Die vergangenen Jahre und ganz besonders der Einfluss der Corona-Krise haben unserer Gesellschaft einen digitalen Schwung verliehen. Sicherlich ist noch einiges zu tun, vieles ist inzwischen aber auch schon ganz alltäglich geworden – so auch das Einkaufen über das Internet. Immer mehr Händler digitalisieren sich und steigen in den Onlinehandel ein. Gleichzeitig wird der Onlinehandel oftmals aber auch als Bedrohung wahrgenommen. Aber ist dem wirklich so? Oder wird übersehen, welche Chancen der E-Commerce für den Handel, unsere Gesellschaft und die gesamte deutsche Wirtschaft mit sich bringt?
Erstmals haben in diesem Jahr drei wissenschaftliche Studien das tatsächliche Ausmaß und die Bedeutung der digitalen, web-basierten Handels-Wertschöpfung gemessen. Sie leisten damit einen neuen und wichtigen Beitrag zu einer wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Folgenabschätzung weit über den Einzelhandel hinaus. Die wichtigsten Erkenntnisse der Studien wurden Mitte Juni im Rahmen eines Online Symposiums vorgestellt.
Über einige Erkenntnisse und die damit verbundene Bedeutung haben wir für den bevh Blog mit Martin Groß-Albenhausen, Stv. Hauptgeschäftsführer des bevh, unter dem Stichwort "Jobmotor E-Commerce" gesprochen:
1. In Deutschland arbeiten im E-Commerce mittlerweile mehr Menschen als in Köln wohnen. Das sind mindestens 1,25 Millionen Menschen, davon rund 770 Tausend unmittelbar und rund 490 Tausend mittelbar beschäftigt. Welches sind aus deiner Sicht die stärksten Argumente beruflich im Onlinehandel Fuß zu fassen?
Martin: Wir erleben gerade den Anfang einer Transformation im Handel. Ich bin überzeugt, dass auch künftig die klassischen Handelsformen, also insbesondere der Verkauf im Laden und per Außendienst, existieren werden. Aber die Grundlage werden die digitalen Prozesse des Onlinehandels sein. Über die nächsten Jahre werden wir deshalb einen allmählichen Abbau von Stellen im klassischen Handel und einen Auf- und Ausbau von Positionen und Tätigkeiten mit E-Commerce-Bezug sehen.
Wer also einen krisen- und zukunftssicheren Beruf erlernen will, der ist mit E-Commerce sehr gut beraten. Und darüber hinaus ist es ein sehr vielfältiger Beruf mit vielen Tätigkeitsfeldern, die kaum ins Auge fallen. Schließlich erleben die meisten Menschen Onlinehandel nur als Stöbern im Webshop oder auf Marktplätzen, den Klick auf den Bestellbutton und den Empfang des Pakets.
2. Auf einhundert neue Arbeitsplätze direkt im E-Commerce kommen noch einmal 66 mit der Branche zusammenhängende Arbeitsplätze in der gesamten Wertschöpfungskette hinzu. E-Commerce wirkt deshalb wie ein Konjunkturprogramm. Wo wirkt sich dieser räumlich besonders positiv aus?
Martin: Wir haben das Eurohandelsinstitut gebeten, für uns einmal eine Deutschlandkarte mit den 1000 größten Onlineshops zu erstellen. Wenn man diese ansieht, ist es ein Streuselkuchen voller großer und kleiner Krümel, und jeder Krümel ist ein Onlineshop mit Millionenumsätzen. Und da sind nur die größten tausend und nur die B2C-Händler und nicht einmal die reinen Marktplatzhändler eingerechnet.
Das bedeutet, dass E-Commerce Arbeitsplätze potentiell überall schaffen kann, auch da, wo zu wenig Menschen wohnen, um klassischen Handel erfolgreich zu treiben. Nicht zuletzt deshalb, weil ich von überall aus überall hin verkaufen kann, und das im globalen Maßstab. „Lage“ als Schlüsselfaktor für erfolgreichen Einzelhandel – das gilt im E-Commerce nicht mehr in räumlicher Dimension, sondern eigentlich nur noch im Hinblick auf die Sichtbarkeit in den vielen digitalen Kanälen.
3. Mit den kontinuierlich wachsenden Zahlen im E-Commerce stellt sich auch immer die Frage nach der Zukunftsfähigkeit im Bereich Ausbildung. Wie bewertest du hier die Möglichkeiten für Absolventen?
Martin: Sie werden immer besser. Unser Ausbildungsberuf „Kaufleute im E-Commerce“ ist sehr gut angenommen worden und wird von den Arbeitsagenturen als „Trendberuf“ bezeichnet, der gerade in der COVID-Pandemie hohe Aufmerksamkeit erfahren hat.
Klar, aufgrund vieler stationärer Einzelhändler, die in der aktuellen Situation ihre Ausbildungsprogramme generell heruntergefahren haben, ist auch die Zahl der E-Commerce-Azubis im Jahr 2020 etwas heruntergegangen, aber in diesem Jahr sehen wir schon wieder starke Zuwachsraten.
Daneben gibt es inzwischen etwa zehn einschlägige E-Commerce-Studiengänge, die zum Bachelor oder Master führen, und mehr als hundert Studiengänge, die sich mit der Digitalisierung im Handel befassen. Wir haben diese alle unter „hochschulatlas-ecommerce.de“ dokumentiert.
Wem aber das praktische mehr liegt, der kann sich seit vergangenem Jahr – und eigentlich erst beginnend mit den Prüfungen im Jahr 2021 – als Fachwirtin oder zum Fachwirt im E-Commerce prüfen lassen. Dieser bundesweit einheitlich geprüfte Fortbildungsabschluss qualifiziert für mittlere Führungspositionen im E-Commerce, weil dort neben dem Anwendungswissen auch Strategie und Leadership eine Rolle spielen.
Insgesamt kann man sagen, dass wir in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren, seit wir erstmals beim DIHK mit unseren Ideen für den Ausbildungsweg eines „Online-Kaufmanns“ angetreten sind, europaweit das beste und vielfältigste Angebot an Ausbildungsmöglichkeiten mit entwickeln konnten. Darauf können wir stolz sein.