verfasst von Stephanie Schmidt
Am 25.1.2017 fand im Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments eine wichtige Beratung zum Vorschlag der EU-Kommission zum Verbot des sog. Geoblockings statt. Der Bericht der Hauptberichterstatterin Roza Thun stellt in zentralen Punkten einen Fortschritt dar. Beispiele: Das strikte Einwilligungserfordernis bei automatischem Re-Routing entfällt, zudem soll der Anwendungsbereich – wie vom bevh gefordert - nur noch für Verbraucher gelten, so dass B2B-Verträge nicht mehr von den Regelungen betroffen werden. Zudem wurden die Formulierungen deutlich verbessert, um die Unternehmen vor einer überraschenden Anwendung des Verbraucherrechts zu schützen. Der anwesende Vertreter der EU-Kommission lehnte die Vorschläge naturgemäß ab. Änderungsanträge wird MEP Thun noch bis bis Mitte Februar entgegennehmen. Der bevh verfolgt dieses Gesetzgebungsverfahren in Zusammenarbeit mit seinem europäischen Dachverband EMOTA.
Zum Hintergrund: Der Verordnungsentwurf zum Geoblocking:
Vor mehr als acht Monaten hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag einer Verordnung gegen sogenanntes „Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarkts“ vom 25. Mai 2016 vorgelegt. Mit Elementen wie einer Zustimmungspflicht für automatisches Re-Routings, einer Verpflichtung zum europaweiten Angebot von Zahlungsmitteln und einem grenzüberschreitenden Verkaufszwang (ohne Lieferpflicht) ist dieser Verordnungsvorschlag ein Damoklesschwert für die E-Commerce-Branche. Die erste Entscheidung des Rates aus dem November 2016 zeigte für Onlinehändler geringe Änderungen gegenüber dem Kommissionsentwurf.
Inhaltlich kam der Gesetzgebungsvorstoß der Kommission zum Geoblocking keinesfalls überraschend: Schon seit Jahren ist die Europäische Kommission bestrebt gerade den grenzüberschreitenden E-Commerce voranzutreiben. Mit zahlreichen Gesetzesinitiativen der letzten Jahre will sie erreichen, dass aus den rechtlich und praktisch noch sehr unterschiedlichen nationalen Märkten ein einheitlicher Digitaler Binnenmarkt entsteht. Bislang - so beklagt die Kommission – würden nur 8 % der europäischen Unternehmen grenzüberschreitend verkaufen.
Waren die bisherigen Initiativen der Kommission zur Förderung des grenzüberschreitenden Onlinehandels aus der Sicht der E-Commerce-Branche oft sehr zu begrüßen, so ist sie mit ihrem Verordnungsvorschlag zum sogenannten „Geoblocking“ jedoch stark über das Ziel hinausgeschossen: Bislang sollten Unternehmen durch eine zunehmende Harmonisierung der Marktbedingungen vor allem Anreize für eine Ausdehnung der Geschäfte in andere Mitgliedsstaaten geboten werden. Mit dem Verordnungsvorschlag von 2016 werden die Unternehmen nunmehr erstmalig dazu verpflichtet, auch grenzüberschreitend Geschäfte zu betreiben. Onlinehändler müssten danach EU-weit an alle Kunden verkaufen, (aber nicht liefern), die dem Händler in seinem Heimatland oder in einem anderen Land, in das dieser bereits liefert, eine Lieferadresse nennen können. Diese Verpflichtung soll nicht nur den Verkauf an Verbraucher betreffen, sondern auch den Verkauf an Unternehmen und weitere Gewerbetreibende.
Mit diesem „Zwang zum Vertragsschluss“, der besonders den Onlinehandel betreffen würde, rüttelt die Kommission an den Grundfesten der grundrechtlich garantierten Vertragsfreiheit. Onlinehändler könnten dann nicht mehr frei entscheiden, mit wem sie Verträge schließen wollen. Einzig zulässige Ausnahme bislang: Waren, die im Heimatland des Kunden nicht verkauft werden dürfen.
