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Omni-Commerce 2016 - Teil 1 = Kunden statt Kanäle

Ein Gastbeitrag von Tim Hahn, Mitgründer und Geschäftsführer der netz98 new media GmbH

Vor Kurzem erreichte uns eine Umfrage zum Themenkomplex Digital Business und dem prägendsten Trend für 2016. Es standen einige Möglichkeiten zur Auswahl, wir entschieden uns für „Everywhere Commerce“. Denn dank mobiler Endgeräte wird heutzutage die Bahnfahrt zur Arbeit gleichzeitig zum Shoppingtrip. Handel ist also überall. Aber ist das alles?

Wie ist der moderne Handel zu fassen?

Der Begriff Everywhere Commerce ist tatsächlich nicht ganz passend, um aktuelle Entwicklungen zu beschreiben. Das hat nichts damit zu tun, dass er schon einige Jahre alt ist und es mit Omnichannel, Cross-Channel etc. mittlerweile genügend modernere Synonyme gibt, die vom Marketing durch die Medienlandschaft gepeitscht werden. Fakt ist, dass Handel – zumindest im B2C – mittlerweile nicht nur (fast) überall, sondern auch nahezu zu jeder Zeit möglich ist. Es müsste also „Everywhere und Everytime Commerce“ heißen. Gleichzeitig verschränken sich die diversen Kanäle funktional immer weiter und lassen sich in ihrer Bedeutung kaum noch differenzieren. Seit sich auch der stationäre Handel der Digitalisierung öffnet und mobile Konzepte integriert bzw. die Stores und deren Systeme als produktiven Bestandteil einer übergreifenden, vernetzten IT-Infrastruktur versteht, macht eine Unterscheidung nach Kanälen, nach Online und Offline-Welt keinen Sinn mehr. Alle Channel-Bezeichnungen führen damit genauso in die Irre. Die neuen Technologien haben das Konsumverhalten dynamisiert: Denn heute können Kunden erstmals frei entscheiden, wann, wo und immer öfter auch wie sie einkaufen. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Der Handel ist dabei, ein absolut verfügbarer Prozess zu werden. Die neue Realität heißt Omni-Commerce.

E-Commerce ein Auslaufmodell?

Was bedeutet das für den E-Commerce als Kanal, Branche und als Technologie? Gehört er vor dem Hintergrund des digitalen Wandels ebenfalls zu den Auslaufmodellen? Zwei Dinge gilt es dabei zu bedenken: den Altersdurchschnitt der Bevölkerung in Verbindung mit typisch menschlichen Beharrungskräften einerseits und die Entwicklungsfähigkeit des E-Commerce andererseits.

Demografie & Psychologie:

Nach aktuellen Studien des ECC-Köln gibt es zwar eine Tendenz, mit zunehmendem Alter seltener online zu shoppen: In der Gruppe der bis zu 29-Jährigen kaufen 74 Prozent mindestens einmal im Monat online ein. Bei den über 50-Jährigen sind es „nur“ noch 68 Prozent, die regelmäßig online shoppen. Die Abweichung ist also nicht gewaltig. Hinzu kommt, dass der Online-Handel in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen ist, lediglich die Wachstumsraten haben sich 2014 / 2015 etwas verringert. Zieht man jedoch detailliertere Statistiken heran, lässt sich erkennen, dass dieses Wachstum nicht über alle Alterssäulen gleich verteilt ist, sondern am stärksten von den nachwachsenden Generationen junger Erwachsener getragen wird. Sicher, auch meine Eltern kaufen online ein, aber eben weniger als ich. Und ich für meinen Teil reagiere weniger auf Social Advertising als die jüngeren Kollegen bei netz98.

Kurz: Je älter wir werden, umso weniger sind wir bereit, uns auf Neues einzulassen. Wer heute also den E-Commerce im Sinne eines klassischen Online-Handels über Webshops für tot erklärt, weil der Markt so dynamisch sei, verkennt, dass die Marktteilnehmer auch gerne mal träge sind. Für neueste Transaktionsmodelle wie den Amazon Dash-Button, Curated Shopping à la modomoto, YouTubes Click-to-Shop, betreutes Shopping via enjoy.com oder Operator.com bis hin zu Shareconomy wie bei Uber ist eben noch nicht jeder zu haben.

