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Google Home, Echo Dot, Cortana & Co: Wie relevant bleibt Ihr Shop?

verfasst von Martin Groß-Albenhausen

Im vergangenen Jahr habe ich viel über den „Contextual Commerce“ geschrieben – heute stellen wir fest, dass die Technologie der großen und kommenden Gatekeeper die Lebenswelt und damit den „Kontext“ der Kunden immer stärker kolonisiert. Ob Google Home oder Allo, Amazons Echo Dot oder Knight, neue Messaging-Modelle im Ökosystem von Facebook oder auf Microsofts Plattformen: Jede dieser Technologien wird an dem bisher von Händlern optimierten Zugangsmodell zu neuen Kunden und Umsätzen kratzen.

In den vergangenen Tagen war zu erfahren, dass mittlerweile ein Viertel aller Suchen auf Microsofts Google-Alternative „Bing“ über Sprache erfolgen. Vorgestern abend nannte Google-Chef Sundar Pichai auf der Entwickler-Konferenz Google I/O 16 für die dominierende Suchmaschine einen vergleichbaren Wert von 20 Prozent.




Auch wenn die „SERP“ häufig weiterhin auf einem Screen abgebildet wird, ist dieser bei Google in jedem zweiten Fall ein mobiles Endgerät. Das allein hat Auswirkungen auf das Klickverhalten – wenngleich der Wegfall der rechten Anzeigenspalte bei Google bislang weithin ohne negative Folgen geblieben ist. Google geht jetzt mit der iPhone-App „GBoard“ den Weg, die Suche aus dem Browser in die virtuelle Tastatur und damit in jegliche Art von Kommunikation zu integrieren. Genauso arbeitet künftig der Google-Assistent, der sich hilfreich in die Chats einklinkt und passende „Direct Answers“ einblendet und auch gleich die nächste Aktivität ausführt (s. links). Dies führt zu einer Bevorzugung des Knowledge-Graphs – also der „eindeutigen Antwort“ statt einer Trefferliste. Zudem werden die Resultate horizontal statt vertikal gescrollt: wieder eine schwer einschätzbare Veränderung.



Der Himmel stürzt dadurch nicht ein. Jedenfalls nicht über Nacht. Aber die Frage stellt sich wiederum und dringlicher, welche Position in der Suche für die Händler künftig noch eine Option ist. Und wie man sein Inventar so optimiert, dass Google semantische Spracherkennung einen besonders guten „Match“ erkennt. Da „SyntaxNet“ – die Technologie hinter Siri und Co – als Open Source jetzt allen zur Verfügung gestellt wurde, können Händler die Erkennung mit ihren eigenen Daten konditionieren, oder sich zumindest mit der Logik auseinandersetzen.

Semantik und Kontext, das gehört untrennbar zusammen. Kontext wiederum ist alles, von Geschlecht, Alter und Ort über situative Merkmale wie Dringlichkeit oder Einsatzzweck bis zu kulturellen oder anderweitig herkunftsbezogenen Attributen. Sprachsuche fügt der „Query“ eine Menge an Datenpunkten hinzu, die den Suchmaschinen helfen, eindeutige geeignete Treffer von solchen geringerer Güte zu trennen – ein Prozess, der „Disambiguation“ genannt wird. Viele der Kontext-Informationen über den Suchenden ziehen die Gatekeeper aus ihren Datenquellen: dem technischen Produkt selbst, dem historischen Nutzerverhalten... Andere lassen sich über Dialogsysteme aber besser als über die Sucheingabe-Felder ermitteln.

Beispiel: Wie würden Sie formulieren, dass eine Bluse „so richtig“ rot sein soll? Knallrot? Tief rot? Blutrot? Oder ganz einfach wie geschrieben „so richtig rot“?

