verfasst von Martin Groß-Albenhausen
Wie wird aus einem Geschäftsprozess im Versandhandel ein E-Commerce-Geschäftsprozess? Die Frage stellt sich mir, wenn ich zwei interessante Artikel aus neuhandeln.de nebeneinander lese. Stephan Meixner schreibt zum einen über Erkenntnisse der Media-Saturn Holding in Sachen Same Day Delivery, zum anderen über die Kooperation von Notebooksbilliger und Zalando im gleichen Feld.
Warum ist das eine ein Versandhandels-, das andere ein E-Commerce-Prozess?
MSH konzentriert sich auf die Lieferung im Rahmen eines bestehenden Geschäftsmodells. Hier wird der Vorfall für Laden und Onlineshop definiert und entsprechend abgearbeitet – sauber, solide und unter Einbindung der Plattform eines Dienstleisters (Tiramizoo). MSH hat dafür auch die notwendige Infrastruktur mit entsprechend vielen Filialen. Es ist ein funktionaler Versandhandelsprozess.
Notebooksbilliger verfügt über kein entsprechendes Netz und hat daher einen E-Commerce-Prozess entwickelt. Dieser stützt sich auf die Infrastruktur eines Partners, ohne dessen Liefermodell an sich zu übernehmen. Ein E-Commerce-Modell insofern, als hier der Waren- und der Informationsstrom (Adressdaten) separiert erfolgen und damit eine höhere Effizienz entsteht. Zalando kann die Adressdaten matchen und so sein kostenloses Liefermodell optimieren, Notebooksbilliger durch die Konsolidierung beim Dienstleister Liefery nicht nur tagesgleich liefern, sondern auch einen besseren Zustellpreis realisieren als die Konkurrenz. Und Liefery lastet sein System besser aus.
Das alles schreibe ich hier, ohne die genauen Zahlen zu kennen. Wichtig ist mir der Netzwerk-Aspekt und der viel komplexere, aber skalierbarere (weil von Filialen unabhängige) Prozess, der hier entwickelt wurde.
Schön und gut, aber was folgt daraus für Händler, die nicht M, Z oder N heißen? Nichts weniger, als dass es höchste Zeit wird, die eigenen Geschäftsprozesse zu überdenken und auf E-Commerce-Modelle hin zu überprüfen. Exemplarisch gehe ich hier von ein paar Erkenntnissen der letzten 15 Jahre E-Commerce bzw. 3 Jahren Same Day Delivery und daraus entstehenen möglichen Szenarien aus.
- Das Produkt ist regelmäßig wichtiger als der Händler, bei dem es gekauft wird.
- Der akute Bedarf ist regelmäßig wichtiger als der vergleichbar höhere Preis des Produktes.
- Die Erreichbarkeit ist regelmäßig wichtiger als die tatsächliche Nähe des Artikelstandortes.
Wenn ich von diesen Annahmen ausgehe, könnten mehrere E-Commerce-Modelle im Hinblick auf SDD entstehen.
Das Idealo-Modell: Die Produktsuchmaschine ist der letzte echte Konkurrent von den dominierenden Marktplätzen – in einigen Kategorien auf jeden Fall wichtiger als Google. Dazu trägt das exzellente Produktdatenmanagement bei. In den Suchanzeigen wird die Lieferzeit hoch gewichtet. Was noch fehlt, ist eine Optimierung auf Zustellung intraday. Die Erkenntnis von MSH ist ja, dass online eher Elektrokleinartikel per Same Day Delivery und mit hohem Preiszuschlag bestellt werden. Durch eine entsprechende Optimierung und eine Integration der Lieferbestände der angeschlossenen Händler könnte idealo für jeden Ort in Deutschland eine taggleiche Lieferung organisieren. Herausforderung: stärkere Harmonisierung der Preise, wobei hier unter den obigen Annahmen Luft sein könnte und der Kunde weniger elastisch reagiert.
Das DHL-Modell: Ich könnte dieses Modell auch nach einem anderen Versanddienstleister benennen, aber die Deutsche Post DHL hat im vergangenen Jahr eine ganzseitige Zeitungsanzeige mit diesem Thema gestaltet. Hier geht es um die Auslösung einer Lieferung noch vor der Bestellung. Logistik ist Teil des Prozesses, auf dem ein Warenbedarf an einem bestimmten Ort gedeckt wird. Statt die Bestellung an den Anfang des Prozesses zu setzen, antizipieren die Händler im DHL-Modell den Bedarf auf HUB- oder Zustellbezirksebene und puffern selbigen in dedizierten Lägern des Zustellpartners. Das erfordert eine enorme Datenkompetenz und perfekte Beherrschung der Supply-Chain und ist daher nur für große Verticals wie Zalando oder aber für Aggregatoren ein mögliches Modell.
Wem das absurd und unmöglich erscheint: Amazon hat am 24. Dezember 2013 ein Patent auf so einen Prozess erhalten. Das Patent ging so weit, die Bestellung eines individuellen Kunden vorauszusagen. Um einiges einfacher sollte sein, regionale Nachfrage exakt zu prognostizieren und mehr Artikel bundesweit "same day-fähig" zu machen.
Das Tradebyte-Modell: Hier steht der Integrationspartner als Namenspate, weil er die Datenschnittstelle zu Aggregatoren, vor allem auch geschlossenen Marktplätzen bildet. Im Tradebyte-Modell ergänzt ein großer Anbieter mit hoher Markenbekanntheit und entsprechendem Auftragsvolumen sein eigenes Sortiment durch die z.T. identischen Sortimente lokaler Partner. Durch diese Multiplikation der Lagerstandorte könnte er unter seinem eigenen Namen an vielen Orten taggleich liefern. Auch hier gilt wie beim Idealo-Modell, dass die IT-Integration bis hin zur tatsächlichen Verfügbarkeit von elementarer Bedeutung ist. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Modell am ehesten realisiert wird und eine sehr starke Motivation für Onlinehändler entfaltet, auf Marktplätzen aktiv zu werden.
Drei Modelle, die zu einer Neudefinition eines eigentlich etablierten Geschäftsprozesses – Bestellabwicklung im Versandhandel – führen. Der oben erwähnte Patent-Antrag von Amazon zeigt auf der ersten Seite bereits die Prozess-Modellierung für sog. antizipatorisches bzw. spekulatives Versenden. Die Beschäftigung mit den Geschäftsprozessen ist Kernkompetenz im E-Commerce und sollte nicht bzw. nicht vollständig an externe Dienstleister übertragen werden.
Wer Interesse hat, mehr über die Definition und Validierung innovativer Prozesse im E-Commerce zu erfahren, kann dies auf einer dreistündigen Session im Rahmen der .EXE-Konferenz machen. Mein Kollege Christian Milster, der dieses Thema im bevh betreut, kuratiert die Masterclass gemeinsam mit Wolgang Oesert von unserem Preferred Business Partner Bernhard Unternehmensberatung. Mehr Informationen und Anmeldung zur .EXE E-Commerce Experts Exchange unter www.exe-konferenz.de
Same Day Delivery can be obtained by means of traditional delivery concepts but also lead to innovative distribution networks. Without disruptive business process modeling the formerly state of the art way of centralizing logistics activities becomes a legacy. This article highlights three different approaches to e-commerce-based delivery networks.