schon gedeckt worden wäre. Da gibt es die WMF und Hagen Grote dieser Welt. Dass es aller neuen und alten Begeisterung für das Thema Kochen (und allen Koch-Shows) zum Trotz keinen Williams-Sonoma in Deutschland gibt, könnte also auch daran liegen, dass die Küche hierzulande nicht den gleichen Status genießt und eine belastbare, andauernde Nachfrage nur eine bestimmte Größenordnung erreicht.

So zumindest denken vielleicht die traditionellen Händler, die ihre Zielgruppe gut ausschöpfen und in der Werbung sehr deutlich den abnehmenden Grenznutzen erkennen.

Fast technokratisch geht hingegen Springlane mit einem extrem am Kundeninteresse orientierten Modell vor. Ohne primär Rücksicht auf CLV-profitable Conversions zu nehmen, baut das Team ein auf Content- und Performance-Marketing basierendes Modell auf, das eine hohe primäre Ansprache weit über diejenigen hinaus ermöglicht, die sich mit dem Kauf von Küchenutensilien generell beschäftigen würden. Wenigstens teilweise wird hier also tatsächlich ein neuer Markt erschlossen, und Springlane kann sich bei allen bedanken, die sie haben gewähren lassen. Und die im Gegenzug feststellen, dass ihre alte, an sich gut bediente Zielgruppe sich auf einmal von ihnen wegbewegt.

Und so bedeutet diese Disruption: für 5-10 Jahre rote Umsätze beim Angreifer, und allmählich weniger schwarze Umsätze beim Verteidiger, der oft gar nicht in der Lage ist, sein Werbemodell vergleichbar umzustellen. Er wäre in zwei Jahren pleite. Und wem wollte er welche Story auch verkaufen? Den Banken?

Diese Art von Disruption halte ich, wie gesagt, für legitim - aber auch für endlich und gewissermaßen "unecht".

Denn es ist eigentlich nur eine andere Art von Marktbearbeitung. Wobei "nur" nicht abwerten soll - Springlane erzeugt eine eigene Art von Customer Journey und schafft es, dass andere Händler mit ihren Produkten und Kampagnen nicht mehr auf einen aufnahmebereiten Markt treffen. Am Ende steht allerdings ein, pardon, langweiliger Onlineshop. Der Thermomix und kochzauber.de sind da ein größeres Kaliber, weil sie das Kocherlebnis an sich neu erfinden und ein eigenes Ökosystem schaffen können. 

Es gibt in diesem Sinn noch eine zweite Art von Disruption – ein schleichender Prozess zu einem unvermeidbaren Umbruch. Hier geht es um die Beseitigung von Ineffizienz in einer kompletten Wertschöpfungskette.

Ein Beispiel dafür konnte ich am Freitag in Frankfurt erahnen. Die dortige IHK hat einen stark nachgefragten Informationstag zu neuen Bildungsberufen im Zeitalter von Industrie 4.0 veranstaltet. Der bevh hat hier den geplanten neuen Ausbildungsberuf „E-Commerce-Kaufleute“ vorgestellt.

Der letzte Vortrag ging auf ein digitales Projekt im Bauhandwerk ein. „eWorkBau“ etabliert ein relativ neues Planungsverfahren, bei dem die Architekten oder Bauunternehmer digital vernetzte Entwürfe mit den Gewerken teilen. Hinter dem Planungstool liegen sog. IFC-Daten. Wenn der Architekt ein Objekt (z.B. einen T-Träger) vorsieht und mit dem Tool in der Skizze einbaut, schleppt dieses Objekt einen ganzen Kranz von Attributen und zugehörigen weiteren Objekten mit sich. Bis zum einzelnen Nagel werden die benötigten Materialien dabei listenmäßig aufgebaut. Mehr noch: Das Tool erstellt auch einen logischen Beschaffungsplan mit allen Mengen und Lieferzeitpunkten.

Solches „BIM“ – Building Information Modelling  – ist in diesem Bereich nichts anderes als eine Arbeitsform von „PIM“. Die Erfahrungen zeigen, dass ältere Handwerker sich nur schwer auf BIM einlassen. Jüngere hingegen nutzen die Schulungsangebote gern.

