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„Große bis alle Teile des Kaufprozesses lassen sich relativ einfach digitalisieren“


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Omnichannel unplugged: Der Handel von Morgen lebt in digitalen Architekturen. Nicht größer, sondern wendiger sein, nicht aufwändiger, sondern sich agiler entwickeln: Kopf schlägt Kapital. Der 9. OMN Innovation Day [digital] zeigt, wie es geht – wie immer mit jeder Menge Beispielen aus der Praxis. Bevor es richtig los geht, haben wir uns mit den Gastgebern Norbert Weckerle, Geschäftsführender Gesellschafter bei apollon GmbH+Co. KG, und Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Geschäftsführer des bevh, zu einem Plausch hingesetzt – und interessante Einsichten gewonnen.



Unsere Gesprächspartner: Martin Groß-Albenhausen und Norbert Weckerle


Herr Weckerle, Moden kommen und gehen. Aber was macht einen Trend zum Megatrend? Und warum ist Omnichannel ein Megatrend?

Norbert Weckerle: Zum einen sind Megatrends global, sie verändern das Leben aller Menschen weltweit und langfristig. Das bedeutet aber nicht, dass Megatrends überall auf der Welt immer gleich in Erscheinung treten. Viele tiefgreifende Veränderungen sind zeitlich versetzt, kombinieren sich mit anderen Trends und können auf Regionen und Gruppen jeweils sehr unterschiedlich wirken. Zum anderen sind Megatrends wie eine Flutwelle im Schrittempo. Schauen wir uns einmal den Handel und den Omnichannel-Commerce an, mit Konzepten wie Ship-from-Store und Click + Collect. Damit werden völlig neue Geschäftsfelder eröffnet. Händler erreichen Ihre Kunden überall und zu jeder Uhrzeit – durch Flexibilität und besondere Kauferlebnisse wird die Kundenzufriedenheit erhöht. Diese Omnichannel-Konzepte verbinden die digitale Welt mit der realen und bieten eine neue Customer Experience. Der Kunde erwartet genau solche Konzepte von „seinem“ Händler.

Martin Groß-Albenhausen: Das Bild von der Welle trifft es ziemlich gut. Es gibt kurzfristige Trends, die durchaus gegenläufig sein können und sich zu widersprechen scheinen. Dadurch übersieht man schnell die unterliegende, sich auftürmende Welle. Man kann mit Blick auf den E-Commerce in Frage stellen, dass die Kunden Händler bevorzugen, die einen Laden und einen Onlineshop kombinieren. Unsere Zahlen liefern dafür einfach keinen Beweis. Aber eindeutig ist, dass die Händler erfolgreich sind, wenn sie den Kunden situativ entgegenkommen, auf jedem gebotenen und vom Kunden genutzten Kanal. Insofern ist OMNI dann nicht zwingend „alle“ Kanäle.

Im Omnichannel sind dem Kunden keine Grenzen der Einkaufskanäle gesetzt. Marketing, Produktsuche, Einkauf, Bezahlung – sämtliche Stationen der Customer lassen sich an unterschiedlichsten stationären und digitalen Touchpoints erleben und erledigen. Wie viele „Digitalitäten“ gibt es und müssen mitgedacht werden, um Omnichannel überhaupt möglich zu machen?

Norbert Weckerle: In der Tat besteht die Herausforderung für den Handel derzeit darin, schlüssige Gesamtkonzepte am Markt zu positionieren. Dazu bedarf es der systemübergreifender Vernetzung, der Kunde muss dabei aber immer im Mittelpunkt stehen. Seine Bedürfnisse müssen erkannt und prozessual abgebildet werden. Was letztlich den Unterschied macht, ist die intelligente Orchestrierung aller Touchpoints entlang der Customer Journey.

Und doch gebe ich Recht – Digitalitäten gibt es unzählige. Schauen wir uns also noch einmal an, was „Digitalität“ eigentlich ausmacht. Wenn wir Digitalität weder in Hardware oder Apps denken, bedeutet Digitalität, dass Menschen kommunizieren und ihre Handlungen in digitaler Form ausführen. Natürlich werden für die Handlungen Tools oder Apps benutzt, diese dienen aber als Mittel zum Zweck, zur Erfüllung des kommunikativen Bedürfnisses. Es ist die Emotionalisierung, die den Verbraucher bewegt: Ausgezeichneter Service und besondere Erlebnisse, herausragende Betreuung – das ruft Emotionen hervor und mit denen werden dann Kauf-Entscheidungen getroffen. Neben der Emotionalisierung spielt auch die Automatisierung eine wichtige Rolle. Die Nutzung von Automation hilft dem Händler, Kunden zu gewinnen, zu halten und wiederkehrende Arbeitsabläufe effizient abzubilden. Vereinfacht dargestellt sind Emotionalisierung und Automatisierung die Schlüssel für die erfolgreiche Interaktion mit dem Kunden. Da gibt es in Deutschland aber noch jede Mende zu tun.