E-Commerce = Evolution

Nichtsdestotrotz sind diese Technologien und Konzepte auf dem Markt und befriedigen die Anforderungen bestimmter Zielgruppen. Vermutlich werden einige Konzepte wieder verschwinden, weil ihre Bereitstellung aktuell mehr kostet als sie einbringt, die Zielgruppen also noch nicht ausreichend groß sind. Bei entsprechender Marktreife werden sie dann von den „Late Movern“ wieder aufgegriffen. Wie auch immer sich die einzelnen Angebote entwickeln, sicher ist, dass sich das Konsumverhalten mit der zunehmenden Vielfalt an digitalen Angeboten und Geschäftsmodellen weiter verändern wird. Man sieht schon heute, dass die Konvergenz der Kanäle, die Gleichzeitigkeit von Informations- und Transaktionsmöglichkeiten immer weiter zunimmt. Nur über Art, Umfang und Meilensteine des Wandels lässt sich nichts Konkretes sagen.

Hier kommt die größte Stärke des E-Commerce zum Tragen: seine Vielseitigkeit. Alle der genannten Verkaufsmodelle benötigen für die Transaktion eine Plattform, die die Prozesse abwickelt, eine Oberfläche, die diese dem Kunden darstellt und Experten, die Plattform und Prozesse entwickeln, einrichten und betreuen. In fast allen Fällen ist das der E-Commerce, als Technologie und als Branche. Im Markt gibt es mittlerweile die unterschiedlichsten E-Commerce Softwaresysteme für die unterschiedlichsten Anforderungen. Manche von ihnen sind so hochgradig anpassbar, dass das Ergebnis nichts mehr mit einem klassischen Shopfrontend, Warenkorb und Checkout zu tun hat. E-Commerce ist schon seit Langem mehr als nur einfach ein Webshop. Das interne Bestellsystem der Burger King Filialen Deutschlands etwa läuft auf einer Magento-Plattform. Magento ist eines der verbreitetsten Shopsoftware-Systeme mit einer ausgedehnten Palette an Standard-Oberflächen und Modulen. Die Mitarbeiter von Burger King werden aber vergeblich nach diesen Standards in ihrer Bestelloberfläche suchen. Lediglich bezogen auf die Usability und die Gestaltung der Backendprozesse entspricht die Plattform den gewohnten Merkmalen eines Online-Shops.



Potenzial im B2B E-Commerce

Die B2B-Bestellplattform von Burger King ist allerdings noch nicht exemplarisch für den E-Commerce im Geschäftskundenumfeld. Im B2B besteht noch gewaltiger Bedarf an E-Commerce-Lösungen – damit aber auch das nötige Potenzial für weitere Neuerungen und Entwicklungen. Leider gibt es dazu keine brandaktuellen Marktzahlen, die letzte Erhebung ist von 2013. Periodische Unternehmensbefragungen wie der B2B E-Commerce Konjunkturindex von intellishop und des ECC Köln oder eine Erhebung von Eurostat, nach der der Online-Einkauf von Unternehmen von 2014 auf 2015 um 25 Prozent gestiegen ist, zeigen aber auf, dass im B2B noch keine Sättigung an traditionellen Online-Handelskonzepten eingetreten ist. Auch unsere eigenen Erfahrungen zeigen, dass der B2B in aller Regel erst damit beginnt, neben den etablierten Vertriebswegen einen zusätzlichen Online-Kanal aufzubauen. In einem Vertriebsumfeld, das stark von der Person des Vertrieblers, von Provisionsmodellen und gewachsenen Vertriebsstrukturen geprägt ist, kann er eben häufig lediglich ein Zusatz sein. Mittel- und langfristig, spätestens wenn die Millennials an Entscheidungspositionen aufrücken, wird er ein Motor für die Entwicklung moderner, digitaler und leistungsfähiger Vertriebsmodelle sein.

In Teil 2 geht es dann um die Technologie und ein neues Verständnis von  Commerce.