Die Forschungsgruppe Retouren der Universität Bamberg rund um Herrn Dr. Asdecker hat den zweiten Teil der Nacherhebung zum Retourentacho zum Thema „Potenzial von Präventivmaßnahmen, Einstellung gegenüber (gesetzlichen) Rücksendegebühren“ veröffentlicht. Als Verband begrüßen wir jede Forschung, die dazu beiträgt, die E-Commerce Branche ökonomischer und ökologischer werden zu lassen. Deshalb haben sich auch viele bevh-Mitglieder an dieser unabhängigen Studie der Uni Bamberg, die auf einer Online-Befragung von Entscheidungsträgern im Retourenmanagement im reinen Onlinehandel sowie bei Omni- und Multi-Channel-Anbietern beruht, aktiv beteiligt. Die Forscher stützen sich dabei auf zwischen August und September 2019 erhobene Daten und beziehen sich auf 139 auswertbare Fragebögen.
Die Medien haben aus der Veröffentlichung die „Forderung“ abgeleitet, Rücksendekosten künftig zwingend, zumindest anteilig, dem Kunden aufzuerlegen. Auch wenn wir uns als Branchenverband schon alleine aus kartellrechtlichen Gründen nicht in die Preisgestaltung, einschließlich möglicher Gebühren, unserer Mitglieder einmischen dürfen, berührt die Diskussion doch einen wesentlichen Aspekt unserer Branche. Daher wollen wir uns im Folgenden sachlich mit den Erkenntnissen auseinandersetzen.
Retouren gehören zum Distanzhandel dazu und sind durch das Widerrufs- und Rückgaberecht geregelt. Seit 2014 erlaubt der Gesetzgeber dem Händler wieder, dem Kunden die Rücksendekosten in jedem Fall aufzuerlegen. Zuvor hat der Gesetzgeber selbst die Verbraucherrechte derart gestärkt, dass Rücksendekosten ab einem Wert von 40 Euro zwingend vom Händler zu übernehmen seien. Ob der Händler die Rücksendekosten für den Verbraucher übernimmt, hat der Staat seit 2014 also bewusst dem Wettbewerb überlassen.
Die Studie zeigt, dass Onlinehändler bereits große Anstrengungen unternehmen, um die Zahl an Retouren zu minimieren. Dazu schöpfen sie alle ihnen zur Verfügung stehenden klassischen technischen Mittel, wie präzise Produktbeschreibungen, Abbildungen oder Kundenrezensionen voll aus. Dadurch verringern die Händler die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kunde aufgrund von Nichtgefallen den Artikel retourniert.
Das größte Potenzial, das Retourenaufkommen zu mindern, sehen die Befragten im Bereich Fashion in einer funktionierenden Online-Größenberatung und der Einführung von für alle Hersteller verbindlichen standardisierten Größenangaben. Das geschätzte Einsparungspotenzial liegt in diesem Bereich bei 25 Prozent der Retouren im Gesamtmarkt. Gleichzeitig weist die Forschungsgruppe explizit darauf hin, dass eine vollständige Vermeidung auch mit diesen größenbedingten Maßnahmen nicht möglich sein wird. Gerade im Fashionbereich wird vieles in Handarbeit gefertigt und auch Materialbeschaffenheit, Farben und das Passgefühl am eigenen Körper spielen bei der Entscheidung für oder gegen ein Kleidungsstück eine große Rolle.
Es kann also nie ausgeschlossen werden, dass der Kunde trotz bestem Willen Ware bestellt, die er später umtauschen möchte. Das gilt für den Einkauf online wie auch stationär. Der Gesetzgeber gesteht dem Kunden deshalb ein gesetzliches Widerrufsrecht zu.
Die größte Debatte in den Medien hat die Studie an dieser Stelle hinsichtlich ihrer Überlegungen zu einer Einführung von verpflichtenden Rücksendegebühren angestoßen. Dadurch, so der Forschungsbericht, könnte die Retourenmenge potentiell um 16,2 Prozent also um 80 Mio. von insgesamt 490 Mio. jährlich retournierten Artikeln reduziert werden.
