Am Mittwoch hat die Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Uni Bamberg um Dr. Björn Asdecker den ersten Teil ihres „European Return-o-Meter“ vorgelegt. Mit dieser Analyse, bei deren Datengewinnung der bevh und seine Mitglieder maßgeblich unterstützt haben, soll das Bild des Retourenmanagements in Deutschland und Europa verglichen und um Steuerungsaspekte wie die CO2-Bilanz erweitert werden. Darin liegt ein wichtiger Beitrag für die Optimierung in einem der Kernprozesse des Distanzhandels.
Tatsächlich bestätigt der Bericht, dass die Onlinehändler den weit überwiegenden Anteil der Retouren nicht entsorgt. Nur 1,3 Prozent der retournierten Waren geht nicht zurück in den Verkaufskreislauf, mehr als 93 % können als Neuware im Kreislauf gehalten werden. Dies ist um so wichtiger, als nach der Erhebung 83 Prozent aller Retourensendungen und sogar 91 Prozent aller retournierten Warenstücke auf den Fashion-Bereich entfallen. Diese Rücksendungen müssen geprüft, z.T. gewaschen und aufgebügelt werden. E-Commerce ist eben nicht „Fast Fashion“ oder „Wegwerf-Mode“.
Dennoch, auch das eine Erkenntnis der Studie, liegen die mittleren Kosten für Transport und Bearbeitung von Retouren niedriger als bisher geschätzt bei 2,85 Euro pro Artikel bzw. 6,95 Euro pro Sendung. Hier spiegelt sich, wie in Deutschland, das im europäischen Vergleich ein hohes Retourenaufkommen hat, Prozesse und Technologien entwickelt wurden, mit denen eine hohe Effizienz erreicht wird.
Und das bringt die Problematik der Studie auf den Tisch. Anders als bei diesen direkten Kosten, muss sich das Forschungsteam bei der Einschätzung der CO2-Emissionen auf Aussagen von weniger als 5 Prozent der Unternehmen stützen, in Deutschland übrigens gerade einmal vier Händler. Wie die Werte erhoben wurden, ob dies besonders effizient agierende Händler sind oder nicht, ob sie repräsentativ sind oder ob hier ggf. ein Hebel für mehr Co2-Effizienz liegt: das kann die Studie nicht darstellen – so wenig, wie sie einen fairen Vergleich mit den Rückgaben und der Restanten-Verwertung im stationären Handel machen kann, weil dafür keine Daten existieren. Auch die Effekte des Crossborder-Handels auf die CO2-Bilanz der Retouren sind noch nicht erforscht. Festzuhalten ist auch, dass es leider bisher keine einheitlichen Standards oder einfach umsetzbare Erfassungsmethoden zur Abbildung solcher CO2e-Werte gibt, die zur Steuerung von Nachhaltigkeitsbestrebungen genutzt werden können.
Im übrigen sind Retouren per se kein spezifisches Thema nur des Versandhandels, auch wenn sie hier Teil des „Kaufs auf Probe“ sind und einen zentralen Prozess in unserem „Betriebssystem“ darstellen. Überall aber wird Ware ins System gebracht, von Kunden probiert, zurückgegeben oder -gelegt – und muss am Ende aus dem System genommen wrden. Das ist überaus relevant schon in Hinblick auf die Relation zwischen dem Löwenanteil des stationären Handels und dem Umsatz-Siebtel davon, das durch den Onlinehandel erwirtschaftet wird. Produktionsüberhänge, Fehlproduktionen, Transportschäden, Produktrücknahmen und Produktrückrufe und Gewährleistungs- sowie Garantieansprüche gibt es zwischen Erzeugern und Produzenten, zwischen Produzenten und Großhandel, zwischen Großhandel und Einzelhandel und im Direktvertrieb. Wenn also über Nachhaltigkeit gesprochen wird, dann darf der Umgang mit Retouren nicht dem “E-Commerce-Bashing" dienen und um von den mangelhaften Prozessen anderer Vertriebsformen oder Stufen der Wertschöpfungskette abzulenken. Das Ziel muss sein, das Wirtschaften, den Einkauf, die Nutzung von Gütern und Ressourcen insgesamt nachhaltiger zu gestalten und dazu immer weiter Prozessoptimierung zu betreiben. Etwas, das unserer Branche ohnehin “in den Genen liegt”.
So sind die Zahlen ein erstes, wichtiges, gleichwohl mit kritischer Sorgfalt zu nutzendes Forschungsergebnis. Die Retourenforschung ist ein Work in Progress – einfache Antworten, die gerne nahegelegt werden, verbieten sich in so einem frühen Stadium. Dass der hohe Anteil des Kaufs auf Rechnung eine mögliche Ursache für das hohe Retourenvolumen ist, liegt nahe und wird auch von der bevh-eigenen Forschung als Korrelation bestätigt. Fast zwei Drittel der Retouren erfolgen laut Studie im Fashion-Bereich. Unsere Daten zeigen, dass hier der Kauf auf Rechnung deutlich ausgeprägter ist als z.B. beim Kauf von Unterhaltungselektronik. An diesem Hebelpunkt könnte man im Retourenmanagement ansetzen (und tut es längst).
Ob aber eine Verschärfung der konstatierten, im europäischen Vergleich „sehr liberalen Rücksenderegeln“ oder ein Ende der „kostenlosen Retouren“ wirksame Maßnahmen sind (laut Studie zwei weitere mögliche Treiber der Retouren), ist hingegen fraglich. Viele andere Studien zeigen, dass die Kunden elastisch auf Retourenkosten reagieren – aber auch, dass sie deswegen nicht unbedingt weniger bestellen würden. Ein verpflichtendes Retourenporto könnte daher zu „unechten Retouren“ führen: Rücksendungen, die aus Kostengründen nicht erfolgen, das Verhältnis von Kunde und Händler belasten und am Ende möglicherweise eine weniger nachhaltige Verwendung der nicht passenden Kleidungsstücke nach sich ziehen, als der Retourenkreislauf sie ermöglicht.
„Eine Zahl ist besser als keine Zahl“ oder „Lieber keine Zahl als eine falsche“? Das ist keine Entscheidung für die Wissenschaft, sondern für die Praxis. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Retouren ist in jedem Fall wertvoll. Retouren treiben Kosten, sie schaffen Loyalität, sie erzeugen bei richtiger Handhabung Wettbewerbsvorteile (wie die vorliegende Studie konstatiert). Zu den vielen Facetten zählt auch der Impact auf die Nachhaltigkeit unserer Branche.
Darum haben wir – neben bereits bestehenden Aktivitäten wie dem gerade neu aufgelegten „Weißbuch Nachhaltigkeit“ und dem im Herbst in zweiter Auflage erscheinenden „Retourenkompendium“ – das Fraunhofer-Institut mit einer umfassenden Beurteilung des Status Quo und der Potentiale für die Nachhaltigkeit der E-Commerce-Operations beauftragt – nicht nur der Sendungsmengen und Verpackungen, auch der technischen Systeme einschließlich Data Center, Energieverbrauch der Customer Journey etc.
Denn E-Commerce kann (und sollte) stets mehr Teil der Lösung als Teil des Problems sein.