Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Stefan Lingemann und Rechtsanwalt Jörn Christoph Otte, GleissLutz Rechtsanwälte
Diese Stellungnahme gibt allein die Rechtsauffassung der Autoren wieder. Sie dient nicht der Beratung von Einzelnen. Die Autoren und der bevh übernehmen keine Haftung.
Das Mindestlohngesetz (MiLoG) in seiner praktischen Umsetzung wirft leider immer wieder ganz konkrete Probleme auch für die Branche des Online- und Versandhandels auf. Eines davon ist sein Zusammenspiel mit notwendiger Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung um saisonale Spitzen des Geschäftes mit seinen umsatzschwächeren Perioden in Einklang zu bringen. Stichworte wie "Weihnachtsgeschäft", "Frühjahrs-Saison" und auf der anderen Seite "Sommerloch" oder "Saure Gurken-Zeit" geben entsprechende Überlegungen vor, deren Kern Verlässlichkeit und Mitarbeiterbindung sichern sollen. Ein anerkanntes Instrument dafür ist sogenannte "Blockteilzeit-Arbeit", also die Vereinbarung von Arbeitszeitkonten. Denkbar ist zum Beispiel ein Modell, bei dem per Jahresarbeitszeitkonto eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden vereinbart ist, entsprechend durchgängig vergütet und in der Weise erbracht wird, dass die Beschäftigten in jeweils drei Spitzenmonaten voll arbeiten und anschließend drei Monate lang entsprechenden Freizeitausgleich erhalten. Aber steht so eine Regelung in Einklang mit der 50-Prozent-Regelung des § 2 Mindestlohngesetz?
Das Problem ist doch recht knifflig:
I. Vorgaben des Mindestlohngesetzes
Prinzipiell haben Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 1 MiLoG Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, der gemäß § 1 Abs. 2 MiLoG bei EUR 8,50 pro Stunde liegt. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 MiLoG ist dieser Mindestlohn zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit, spätestens aber am Ende des Monats zu leisten, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde.
Das bedeutet für die oben skizierte Regelung, dass der Mindestlohn für Arbeitsleistungen im März spätestens Ende April, für Arbeitsleistungen im April spätestens Ende Mai, usw. zu zahlen ist.
Eine Ausnahme von dieser Regelung sieht § 2 Abs. 2 MiLoG vor. Danach kann der Ausgleichszeitraum für "die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehenden und auf einem schriftlich vereinbarten Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden" auf zwölf Kalendermonate erweitert werden. Es muss also nicht nur ein schriftlich vereinbartes Arbeitszeitkonto bestehen, sondern die eingestellten Arbeitsstunden müssen auch Überstunden sein, die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen (vgl. Lambrich/Mitius, DB 2015, 126). Teilweise wird dabei sogar vertreten, dass hierbei nur Plussstunden einzustellen sind (Lembke, NZA 2015, 70, 77; a.A.: Schubert/Jerchel/Düwell, Das neue Mindestlohngesetz, 1. Aufl. 2014, Rn. 113).
Keine Rolle spielt diese Regelung hingegen, wenn das tatsächlich ausgezahlte Arbeitsentgelt ohnehin über dem Mindestlohn für die jeweils tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden liegt und der Anspruch auf den Mindestlohn damit bereits erfüllt ist (ErfK/Franzen, 15. Aufl. 2015, § 2 MiLoG, Rn. 4; Lambrich/Mitius, DB 2015, 126; Schubert/Jerchel/Düwell, Das neue Mindestlohngesetz, 1. Aufl. 2014, Rn. 121). Dies ist bei 40 Stunden pro Woche aber erst der Fall, wenn das Entgelt über EUR 1564,00 liegt, da ein Monat bei einer Fünf-Tage-Woche bis zu 23 Arbeitstage hat.
