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Ist die Logistik schon fit für retail 4.0?

Ein Gastbeitrag von Dr. Volker Lange, Leiter Verpackungslogistik- und Handelslogistik und Christine Auffermann, Gruppenleiterin Handelslogistik, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund

Mit ihrer Ver- und Entsorgungsfunktion verbindet die Handelslogistik die globale Herstellung mit der lokalen Verfügbarkeit von Waren für den Endverbraucher. Sie ist infolgedessen einer Vielzahl von Rahmenbedingungen unterworfen, die Einfluss auf eingesetzte Ressourcen, gewählte Infrastrukturen oder die Effizienz von Prozessabläufen haben. Nur wer die Rahmenbedingungen kennt und sich regelmäßig mit Änderungen in diesem Umfeld auseinandersetzt, kann rechtzeitig die richtigen Konsequenzen abschätzen und in seinen Entscheidungsprozess integrieren. Doch wie gut funktioniert das aktuell in der Handelslogistik? 

Industrie 4.0 und Digitalisierung machen auch vor dem deutschen Handel nicht halt. Der stationäre Handel verschmilzt immer stärker mit den Formaten des E-Commerce. Direkte Interaktionen mit dem Kunden finden nicht mehr nur im Geschäft, sondern über verschiedenste Kanäle statt. Um den veränderten Marktbedingungen gerecht werden zu können und um eine langfristige Wachstumsstrategie erfolgreich umzusetzen, treten die Händler zunehmend als Multichannel-Händler am Markt auf. Bereits heute verfügen 62 % der Onlinehändler in Deutschland auch über einen stationären Vertriebskanal – fast zwei Drittel aller Onlineshops werden also von Multichannel-Händlern betrieben. Im Hintergrund sind dabei leistungsfähige Logistikprozesse notwendig, um die Vernetzung von B2B und B2C und die daraus resultierende Komplexität zu bewältigen.

Die zunehmende Artikelvielfalt und die Änderung der Einkaufsgewohnheiten nehmen bereits jetzt, vor allem aber in Zukunft, weitreichenden Einfluss auf die Handelslogistik. So ist die Artikelvielfalt beispielsweise dadurch geprägt, dass ein einzelnes Produkt mittlerweile in verschiedenen Ausprägungsvarianten angeboten werden muss, um möglichst alle Zielgruppen zu erreichen. Darüber hinaus ermöglicht es der Stand der Technik in Form von online sowie mobil, dass der Konsument immer und vor allem überall in der Lage ist, Einkäufe zu tätigen. Durch die damit einhergehenden neuen Mobilitätsbedürfnisse liegt allen Vorhersagen zum Trotz die Transporteffizienz gemessen an einer durchschnittlichen Volumenauslastung der Transportfahrzeuge noch fern vom Optimum. Dies ist den immer kürzer werdenden Transportzeiten und den flexiblen Liefermengen geschuldet.

In Folge der technischen Entwicklung und den daraus entstandenen neuen Einkaufsmöglichkeiten stellen Konsumenten heute sehr viel höhere Ansprüche bezüglich der Einkaufsabwicklung an die Handelsunternehmen. Hierbei ist eine zunehmende Akzeptanz virtueller Einkaufskanäle zu beobachten, die damit auch zu einer völlig neuen Rolle des individuellen Konsumenten führt, welche sich unter anderem in der notwendigen Verfügbarkeit kundenspezifischer Informationen zeigt. Aber auch im klassischen stationären Verkaufsgeschäft halten neue Technologien Einzug. Hier gewinnt unter anderem die Beacon-Technologie enorm an Bedeutung. Mittels an Regalen und Eingängen angebrachten iBeacons können Kunden individuell begrüßt und mit teilweise personalisierten Produktinformationen angesprochen werden. Des Weiteren bietet diese Technologie den Händlern bereits weitreichende Möglichkeiten der Implementierung von kundenorientierten Indoor-Navigationslösungen.

