Blog:

Omnichannel und das Marktplatz-Paradigma

verfasst von Martin Groß-Albenhausen

Vor ziemlich genau vier Jahren haben wir im Rahmen der jährlichen Studie zum Einkaufsverhalten im Interaktiven Handel zum ersten Mal die Online-Marketplaces als eigene Kategorie ausgewiesen. In den einschlägigen Blogs gab es einen Aufschrei, denn zum ersten Mal wurde aus der bis dahin singulären Erfolgsgeschichte des reinen Onlinehandels die Geschichte eines Onlinehandels von zwei Geschwindigkeiten.

Ganz überraschend kam das nicht – schon ein Jahr zuvor hatte ich im bevh-Blog analysiert, wie sich seit 2007 vor allem ein Anbieter in unserer Umfrage von allen anderen abgekoppelt hatte. Lautete damals die Frage noch: Gibt es ein Leben nach Amazon?, forderten wir schon 2014 eine Strategie, die nicht „ohne“ oder „gegen“, sondern in Kombination oder meinethalben „Coopetition“ mit Deutschlands größtem Online-Marketplace funktionieren sollte.

Die 2014 massiv in Frage gestellte Zahl gilt mittlerweile als „common sense“: Online-Marktplätze sind die beherrschende Kraft im E-Commerce. Und es gibt starke, logisch nachvollziehbare Gründe, sie wahlweise als Sonne oder als schwarzes Loch zu betrachten, in deren Gravitationsfeld am Ende der größte Teil des unabhängigen Onlinehandels hineinstürzen oder verglühen würde.

Nur: Unsere Zahlen geben für diese Dystopie keinen Anlass.

In der folgenden Tabelle habe ich im Fünfjahresvergleich neben einander gestellt, in wieviel Prozent der Interviews ein Marktplatz (OMP) oder ein Multichannel-Anbieter (MCV) als Ort des letzten Online-Einkaufs genannt wird.

 

2013

2017

2013

2017

 

MCV

OMP

Bekleidung

61,9

54,6

22,9

42,6

Schuhe

28,8

10,2

31,6

78,7

Bücher

12,4

8,8

78,2

79,7

Musik

4,5

21,3

90

70

Unterhaltungselektronik

9,2

16,9

77,6

66,7

Computer

8,2

22,3

68,6

67,8

Möbel/Lampen/Deko

43

28,8

47,3

67

Spielwaren

11,6

20,3

79,4

72,6

Bürobedarf

8,9

14,9

66,2

74,1

Tierbedarf

30,9

40,9

37,4

24,8

Lebensmittel

22,9

20,4

32,9

49,4

 

Die Tabelle sagt nichts über die Umsätze aus. Wenn sich das Gesamtvolumen in einer Sortimentskategorie deutlich positiv entwickelt hat, kann trotz des prozentualen Rückgangs an Käufen dennoch ein Wachstum resultieren. Außerdem unterscheiden sich die Bestellfrequenz und die Bestellsummen zwischen den verschiedenen Händlertypen. Nach wie vor haben beispielsweise die Onlinehändler mit Herkunft aus dem Kataloggeschäft einen höheren Durchschnittsbon, aber mit gut 30 Prozent auch einen signifikant höheren Anteil von Kunden, die nur einmal pro Quartal oder seltener bestellen. Heißt also: Die Marktplätze erzeugen mehr Sendungen mit weniger Umsatz, und das bei einem zwischen 2013 und 2017 um fast 14 Mrd. Euro von 48,3 auf 62,2 Mrd. Euro gestiegenen Gesamtvolumen der E-Commerce-Branche. Relativ ist ihr Anteil am Onlinehandels-Volumen zwar zurückgegangen, absolut aber haben sie bei den Sendungsmengen und im Umsatz zugelegt.

Und während sich die Umsätze der Multichannel-Händler auf eine immer größere Zahl von Unternehmen verteilen und speziell der unabhängig agierende Mittelstand an Sichtbarkeit verliert, konzentrieren sich die Pakete der Marketplaces aufgrund der Fulfillment-Vereinbarungen zum immer stärkeren Teil auf ein Unternehmen. Diese Umschichtung kann die enorme Zunahme der Ausgangsmengen dort mit erklären.

Doch am Ende bleibt eine Erkenntnis: Wenn man die Kunden fragt, ist bis heute zumindest von einem „Winner takes it all“-Szenario nicht zu reden. Fünf Jahre später kann man sagen: Es gibt nicht nur ein Leben nach Amazon, es gibt auch ein Leben mit Amazon.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die steigenden Umsätze von Multichannel-Anbietern häufig per Saldo einen Rückgang der Offline-Umsätze nicht überkompensieren können. Immer mehr unabhängige Händler, online wie im Mehrkanal-Vertrieb, möchten ein Stück vom Kuchen abhaben. Konsolidierung steht weiter an, und ein zyklischer Abschwung würde den schlechter kapitalisierten Unternehmen den Boden unter den Füßen wegziehen. Schon jetzt ist es für viele nicht mehr sinnvoll, sich mit eigenem Shop allein oder überhaupt in das Abenteuer E-Commerce zu stürzen. Daher werden Plattformen in den kommenden Jahren für viele Händler zur „conditio sine qua non“ werden.