II. Vereinbarkeit der Klausel mit dem MiLoG
Überträgt man diese Vorgaben auf die konkrete Klausel, ist diese Gestaltung wohl unzulässig, falls das verstetigte Entgelt für 20 Stunden pro Woche nicht über den genannten EUR 1564,00 liegt und auch der Mindestlohnanspruch für 40 Stunden pro Woche abgedeckt wird:
1. Nach dem ersten Satz der Klausel beträgt die wöchentliche Arbeitszeit in den Monaten März, April, Mai, September, Oktober und November 40 Stunden pro Woche. Diese 40 Stunden pro Woche sind also die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit in diesen Monaten. Auf ein Arbeitszeitkonto nach § 2 Abs. 2 Satz 1 MiLoG sind aber nur Arbeitsstunden, die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen, also nur Überstunden, einzustellen. Solche Überstunden fallen nach der derzeitigen Formulierung nicht an. Dies wären erst zusätzlich geleistete Überstunden, die über die 40 Stunden pro Woche hinausgehen. Die 40 Stunden pro Woche müssten jeweils monatsweise bezahlt werden, es bliebe - zumindest nach dem Wortlaut des MiLoG - keine Möglichkeit, die Hälfte der Arbeitszeit auf das Arbeitszeitkonto einzubringen und dadurch die Zahlung des Mindestlohns für diese Hälfte über das Jahr zu strecken.
2. Eine andere Auffassung wird lediglich von Riechert/Nimmerjahn vertreten. Danach soll die Fälligkeitsregelung des § 2 Abs. 1 MiLoG - Zahlung der Vergütung spätestens am Ende des Folgemonats - bei kalendarisch schwankender Arbeit teleologisch eingeschränkt werden. In diesen Fällen liege - wie oben aufgezeigt - zwar keine Mehrarbeit vor, weil der Arbeitnehmer seine Sollarbeit leiste, deren Anfall lediglich schwanke. § 2 Abs. 2 MiLoG liege aber die Wertung zugrunde, dass Abreden über verstetigte Arbeitsentgelte - auch im mindestlohnrelevanten Bereich - weiter durchgeführt werden können. Müssten kalendarisch bedingte Arbeitszeitschwankungen aber bereits für jeden Abrechnungsmonat spätestens am Ende des Folgemonats vergütet werden, könnten verstetigte Entgeltabreden - entgegen der in § 2 Abs. 2 zum Ausdruck kommenden Absicht des Gesetzgebers - im mindestlohnrelevanten Bereich nicht mehr aufrecht erhalten werden (Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetzt, 1. Aufl. 2015, § 2, Rn. 17).
Soweit ersichtlich wurde diese Auffassung bislang allerdings an keiner anderen Stelle aufgenommen und das Problem verstetigter Arbeitszeit wird ansonsten in der Literatur auch nicht gesondert diskutiert. Es ist also offen, ob die Rechtsprechung eine solche teleologische Reduktion vornimmt.
Wir halten das jedoch nicht für wahrscheinlich. Denn zum einen ist der Wortlaut des MiLoG in dieser Hinsicht eindeutig. Zum anderen ist das Ziel der Fälligkeitsregelungen des MiLoG, einen Missbrauch von Arbeitszeitkonten zur Umgehung des Mindestlohns zu vermeiden und eine zeitnahe Zahlung des Mindestlohns sicherzustellen (Schubert/Jerchel/Düwell, Das neue Mindestlohngesetz, 1. Aufl. 2014, Rn. 111). Ob die Rechtsprechung tatsächlich der Aufrechterhaltung verstetigter Entgelte Vorrang einräumen wird vor der zeitnahen Zahlung des Mindestlohns und der Vermeidung von Umgehungen, ist deshalb sehr fraglich.