Auf der anderen Seite ermöglicht die fortschreitende Technologieentwicklung aber auch erhebliche Chancen für die Logistik: logistische Services von der Zustellung bis hin zur Verpackung werden individuell auf den Warenempfänger zugeschnitten, der zunehmend eine Steuerungsfunktion der Lieferkette übernimmt. Darüber hinaus sind zur Steuerung und Kontrolle von Waren- und Informationsfluss gänzlich neue Möglichkeiten gegeben. Das zum Teil ohne Integration in zentrale Systeme, sondern viel kleiner, intuitiver und einfacher für den Anwender.

Ein weiterer Aspekt kommt durch die Technologie des 3D-Drucks hinzu. Die dreidimensionale Drucktechnik könnte zu einer Schlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts werden und die bisherigen Wertschöpfungsketten revolutionieren. Nicht nur in der industriellen Fertigung, sondern auch im Handel könnte die Herstellung von Produkten on-demand die heutigen Systeme der Warenversorgung grundlegend verändern. Mögliche Veränderungen für Lagerhaltung und Logistik liegen auf der Hand: Wer braucht schon große Lagerhallen, wenn Nachschub auf Knopfdruck binnen weniger Stunden hergestellt werden kann?

Handelsprozesse erfordern einen Blick auf die gesamte Supply Chain. Die Vernetzung aller Beteiligten, auch im Sinne von Kooperationen zur Konsolidierung der Warenströme, wird vor diesem Hintergrund immer wichtiger. Die Liefernetzwerke zwischen Konsumgüterindustrie und Handel sind komplex und unterliegen großen Schwankungen. Die tagtäglichen logistischen Abläufe haben einen großen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Kosten innerhalb des Liefernetzwerkes. Im hoch preissensiblen Umfeld der deutschen Konsumgüterindustrie sind dies entscheidende Wettbewerbsvorteile. Eine schlanke Lieferkette ohne doppelte Arbeitsschritte und Störungen entscheidet über die Güte der Prozesse und wird damit besonders in Zeiten starker Konkurrenz zu einem wichtigen Faktor. Es gilt auch nach der Integration neuer Handelspartner oder nach der Einführung neuer Prozesse die Abläufe permanent zu hinterfragen und gemeinsam mit den Handelspartnern zu optimieren.

Konsumenten stellen neue Anforderungen an die Nahversorgung und damit auch an technische und konzeptionelle Möglichkeiten der Warendistribution. Die aktuellen Systeme der Handelslogistik müssen unter diesen Voraussetzungen künftig höhere Bestellrhythmen bei gleichzeitig geringeren Mindestbestellmengen gewährleisten, was eine zunehmend unbefriedigende Bündelung auf Ebene der Warenumschlagpunkte erwarten lässt. Dies hat geringere Volumennutzungsgrade beim Warentransport und eine steigende Anzahl der Transporte zur Folge. Eine Entwicklung, die rundweg konträr zur notwendigen Herausforderung der Reduktion von Verkehr als Verursacher von Treibhausgasen und Energieverschwendung steht. Durch die zunehmende Nachfrage nach Same-Day-Lieferservices im Online-Geschäft wird dieser Themenbereich in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen.

Das sind nur einige Beispiele der Trends und Rahmenbedingungen, denen sich die Handelslogistik künftig stellen muss. Welchen weiteren Herausforderungen uns in den nächsten Jahren im Handel erwarten, darüber berichten und diskutieren die Teilnehmer des Zukunftsforums Handel auf der TradeWorld, die vom 8. bis 10. März im Rahmen der Fachmesse LogiMAT 2016 in Stuttgart stattfindet. Erfahren Sie am 10. März von 10:00 bis 11:30 Uhr in Halle 6 (Forum T) in verschiedenen Perspektiven aus Forschung, Industrie und Handel, welche Trends im Handel wesentlichen Einfluss auf die zugehörige Logistik nehmen werden.