Nahe am Menschen: Technologien verändern menschliche Konsumgewohnheiten; umgekehrt sind neue menschliche Bedürfnisse Ausgangspunkt für technologische Innovationen. Blicken wir konkret auf die nächsten 10 Jahre: Wie wird sich unsere Konsumkultur verändern und welche Technologien werden den Handel dabei begleiten?

Martin Groß-Albenhausen: Wir erleben heute schon, dass die Menschen das Internet anders erleben und bedienen als noch vor zehn Jahren. Im Supermarkt halten die Kunden Uhren an das Kartenterminal. Sie sprechen Befehle in die Smartphones, statt sie zu tippen – oder in die vernetzten Bordcomputer im Auto, die zu Online-Transaktionen ermöglichen. Sie hören auf Empfehlungen, die ausgesprochen schwache künstliche Intelligenz ihnen bietet. Dabei führt die Miniaturisierung der IT in Verbindung mit exponentieller Steigerung der Leistungsfähigkeit dazu, dass die Netzverbindung in immer mehr Alltagsgeräten zu finden ist. Der IT-Trend zur „Edge“-Verarbeitung, also weg von zentralen Rechenprozessen zu distributierten Prozessen nahe am Ort des Bedarfs, berührt Industrie und auch Konsumenten. Gerade hat Google die neue Generation der Pixel-Phones vorgestellt, bei denen KI „on board“ ist und nicht mehr auf Serverfarmen irgendwo auf der Welt die Resultate errechnet.

Wie sehr müssen sich deutsche Unternehmen heute anstrengen, um zumindest im Feld des digitalen Handels mitzulaufen? Oder andersrum gefragt: Wie groß ist der Abstand der Nachzügler geworden, wie viel Substanz haben z.B. die digitalen Grundlagen – Produktdaten, Kundendaten, Transaktionsdaten, digital abruf- und verarbeitbares gesammeltes Wissen – heute im Mittel aller Handelsunternehmen, denen Ihr begegnet?

Martin Groß-Albenhausen: Es wäre ein Fehler, die bereits erfolgte Digitalisierung kleinzureden. Es ist erstaunlich, wie sehr heute in den verschiedensten Betrieben schon mit Daten gearbeitet wird. Das Problem liegt aber in den Formaten und der Syntax, oder allgemeiner gesagt: in der Datensprache. Wenn Maschinen und Anwendungen sich nicht verstehen, weil in den Branchen immer nur eine Binnendigitalisierung favorisiert wird, dann wird der Abstand zu anderen Nationen größer. Wir Deutsche sind detailversessene Ingenieure, das ist unsere Stärke. Andere sehen das „big picture“ und schaffen die Ökosysteme, und damit zwingen sie andere dazu, ihre Sprache zu sprechen. Und wieder andere bauen gnadenlos integrierte Systeme, die komplette Wertschöpfung in einem Datenmodell abbildet. Solche Systeme, die insbesondere in Asien staatlicherseits massiv gefördert werden, verschaffen den Unternehmen nicht nur zeitlichen Vorsprung, sondern auch eine bei uns schwer herstellbare Transparenz und Agilität. Doch in diesen Themen kann man auf Jeff Bezos Dictum vertrauen: Es ist immer noch Tag 1 des Internet, darum ist es falsch, von uneinholbaren Vorsprüngen auszugehen. Einige der deutschen Unicorns beweisen, dass wir Talent und Technologie genug haben.

Man hört immer, dass im B2B jetzt Goldgräberstimmung herrscht, was Digitalisierung und E-Commerce angeht. Auf dem OMN Innovation Day [digital] werden auch B2B-Beispiele gezeigt. Wie ist der Status Quo der B2B-Anbieter?