SyntaxNet verspricht, gesprochene Worte mit der Genauigkeit eines Linguisten interpretieren zu können. Je genauer der Kontext von der Suchmaschine oder der App oder dem Chatbot verstanden wird, um so exakter fällt der Treffervorschlag aus; aber eben nur, wenn die Publisher auf der anderen Seite entsprechend eindeutig und datenreich agieren.

Auch dies trifft versierte (Online)händler nicht ins Mark, denn sie haben ggf. die schema.org-Properties für Produkt und „Thing“ ausgezeichnet. Allein wegen der Abbildung von Rich Snippets ist dies ja schon länger sinnvoll. Schema.org-Properties erlauben beispielsweise unter „disambiguatingDescription“ und unter „potentialAction“ Beschreibungen, die sich auf typische Fragen beziehen können. Dieser entsprechende Teil der schema.org-Codierung beruht übrigens auf Martin Hepps GoodRelations-Vokabular – ebenfalls ein Standard im E-Commerce, weit über die deutschen Grenzen hinaus. Letzteres gibt beispielsweise im Baustoffhandel längst die Möglichkeit, mit dem Produkt die Eigenschaft einer „Lieferung mit eigener Flotte von Kranfahrzeugen“ maschinenlesbar zu hinterlegen.

Technisch lässt sich also viel optimieren – aber genügt das, wenn künftig komplexe Fragen an Alexa oder Google gestellt werden? Der amerikanische Autor und Berater David Amerland hat die Grundanforderungen an Unternehmen, um in der semantischen Suche hohe Sichtbarkeit zu erlangen, auf ein sehr wichtiges Kriterium zugespitzt: „Veracity“ – was mit dem Wortfeld „Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Genauigkeit, Ehrlichkeit“ übersetzt werden könnte. Veracity ist neben der Datenmenge (Volume), der Geschwindigkeit der Datenverarbeitung (Velocity) und der Bandbreite an unterschiedlichen Ausprägungen (Variety) wesentlich für die Arbeit mit Big Data. Und Veracity ist für die Maschinen hinter der Suche essentiell, um einen möglichen Anbieter einzuschätzen.

  • „Veracity cuts both ways. Those who trawl for data need a way to verify its integrity before they start to process it. Those who use it (as in using search to find answers, for example) need to have some degree of confidence in what they are presented with. That also becomes the key we need to unlock the secret of success with search and visibility. Whether in search or social media platforms or even in apps that find and serve content, in order for any business to appear, they need to have a credible, detailed, data-dense presence on the web that inspires loyalty and trust.  The only way to achieve that is if you have the kind of marketing strategy in place that, in the mind of your audience, answers these questions in a definitive way:
    Who you are
    Why you are
    Why you matter to them
    It might sound simple but it isn’t. Solve it however and most other things begin to take care of themselves.“

Da die Gatekeeper immer stärker auf die eindeutige Identifizierung über GTINs setzen – schema.org referenziert beispielsweise die GTIN 8, 12, 13 und 14 – und sogar zur Nutzung verpflichten, ist der Händler in vielen Fällen nicht mehr Herr der Produktdaten. Zumindest nicht bei Handelsware.

Um nicht Unmengen von sinnlosem Content anzuhäufen, kann die Beschäftigung mit der Sprachsuche sogar helfen, eine alte Tugend des Versandhandels in die Zukunft zu überführen und damit Content zu fokussieren: das „schriftliche Verkaufsgespräch“. Wer noch bei Prof. Siegfried Vögele klassisches Direktmarketing gelernt hat, erinnert sich daran, dass er beim Produkt wesentliche Kundenfragen beantworten muss. Und schon damals war klar, dass es beim Kunden einen „Conversion-Funnel“ gibt und die Fragen nach „Buying-Stage“ unterschiedlich lauten.

Es gibt inzwischen viele Beispiele, wie Website-Betreiber gezielt Content so optimieren können, um als „Direct Answer“ infrage zu kommen. Antworten als maschinenlesbar strukturierte Kontext-Inhalte können Produkt-Management , Produktdaten-Management und Onlinemarketing nur gemeinsam geben.