Blog:

Frequenz: Der Hebel für mehr Online-Umsatz

verfasst von Martin Groß-Albenhausen

Hätte man mich vor zehn Jahren gefragt, was das wichtigste Erfolgsgeheimnis im Versandhandelsmarketing sei, hätte ich drei Buchstaben genannt: RFM. Einfach deshalb, weil trotz aller Entwicklungen im „Predictive Modeling“ das Datum des letzten Kaufes (recency), die Häufigkeit von Bestellungen (frequency) und letztlich der Wert des Warenkorbes (monetary value) seit mehr als 80 Jahren verlässlich das Potential eines Kunden beschreiben.

RFM war in Zeiten, als Werbung wegen hoher Fixkosten für Kreation, Druck, Adressmiete und Porto kein Gießkannen-Prinzip erlaubte, das eine Regelwerk, mit dem man Übermailen und Untermailen von Kundensegmenten vermeiden konnte. Je näher am Letztkaufdatum der nächste Katalog eintraf, um so höher die Response. Je häufiger der Kunde kaufte, um so sicherer bestellte er auch aus dem nächsten Werbemittel. Und je höher der Bestellwert der letzten Periode, um so einfacher ließ sich die Werbung im nächsten Monat oder Quartal mit positivem ROI abschließen.

Eines der besten Werke zu RFM kann man sogar kostenlos als e-Book lesen – geschrieben von dem amerikanischen Direct-Marketing-Profi Donald Libey. Libey hat sein Buch zwar 2008 um weitere mögliche Datenpunkte ergänzt, doch die Essenz des RFM-Konzepts ist selten besser auf den Punkt gebracht als in dem e-Book.

Auf der Suche nach Potentialen für E-Commerce-Wachstum habe ich die RFM-Faktoren auf die unterschiedlichen Distanzhandels-Typen hin verglichen. Wie mehrfach erläutert, erheben wir die Daten zum Einkauf im Distanzhandel kontinuierlich, und fragen auch präzise nach den Einkäufen im Online- und Versandhandel in den letzten sieben Tagen.

  • Erste Erkenntnis: Wenn man die im Mittel 25-30 Prozent der Deutschen betrachtet, die innerhalb der jeweils vergangenen 7 Tage online bestellt haben, haben sie zuletzt eher bei klassischen Versendern als bei Online-Pureplayern oder Stationären Händlern mit Onlineshop gekauft – wenngleich der Vorsprung gering ist. An der Spitze der „Recency“ bewegen sich mit deutlichem Abstand aber die Online-Marktplätze, und hier vor allem natürlich Amazon.
  • Zweite Erkenntnis: Der mittlere Bestellwert (Monetary Value) unterscheidet sich nur geringfügig zwischen Online-Pureplayern, Onlineshops von stationären Händlern und klassischen Versendern. Dass im Internet günstig eingekauft wird, heißt nicht, dass dort kleinere Orderbeträge vorlägen. Ausnahme: Online-Marktplätze, die regelmäßig einen kleineren Warenkorb haben.
  • Dritte Erkenntnis: Fragt man nach der Häufigkeit der Bestellungen im Distanzhandel („Frequency“) dann weisen diejenigen, die bei klassischen Versendern kaufen, die geringste Frequenz auf. Gut jeder zweite aus dieser Klientel bestellt seltener als einmal im Monat.

Das folgende Bild zeigt, dass die Bestellfrequenz der mächtigste Hebel für die Internet-Pureplayer ist.



Wichtig zu verstehen: Die Statistik sagt nichts aus über die Frequenz bei einzelnen Händlern. Sie zeigt lediglich, dass die Reaktivierung von Kunden eines Pureplayers einfacher ist als die eines Katalog-Kunden, weil sie generell regere Distanzhandelskäufer sind.