Für die auf diese Weise „erzwungenen“ Verträge sollen die Händler keine anderen AGB verwenden dürfen als für ihre nationalen Kunden. Damit schaffen die von der Kommission vorgeschlagenen Vorschriften für Onlinehändler eine erhebliche Rechtsunsicherheit und neue rechtliche Risiken und Hindernisse. Ein Beispiel: Ein deutscher Onlinehändler übernimmt durch eine Regelung in seinen AGB gewöhnlich freiwillig die Rücksendekosten beim Widerruf des Kaufs durch den Kunden. Nach dem Gesetzgebungsvorschlag der Kommission müsste er seine Waren auch an Kunden aus Litauen oder Malta verkaufen, die eine Lieferadresse in Deutschland benennen können. Erklärt der Kunde fristgemäß den Widerruf, so dürften für Ihn nach dem Verordnungsvorschlag keine abweichenden AGB gelten. Schlimmstenfalls müsste der Onlinehändler dann wohl auch für die erzwungenen Verträge die Retourenkosten tragen.
Eine weitere rechtliche Unsicherheit für Onlinehändler aus dem Gesetzgebungsvorschlag besteht darin, dass sie damit rechnen müssen, mit den Verbraucherrechten aller 27 Mitgliedsstaaten konfrontiert zu werden. Hintergrund: Aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann auf grenzüberschreitende Verträge mit Verbrauchern sehr schnell das zwingende Verbraucherschutzrecht des jeweiligen Käuferstaats Anwendung finden, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind (z.B. Verwendung einer internationalen Vorwahl, anderer Sprachen oder einer abweichenden Währung). Noch kann ein Händler derartige Fälle vermeiden, indem er den Verkauf auf einige Länder beschränkt. Künftig könnte er aber durch den geplanten Verkaufszwang nicht mehr kontrollieren, zu Kunden aus welchen Ländern er vertragliche Bindungen eingeht.
Darüber hinaus sollen Onlinehändlern nach der Planung der Europäischen Kommission noch weitere Zwänge auferlegt werden: So soll es im Hinblick auf elektronische Transaktionen durch Überweisung, Lastschrift oder Kartenzahlung künftig unzulässig sein, den Kunden je nach Staatsangehörigkeit, Wohnsitz bzw. Niederlassung in der EU oder Standort des Kontos unterschiedliche Zahlungsbedingungen anzubieten.
Eine gezielte Weiterleitung eines Kunden auf Online-Shops im Heimatland des Kunden (Re-Routing) soll nach dem Vorschlag der Kommission nur noch zulässig sein, wenn der Kunde hierin eingewilligt hat oder die Beschränkung aufgrund von Rechtsvorschriften im Heimatland des Kunden erforderlich ist.
Der Weg, den die Kommission einschlägt, um den grenzüberschreitenden Onlinehandel voranzutreiben, ist bedauerlich. Anstatt die Marktbedingungen in der EU weiter anzugleichen, und damit für Onlinehändler den Anreiz zu schaffen, mehr über die Grenze zu verkaufen, soll mit der Keule des Gesetzgebers der Cross-Border-E-Commerce erzwungen werden.
In zwei Pressemeldungen vom 25.05.2016 und 18.11.2016 hat sich der bevh 2016 sehr kritisch zum Verordnungsentwurf geäußert und deutlich gemacht, dass Konsequenz der Verordnung eine fehlende Rechtssicherheit und bedeutenden Schwierigkeiten für Onlinehändler wären. Erste Erfolge unserer Tätigkeit zeigen sich in dem vom Rat verabschiedeten Vorschlag über den Entwurf der Geoblocking-Verordnung, der viele wichtige Kritikpunkte aus der E-Commerce-Branche aufgegriffen hat. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren zwischen EU-Kommission, Rat und Europäischem Parlament wird der bevh weiter gemeinsam mit dem europäischen Dachverband EMOTA die Gefahren des Gesetzgebungsvorschlags für den Onlinehandel hervorheben und sich für eine deutliche Änderung der geplanten Vorschriften einsetzen.