Norbert Weckerle: Die B2B-Branche hinkt dem B2C zeitlich hinterher. Was im B2C-Bereich schon lange selbstverständlich ist, kommt nur allmählich im B2B an. Das hat unterschiedliche Gründe: B2C-Unternehmen haben eine ganzheitliche Sicht auf ihre Kunden, im B2B-Bereich hat man sich darauf noch immer nicht  eingestellt. Auch ist der B2B-Kaufprozess komplexer und umfasst Ausschreibung, Angebote, Verträge, Freigaben. Das ist anders als der vergleichsweise einfache und geradlinige Weg, den ein B2C-Käufer geht. Im B2C-Handel hat sich bereits gezeigt, dass sich große bis alle Teile des Prozesses relativ einfach digitalisieren lassen. Im B2B müssen noch viele Prozesse digitalisiert werden – nicht nur die internen, sondern auch die Prozesse zum Kunden hin. Goldgräberstimmung kommt auf, weil der B2B-Handel über digitale Kanäle boomt, eine Sättigung ist aber vor allem bei B2B-Onlineshops- und -Marktplätzen noch lange nicht in Sicht. Der B2B-Markt ist also gewaltig und seine Digitalisierung noch vergleichsweise in den Anfängen.

Martin Groß-Albenhausen: Hinzu kommt, dass B2B-Handel schon weit früher als der B2C-Handel digitalisiert wurde: EDI-Prozesse begannen weit vor der Erfindung des World Wide Web, die Beschaffungsprozesse und Materialdisposition zu optimieren. Daher schien lange kein Bedarf, neben solchen OCI-Schnittstellen und Punchout noch eine offene Beschaffungsplattform zu nutzen. Im Gegenteil, das „Maverick-Buying“ war nicht gewollt, weil die Unternehmen – anders als Endkunden – mit jedem neuen Lieferanten einen Rattenschwanz an internen Kosten auf sich nahmen. Das dreht sich momentan rasant, weil Onlinemarktplätze als „Single Creditor“ die Lieferantenzahl erhöhen können, ohne dass die Prozesskosten parallel ansteigen. Spannend wird es in der nächsten Stufe, wenn Blockchain-Lösungen auch die Vertragstreue und Leistungsfähigkeit der Partner absichern. Dann wird sich die Rolle der Marktplätze und Plattformen noch einmal ändern, denn die Funktion des „trusted middleman“ ist dann obsolet. Die Blockchain in Verbindung mit homogenen Datenräumen kann den E-Commerce im B2B zur dominierenden Handelsform machen.

Schneller, weiter, besser? Unter den digitalen Entwicklungen der vergangenen Jahre wird der Künstlichen Intelligenz besonders viel zugetraut. Autos sollen mit ihr das Fahren lernen, Unternehmen wollen mit ihr effizienter und schneller werden. Im Handel hört man allerdings wenig zum Thema KI. Fehlt es hier noch an den richtigen Anwendungsbereichen? Wo könnten diese Anwendungsbereiche liegen?

Norbert Weckerle: Anwendungsbereiche gibt es heute bereits zuhauf! Beispielsweise unterstützten KIs den gesamten Contenerstellungsprozess. Qualität und Effizienz in der Beschaffung und Aufbereitung der Produktdaten spielen eine entscheidende Rolle für das Alleinstellungsmerkmal eines Unternehmens. Hier sind Beispiele direkt aus der Praxis:

Bildinhalte können via KI analysiert und automatisch mit den passenden Schlagwörtern oder Labels versehen werden. Das ist in der Fashion-Taxonomie nützlich, wenn es um die Erkennung von Primärfarben, Styles, Muster oder Längen geht. Die Inhalte können wiederum als Werte in das PIM fließen, um granulare und filterbare Informationen bereitzustellen

Produktbilder können via KI auch freigestellt werden, automatisiert für den Shop oder für den Marktplatz. NLG-Anwendungen (Natural Language Generation, Anm. d. Red.) erstellen wiederum aus granularen Produkt-Informationen wie Attributswerten schnell, kostengünstig und mit hoher Varianz, emotionale Produkttexte – vollends automatisiert über Textroboter. Die Textroboter liefern in Sekundenschnelle maschinell generierte, für Suchmaschinen optimierte (SEO-Optimierung) Produktbeschreibungen.

Mit KI ist es zudem möglich, Produktinformationen automatisiert übersetzen zu lassen – in Echtzeit! Wo früher Übersetzer beauftragt wurden, bedarf es heute nur noch eines Klicks und die Übersetzung liegt in Sekundenschnelle in der Zielsprache vor. Schneller, qualitativ besser und kosteneffizienter in Richtung Globalisierung! Unser Partner Westfalia beispielsweise betreibt Online-Shops in mehreren europäischen Ländern und hat sich dazu entschlossen, die Prozesse rund um die Übersetzung von Produktinformationen zu automatisieren.

Vielen Dank für das Gespräch!