von Martin Groß-Albenhausen
Ein Bekannter, der mehrere Jahre nicht mehr im Digitalen Marketing aktiv war und nun wieder in die Branche zurückgekehrt ist, zog gestern morgen am Rand der K5 in München ein knappes Fazit: In den vergangenen drei Jahren habe sich offenbar nicht viel getan. Google sei weiterhin für die meisten der wichtigste Werbeweg, die Customer Journey zwar bekannt, auch optimiert, aber niemand habe einen neuen Hebel für profitables Wachstum gefunden.
Früher schien es für Händler sinnvoll, nach innen zu wachsen. Wer seine Nische in der Tiefe mit Produkten, Varianten, Marken erschloss, wer die Shop-Architektur korrekt und die Kategorien suchmaschinengerecht aufsetzte, wer zudem mit uniquen Daten und optimiertem, häufig aktualisiertem Content aufwarte, der konnte sich über guten Rank und ordentlichen CpC freuen.
Das Modell funktioniert auch heute noch anscheinend - oder scheinbar - so gut, dass nach Vorbild von coolblue.nl oder CSN Stores/Wayfair einige Multishop-Konzepte groß geworden sind. Niceshops aus Österreich zum Beispiel hat einen Weg gefunden, aus inzwischen 17 unterschiedlichen Shops immer solche zu verknüpfen, die thematisch recht gut zueinander passen. Ich bin zwar nicht sicher, ob die Themen am Ende nicht doch zu weit auseinander liegen, um Dachmarken-Vorteile zu schöpfen – aber darum geht es nicht. Niceshops multipliziert ein Basiskonzept auf unterschiedliche Nischen, von der Pferdeverpflegung über Swimmingpools bis zur Lederhose.
Klein starten, Nische für Nische expandieren. Wunderbar. Oder nicht?
Das Erfolgsmodell bei Niceshops liest sich auch so: 17 Shops, 11 Sprachversionen, macht dann 300.000 aktive Kunden, die im Jahr knapp 400.000 Bestellungen mit einem Mittelwert von 50 Euro platzieren.
Das heißt auch: Obwohl die Waren nicht teuer und eher auf Wiederkauf ausgelegt sind, platzieren die meisten Käufer nur 1 Bestellung. Kundenbindung sieht anders aus. Offenbar haben sie genügend andere Nischenläden, wo sie beim nächsten Mal halt machen. Um so ein Modell profitabel zu betreiben, braucht Niceshops margenstarke Produkte und eine höchst effiziente Logistik. Dies betont der Gründer auch als Stärke und Vorteil seines Unternehmens.
Vielleicht ist die Zeit vorbei, in der Thomann, fahrrad.de oder Skatedeluxe ohne massives Venture Capital schon groß werden konnten.
Ebenfalls am Rand der K5 hat Alexander Graf ein interessantes Interview mit Sven Wiechert von Lieblingstasche.de geführt. Das ist ein klassischer Nischenversender, der mit 1000 ausgewählten, hochwertigen Taschen hauptsächlich im eigenen Shop, seit kurzem aber auch auf Amazon sein Geschäft macht.
Im Interview wird deutlich, dass Erfolg in der Nische auf mehr als „Tiefe x SEO“ beruht. Es gehört eine Menge Intelligenz im Re-Marketing, CRM, und nicht zuletzt Einkauf und Produktdatenoptimierung dazu. Deutlich wird jedoch auch, dass Amazon mit einem Sortiment von 800.000 hochwertigen Taschen zwar der 900-Pfund-Gorilla im Markt ist, aber eben nicht so dicht an den Trends sitzt. Um im Bild zu bleiben: der Gibbon ist schneller, klettert höher und kann oft genug exklusiv eine Frucht vom Baum pflücken.
Die gute Nachricht: Es gibt sie noch, die Afficionados und Fashionistas, die nicht mit Warenhäusern zufrieden sind.
Die schlechte Nachricht: Der 900 Pfund-Gorilla hat längst eine Antwort darauf gefunden.
In der Vorbereitung auf meinen Pre-Conference-Vortrag auf der K5 habe ich die diesjährige „Nischenseiten-Challenge“ noch einmal Revue passieren lassen. Wer sie nicht kennt: Peer Wandinger veranstaltet seit einigen Jahren einen Wettbewerb, bei dem innerhalb einer kurzen Zeit (13 Wochen) eine Nischenseite so intelligent aufgebaut werden soll, dass sie bei Google auf den Top-Plätzen rankt und eine entsprechende Monetarisierung durch Affiliate-Umsätze oder AdSense-Klicks erzielt wird.
Auf die Challenge an sich will ich gar nicht eingehen. Man kann über Affiliates und das generierte passive Einkommen durchaus geteilter Meinung sein. Mir ist aber aufgefallen, dass offenbar die beste Monetarisierung in Affiliate-Links zu Amazon liegt. Das war in der Vergangenheit schon die Erkenntnis von Anbietern, die zu redaktionellem Content (z.B. Verlagsseiten) inhaltlich passende Shop-Links generierten. Amazon konvertiert regelmäßig besser als alle anderen Händler. Denn wenn und obwohl das erste Produkt vielleicht nicht passt, ist die Recommendation-Intelligenz unschlagbar.
Und Amazon setzt alles daran, Sortimente gezielt auch über solche Nischenseiten zu erschließen. Im Jahresverlauf wurde die Kappung der Affiliate-Provisionen im Amazon Partnernet aufgehoben. Sortimente, die für Amazon interessant, margenstark oder generell eher schwierig sind, werden in unbegrenzter Höhe mit 10 Prozent vom Umsatz verprovisioniert.
Einige der Challenge-Teilnehmer zeigen offen, wie sich die Performance ihrer Affiliate-Seiten in den Monaten nach der Challenge immer weiter verbessert und sie z.T. mittlere dreistellige Provisionsumsätze dort generieren. Nicht viel, aber häufig sind solche Affiliates nicht mit einer, sondern mit einer ganzen Batterie von Nischenseiten unterwegs, die auch von Google offenbar für hochwertig befunden werden.
Das ist kein Abgesang auf den Spezial-Versandhandel. Aber jeder sollte sich klar sein, dass Regeln der Vergangenheit schlichtweg nicht mehr gelten. Schon gar nicht die alten Regeln, die bei Spezialkatalogen höhere Preispunkte erlaubten als bei breit streuenden Werbemitteln. Auch die Hoffnung, dass ein Nischenshop im Onlinemarketing weniger Aufwand verursache und nur wegen guter Beratungstexte und einem Rattenschwanz relevanter Marken vom Kunden dauerhaft bevorzugt werde, muss man vielen kleinen Händlern nehmen.
Wer nicht ein uniques, begehrtes Produkt hat, das er von A-Z kontrolliert, braucht auch in der Nische alle Intelligenz des E-Commerce.