Und das wiederum zeigt Wachstumschancen der kommenden Jahre. Denn fast analog zur Bereitschaft der Online-Kunden, häufiger im Distanzhandel zu kaufen, wächst auch die Zahl der „One-time-buyer“ in den Shops selbst. Anbieter von Loyalty-Programmen haben natürlich ein Interesse daran, die Zahlen zu dramatisieren. Von Ihnen hört man, dass der Anteil von Einmal-Käufern bei reinen Onlinehändlern rund 80 Prozent erreicht. Stationäre Händler mit Onlineshops liegen in der Regel zwischen 30 und 60 Prozent.

Obwohl die Kunden der Pureplayer also viel und häufig online kaufen, gelingt es den Shops bislang nicht, sie zu binden. Stattdessen werden Kunden wieder und wieder und immer teurer aufs Neue bei Google eingekauft. Wenn es nicht sogar beim einmaligen Kauf bleibt. Stammkunde, ade.

In den vergangenen 10 Jahren ist Performance-Werbung die führende Marketing-Disziplin geworden. Die Werbung an Bestandskunden hat bis heute in den digitalen Vertriebswegen nicht die gleiche Raffinesse erlebt wie im Printgeschäft. Erst seit die Werbung über AdWords oder PLA/Shopping-Kampagnen immer kostspieliger wird, besinnen sich auch kleine und mittlere Shops zurück auf die Tugenden der Bestandskunden-Werbung, neudeutsch „Retention Marketing“. Diese automatisiert immer persönlicher zu gestalten ist ein Mantra, das viele CRM-Anbieter zurecht vorbeten. Fakt ist aber auch, was Alexander Graf in einer exzellenten Übersicht aktueller Retention-Systeme moniert:

"Bislang nutzen nur Online-Riesen wie Amazon, Otto und Zalando das Potential des Kundenstamms wirklich aus. (...) Gerade mittlere und kleinere Shops würden von den Vorteilen der günstigen Kunden-Reaktivierung profitieren. Doch die Realität sieht meist anders aus: Jeder Shopbesucher wird als Neukunde behandelt, Suchbegriffe und Klickverhalten bleiben anonym oder ganz unberücksichtigt und generische Newsletter nerven die Kunden anstatt sie in den Shop zu locken."

Sicherlich kann man durch die ausgefuchsten Technologien der Retention-Systeme Kunden besser re-marketen. Wobei sicher einige wesentliche Faktoren gar nichts mit dem Marketing-Frontend zu tun haben. 

  • Sortiment: Nische bleibt Nische, und nur die konsequente Einführung von Neuprodukten und Erweiterungen reizt die Aufmerksamkeit der Kunden.
  • Verfügbarkeit: Der Kunde wird dahin gehen, wo sein Produkt nachweislich auf Lager ist. Eher in den Onlineshop als in die Filiale, und eher zu Amazon als zu einem eng kalkulierenden Händler.
  • Versandkosten: Wenn ich für Hin- und Rücksendung nichts zahle, ist das natürlich ein Argument. Amazon treibt die Kunden so über Prime in die Wiederholungskäufe, Zalando über das markenbildende Werbeargument.

Angesichts der zudem noch hohen Komplexität von Daten-Modellierung, ist Alexander Grafs Skepsis über die Aussichten von Retention-Marketing verständlich. Wie viele Unternehmen können in jeder Kategorie auf der Spitze des Heinemann-Kegels stehen?

Dennoch lohnt es sich meiner Meinung nach, intensiver den Kundenbestand zu analysieren. RFM ist ein guter Ansatz, um Werbemittel-Ausstattung zuzuordnen. Vielleicht gerade deshalb, weil man sich nicht im Wald der Datenpunkte verirrt, sondern auf die harten Transaktionswerte fokussiert.

Die Diskussion über Kundenbindung in Online- und Multichannel-Unternehmen ist ein Fokus-Thema des diesjährigen "etailment Summit" und wird von Marketing-, Einkaufs-, Vertriebs- und Logistiksicht aus behandelt. Jetzt anmelden!