3. Möglicherweise könnte man die Klausel aber auch so auslegen, dass die wöchentliche Arbeitszeit tatsächlich nur 20 Stunden pro Woche betragen soll, da auch nur ein Bruttolohn für 20 Arbeitsstunden pro Woche gezahlt wird. In diesem Fall würden die zusätzlichen Arbeitsstunden in den Monaten März, April, Mai, September, Oktober und November Überstunden darstellen, die in ein Arbeitszeitkonto eingebracht würden. Allerdings wäre auch diese Gestaltung im Ergebnis unzulässig, da dann die 50%-Grenze nach § 2 Abs. 2 Satz 3 MiLoG überschritten wird. § 2 Abs. 2 Satz 3 MiLoG sieht vor, dass pro Monat die auf das Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden 50% der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit jeweils nicht übersteigen dürfen. Damit will der Gesetzgeber sicherstellen, dass dem Arbeitnehmer ein substantieller Teil des Mindestlohns auch tatsächlich ausbezahlt wird. Überschreitet der Arbeitgeber diese 50%-Grenze, wird der Mindestlohn auf die darauf bezogenen Arbeitsstunden nach § 1 Abs. 1 Satz 1 MiLoG fällig. Der Arbeitgeber muss sie somit spätestens am Ende des auf die Arbeitsleistung folgenden Monats mit dem Mindestlohn vergüten (ErfK/Franzen, 15. Aufl. 2015, § 2 MiLoG, Rn. 4).
Nun könnte man noch darüber nachdenken, ob man das Modell retten kann, indem man vorfällig zahlt, also z.B. im freien Monat 1 für den Arbeitsmonat 4, Monat 2 für 5 usw. Das funktioniert aber u. E. auch nicht, weil die Sozialversicherungsbeiträge sich nach der tatsächlichen Arbeitsleistung richten. Sie müssten jeweils am drittletzten Bankarbeitstag des Monats geleistet werden, in dem die Arbeitsleistung erbracht wird. Das wäre hier also jeweils im Anschluss an die Arbeitsmonate mit 40 h/Woche. Etwas anders gilt bei Jahresarbeitszeiten, aber dann müsste wieder die 50 % Grenze eingehalten werden.
Fazit:
Also dürfte das oben beschriebene Block-Teilzeitmodell trotz der Einrichtung eines Arbeitszeitkontos wahrscheinlich gegen das Mindestlohngesetz verstoßen - nämlich, wenn das durchgängige Entgelt nicht den Mindestlohn für sämtliche tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden in den Vollzeit-Monaten abdeckt. Zudem dürfte ein Verstoß gegen die 50 % Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 3 MiLoG vorliegen.
Gibt es Lösungsmöglichkeiten?
Denkbar wäre folgendes:
1. Man könnte die skizzierte Regelung beibehalten und sich auf den Standpunkt stellen, dass die Fälligkeitsregelung des § 2 Abs. 1 MiLoG aufgrund teleologischer Einschränkung nicht anzuwenden ist. Diese Lösung ist aber mit einem erheblichen Risiko behaftet.
2. Die zweite und wohl rechtssicherere Lösung besteht darin, das Arbeitsentgelt nicht über das gesamte Jahr zu strecken, sondern am Ende jedes Monats entsprechend der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit auszuzahlen. Auf diese Weise vermeidet man jede mögliche Kollision mit dem MiLoG. Nachteil wäre allerdings, dass diese Lösung wohl mit einem größeren Verwaltungsaufwand verbunden ist und die Arbeitnehmer auch kein gleichbleibendes Arbeitsentgelt erhalten.
3. Will man die Gestaltung über die Jahresarbeitszeit beibehalten, so müsste man das Verhältnis zwischen Tätigkeitszeitraum und Freistellungszeitraum von derzeit 1 zu 1 auf 1 zu 0,5 verändern und darüber hinausgehende Leistungsspitzen versuchen durch Aushilfen abzudecken.
Das alles gilt allerdings alles nur, soweit der Mindestlohn betroffen ist. Soweit die Vergütung darüber liegt, greifen diese strengen Anforderungen daher nicht.
Dr. Stefan Lingemann ist Partner, Jörn Christoph Otte ist Rechtsanwalt bei GleissLutz Rechtsanwälte
Summary
In an guest article the authors ask if part time labour in combination with flextime wage records is still possible in accordance with the new German Minimum Wage Law (MiLoG) and they outline solutions.