verfasst von Sebastian Schulz
Der fünfte und letzte Teil unserer diesjährigen bevh-Wahlprogrammanalyse sollte eine kurze Angelegenheit werden. Schon gemessen am Umfang ist mit 78 Seiten und einer Schriftgröße von 17 Pt. das Regierungsprogramm von CDU und CSU das mit Abstand kürzeste aller analysierten Programme. Und auch inhaltlich gleicht das Programm der Schwesterparteien mehr einer Erfolgsbilanz, denn einem Ausblick auf die Zukunft. Aussagen wie „Heute leben wir im schönsten und besten Deutschland, das wir je hatten.“ (S. 6) mögen dabei aus der Sicht einiger Weniger als überaus zynisch und eitel daherkommen. Die große Masse aber wird dem jedenfalls im Kern wohl zustimmen. Vermutlich auch deshalb, weil die Union erkannt hat, dass gesellschaftlicher Wohlstand kein Selbstläufer ist, sondern „wesentlich vom stetigen und nachhaltigen Wachstum unserer Wirtschaft [abhängt]“ (S. 7). Folgerichtig proklamiert die Union selbstbewusst für sich, „dass wir mehr von Wirtschaft, Wachstum und Arbeitsplätzen verstehen als andere“ (S. 10). So bleibt denn auch, anders als bei den Parteien des linken Spektrums, im Programm der Union das Gängelband für die Wirtschaft in der Schublade.
Für unsere Branche von zentraler Bedeutung sind folgende Aussagen; der Einfachheit halber im O-Ton:
- Im Zeitalter der Digitalisierung werden immer mehr Dienstleistungen über Internet-Plattformen verfügbar sein. Schon heute kaufen Millionen Bürger online: Kleidung, Bücher, Lebensmittel und vieles mehr. Hier können und müssen Europa und Deutschland besser werden als bisher, denn die meisten dieser Plattformen haben ihren Sitz in den USA oder China. Wir wollen dazu beitragen, dass große neue Plattformen, z. B. in den Bereichen vernetzte Mobilität und Gesundheit, in Deutschland neu entstehen und weltweit erfolgreich sein können. Dazu müssen wir ggf. das Kartellrecht anpassen. (S. 53)
- Eine flächendeckende, schnelle und erschwingliche Zustellung vonBriefen undPaketen bleibt ein wichtiges Standortkriterium. Bestehende Regulierungen werden wir deshalb überprüfen und gegebenenfalls anpassen. (S. 54)
- Wir wollen leistungsfähige und sichere digitale Bezahldienste. (S. 54)
- Wir wollen, dass Deutschland Logistikweltmeister bleibt. Wir werden deshalb den Güterverkehr stärken. (S. 20)
- „Superschnelles Internet“ soll bundesweit über Glasfaser und 5G verfügbar sein (S. 29, 51).
Anstelle eines Digitalministeriums soll im Kanzleramt ein Staatsminister für „Digitalpolitik“ etabliert werden. Durch die Kanzlerin soll ein „Nationaler Digitalrat“ einberufen werden, der einen engen Austausch zwischen Politik und nationalen wie internationalen Experten der Digitalökonomie fördern soll (S. 50, Anm.: @Kanzlerin: Wir bieten gern unsere Unterstützung an!).
Wohltuend kompakt fällt im Programm der Union der Absatz zum Thema Verbraucherschutz aus. Verbraucherrechte sollen in der digitalen Welt durch „neue digitale Instrumente für den Verbraucherschutz“ gestärkt werden. Was auch immer das heißen mag. Ansonsten scheint sich bei der Union herumgesprochen zu haben, dass das Verbraucherschutzniveau hierzulande im weltweiten Vergleich einen absoluten Spitzenplatz einnimmt und verzichtet insoweit darauf, auf die populistischen Forderungen der anderen Parteien einzusteigen. Persönlich gespannt bin ich auf das in Aussicht gestellte Datengesetz, das innerhalb des durch die EU-Datenschutzgrundverordnung eröffneten Rahmens erarbeitet werden soll (S. 52).
- Auch die Ausführungen in Sachen Arbeitspolitik sind von Augenmaß geprägt:
- Wir wollen die Tarifautonomie, die Tarifpartnerschaft und die Tarifbindung stärken. (S. 16)
- Wir wollen gesetzliche Regelungen so ausgestalten, dass zusätzliche Flexibilität, Spielräume und Experimentierräume für Unternehmen entstehen, für die ein Tarifvertrag gilt oder angewendet wird, oder eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat erfolgt. (S. 16)
- Wir werden das Arbeitszeitrecht so modernisieren, dass die Tarifpartner zusätzliche Spielräume zur Flexibilisierung, wie sie die europäische Arbeitszeitrichtlinie eröffnet, im Rahmen von Tarifverträgen nutzen können. Die Gesamt-Wochenarbeitszeit erhöht sich dadurch nicht. (S. 14)
- Befristete Arbeitsverhältnisse dürfen unbefristete Arbeitsverhältnisse nicht einfach ersetzen. Deshalb werden wir offenkundige Missbräuche abstellen. (S. 14)
- Und beim Thema Mindestlohn ist der Abbau von Bürokratie gleich zu Beginn der kommenden Wahlperiode erklärtes Ziel. (S. 13)
Lässt man einmal die Selbstbeweihräucherung außen vor, präsentiert sich das Programm der Union alles in allem als optimistisch, wirtschaftsaffin und als mehr progressiv denn konservativ. Umso erstaunlicher ist es, dass das leidige und auch innerhalb der Union nicht unumstrittene Thema des Verbots des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten doch den Weg in das Programm geschafft hat (S. 40). Das Aufrechterhalten dieser Forderung als Handreichung an Ewiggestrige und Besitzstandswahrer ist der einzige echte Fremdkörper im Programm der Union und steht in diametralem Gegensatz sowohl zu der sonst so technologieoffenen Grundhaltung als auch zu den an anderer Stelle im Programm proklamierten Vorzügen der Digitalisierung im Gesundheitssektor (z.B. S. 49, 55). Dem geneigten Leser will sich einfach nicht erschließen, wie das geforderte Verbot mit dem Vorsatz, die Möglichkeiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen entschlossen nutzen zu wollen (S. 41), zusammengehen soll. Liebe Union, die Forderung nach einem Rx-Versandverbot ist ein anachronistischer Irrweg, der in seiner Umsetzung zahlreiche Menschen von der Versorgung mit z.T. lebenswichtigen Medikamenten abschneiden wird. Die Substitutionsfunktion des Versandhandels ist gerade im Bereich der medizinischen Versorgung nicht mehr hinwegzudenken. Von den verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen ein sakrosanktes Verbot streiten, einmal ganz abgesehen.
Auch wenn der Schluss versöhnlicher hätte ausfallen können; das war die diesjährige Analyse der Programme zu den Wahlen für den 19. Deutschen Bundestag. Was mir bleibt, ist mich dem Wahlaufruf der Union (S. 76) anzuschließen. Und bitte: Fragen Sie am Wahltag die anwesenden Wahlhelfer nicht, ob Sie Ihren Wahlzettel unterschreiben sollen. Nicht, dass am Ende Ihretwegen die Wahlen wiederholt werden müssen.