In der Berichterstattung wurde aus den Überlegungen eine „Forderung“ herausgelesen, dem Kunden das Rücksendeporto künftig zwingend zumindest anteilig aufzuerlegen. Damit müsste der Kunde für die Ausübung seines Widerrufsrechts bezahlen.
Tatsächlich weist die Forschungsgruppe rund um Dr. Asdecker ausdrücklich darauf hin, dass die Studienergebnisse nicht alsForderung nach einer gesetzlichen Regelung verstanden werden dürfen. Sie kommt hingegen zu dem Schluss, dass eine Einführung gesetzlicher Rücksendekosten aufgrund der äußerst komplexen Thematik weiterer Forschung bedarf, bevor eine ganzheitliche Bewertung einer solchen gesetzlichen Verpflichtung erfolgen könne.
Zu den auch aus Sicht der Forschungsgruppe noch zu klärenden Fragen zählt zum einen, wie hoch eine Rücksendegebühr sein dürfte, damit sie die Zahl der Rücksendungen reduziert, ohne dabei den Onlinehandel unverhältnismäßig zu benachteiligen.
Zum anderen wirft die Forschungsgruppe selbst die Frage auf, ob durch eine Reduktion der Retouren zwar die Ökobilanz des Onlinehandels verbessert werden, möglicherweise aber durch die Inanspruchnahme stationärer Dienste zur Umgehung der Rücksendegebühr aus ökologischer Sicht gleichzeitig im Gesamtsystem eine Verschlechterung entstehen könnte.
Darüber hinaus bleibt laut den Wissenschaftlern auch die Frage nach einer konkreten Umsetzung sowohl aus (EU-) rechtlicher wie praktischer Perspektive ungeklärt. Denn durch die abschließende Regelung in der EU-Verbraucherrechterichtlinie, dass Händler frei entscheiden dürfen, die Retourenkosten zu übernehmen, ist durch diese „Forderung“ weit mehr als nur deutsches Recht tangiert.
Aufgrund dieser zahlreichen offenen Fragen kann die Studie nicht belegen, dass gesetzliche Rücksendegebühren den Onlinehandel tatsächlich „gerechter und grüner“ gestalten würden, wie von der Forschungsgruppe angenommen.
Grundsätzlich ist die Studie laut Aussage der Forscher selbst einigen Limitationen unterworfen. So handelt es sich bei dem angegeben Einsparungspotenzial lediglich um eine Vermutung der befragten Personen. Darüber hinaus gehen die Forscher davon aus, dass der abgeleitete Einsparungseffekt durch die Einführung einer gesetzlichen Retourengebühr in der Realität etwas geringer als 16,2 Prozent ausfallen könnte.
Aus unserer Sicht kommt ebenfalls hinzu, dass nicht berücksichtigt wurde, dass gerade bei Auswahlbestellungen auch mehrere Artikel in einem Paket retourniert werden. Das errechnete Einsparpotential von 80 Mio. Artikeln entspricht nicht 80 Mio. hin- und zurückgeschickten Sendungen. Diese aber wären im Hinblick auf die ökologischen Aspekte der wichtigere Wert. Ebenso hätte das von den Studienteilnehmern geschätzte Einsparpotential von 16,2 Prozent nicht auf die Menge der Retouren insgesamt berechnet werden dürfen, sondern nur auf die Retourenmenge, auf die bisher noch keine Rücksendegebühren erhoben wurden. Dadurch könnte der tatsächliche Einspareffekt noch etwas sinken, so dass gemessen am Gesamtvolumen ein kleinerer Effekt in absoluten Zahlen entsteht (< 80 Mio. Artikel).
Dennoch leistet die Studie einen Denkanstoß, da Retouren je nach Sortiment einen bedeutenden Kostenfaktor, aber auch ein wesentliches Verkaufsargument im E-Commerce darstellen.