Nun ist der Baustoffhandel vermutlich das am wenigsten vom E-Commerce berührte B2B-Geschäftsmodell. Man könnte also davon ausgehen, dass die Handwerker die Plandaten im Zuge der Ausschreibung bekommen, ihre Materialkosten hochrechnen, den Arbeitslohn und kalkulatorischen Unternehmerlohn etc. aufschlagen und anbieten. Und dann einfach wie bisher einkaufen. Oder, wenn sie etwas affiner sind, die Stücklisten in den Warenkorb beim Baustoffhändler übertragen und online bestellen.

Allerdings gibt es da auf einmal neue Player im Spiel. So haben die Hersteller die Hoheit über ihre Daten; und sie entwickeln unique Produkte. Der Handwerker ist bei bestimmten Elementen (z.B. Gipskartonwänden, wenn Brandschutzklassen in Kombination mit maximalen Wandstärken geplant werden) gar nicht mehr frei in der Beschaffung. Er kann nur ein eindeutiges Produkt kaufen. Und der Händler kann nur ein eindeutiges Produkt anbieten.

Auf einmal kommt durch die IFC-Daten, die in einem Cloudmodell mit allen Verfahrensbeteiligten geteilt werden, eine hohe Transparenz in das Geschäft. 

  • Wer macht den Preis der Produkte? 
  • Wer bietet eigentlich an? 
  • Werden auf einmal die Handwerksleistung und die Handelsleistung, die im dreistufigen Vertrieb gebündelt werden, wieder aufgesplittet? 
  • Und wie kann sich bzw. muss sich der Händler aufstellen, wenn auf einmal das Material vor allem „bauseits“ gestellt wird? 

Sicher ist, dass Produktdatenmanagement und elektronischer Datenaustausch im Baugewerbe über kurz oder lang Standard werden wird. Sicher ist auch, dass bei immer mehr Projekten der Architekt oder Generalunternehmer die Baustoffe ordern wird, also ein Distanzgeschäft entsteht. Möglich ist schließlich, dass ein Teil der Ware nicht mehr im Baustoffhandel, sondern direkt ab Hersteller geordert wird. Und damit ist nicht ausgeschlossen, dass neue Anbieter entstehen, die mit hervorragender Daten- und Logistikkompetenz einen Effizienzvorteil genießen und diesen an die Bauherren weitergeben.

DAS ist echte Disruption, denn auf einmal ändert sich ein komplettes Wertschöpfungsmodell durch digitale Kompetenz. Es entsteht eine neue Form Baustoffhandel, die nicht mehr zwingend auf die lokale Präsenz setzt. Da auch der Baufortschritt transparent wird, kann „just in time“ geliefert werden. Der neue Händler kann wiederum die Handwerker mit neuen Dienstleistungen wie Bereitstellung an zentralen Orten an sich binden.

Und so fort. Solche Disruption setzt nicht darauf, verlustreich auf einem vernachlässigten (weil mehrstufigem, per se ineffizienterem, bei kurzfristger Betrachtung zu teurem und damit für etablierte Unternehmen nicht attraktivem) Werbeweg Kunden zu gewinnen und diese dann mit herkömmlichen Mitteln profitabel zu machen. Stattdessen ist diese Art Disruption von Google und Werbung komplett unabhängig. Der neue Händler wird andere Mehrwertleistungen für Hersteller und Handwerk erbringen und damit den klassischen Baustoffhandel herausfordern – und potentiell gefährden.


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Das ist das Leistungsversprechen der .EXE-Konferenz des bevh. Die im Artikel diskutierten Fragen von Content-Marketing und Marketing-Effizienz in der Kundengewinnung sind Kernthemen dieser "E-Commerce Experts Exchange". Neue, disruptive Wertschöpfungsmodelle lernt man in den Workshops mit Methoden des Design Thinking und Business Canvas zu entwickeln und dafür die richtigen Geschäftsprozesse zu entwerfen.  

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There are two legitimate kinds of disruptive approaches in e-commerce. One basically uses adavanced online-marketing tactics to better and earlier target a given niche audience, thus developing a strong competing brand. The other addresses inefficiencies in a market and creates a better (i.e. easier) way of shopping that disrupts legacy processes. While the first does not genuinely "re-invent normal", it can still rapidly lead to the demise of traditional retail brands. Yet the next competitor comes with a better marketing approach. The second disruption is much more difficult to copy and can change buying behavior in neighbouring markets, too.