verfasst von Martin Groß-Albenhausen
„Im B2B funktioniert das nicht“ ist eine der beliebtesten Aussagen, um disruptive Ansätze im gewerblichen Beschaffungsbereich in Frage zu stellen. Und wer sich die Hörner an verschiedensten Firmenkunden-Zielgruppen abgestoßen hat, weiß, dass tatsächlich das Einkaufsverhalten der gewerblichen Einkäufer eben nicht – vielleicht „noch nicht“ – dem B2C-Onlineshopping entspricht. Weder im Großkunden-Segment, noch bei den kleinen Gewerbetreibenden.
Sicher, das ist von Sortimenten und adressierten Branchen abhängig. Im bevh-Arbeitskreis B2B haben wir vor kurzem auf Grundlage einer KPMG-Studie Szenarien des gewerblichen Einkaufs 2035 diskutiert. Deutlich wurde, dass es in jeder Branche Sortimentsbereiche gibt, die für den algorithmen-basierten, halb- oder vollautomatisierten Ein- und Nachkauf anfällig sind. Je standardisierter ein Produkt, um so weniger braucht es die Mensch-zu-Mensch-Interaktion. Das gilt auch für die enorm tiefen und auf Detailebene ausdifferenzierten Sortimente wie z.B. Schrauben, wo Güteklassen und Zertifikate bei scheinbar identischen Produkten den Unterschied machen.
Deutlich ist, dass der Mensch immer dann der bessere Verkäufer ist, wo die Nutzung eines technischen Interfaces einfache Prozesse verkompliziert. Keiner hangelt sich durch verschachtelte und facettierte Navigation, wenn ein Anruf beim Kundenbetreuer in zehn Sekunden zum gewünschten Produkt führt.
Heißt: Ein B2B-Onlineshop ist keine Disruption. Sondern lästig.
Bevor alle auf mich einschlagen: Natürlich ist ein B2B-Onlineshop sinnvoll, und wenn das nicht so wäre, würden nicht mindestens so viele Milliarden Euro jedes Jahr in den Onlineshops des Großhandels bzw. B2B-Versandhandels wie im B2C-E-Commerce insgesamt umgesetzt. Und auch Mercateo, AmazonBusiness und Alibaba stünden auf verlorenem Posten.
Worauf ich hinaus will, ist etwas anderes. Weil sich der B2B-Sektor langsamer und mühsamer entwickelt, übersehen die Firmen häufig, dass bei ihren Kunden eine Disruption stattfindet, die im zweiten Schritt die Lieferanten erreicht.
Im bevh sind zahlreiche mittelständische, in ihren Segmenten durchaus führende B2B-Onlinehändler engagiert. Das fordert uns als Verband immer wieder heraus, uns mit den Details einzelner Branchen zu beschäftigen. Das können mal Zahnlabore sein, mal Baustoffe, mal die Gastronomie.
Letztere scheint bislang fest in der Hand des etablierten Großhandels. Direkter Verkauf der starken Marken an den Gastronomen erfolgt so gut wie nicht, und die Online-Anbieter unter den Gastronomie-Ausstattern werden noch immer argwöhnisch beäugt. Selbst von Seiten der Gastronomen scheint wenig Veränderungsdruck ausgeübt zu werden. Aber der Onlinehandel entwickelt sich stetig.
Dabei befindet sich die Gastronomie-Branche selbst mitten in einer der stärksten Veränderungen, die Digitalisierung in den letzten Jahren hervorgebracht haben. Die Aufhebung der räumlichen und zeitlichen Gebundenheit des gastronomischen Angebots durch Lieferdienste schüttelt den Wettbewerb durch. Wo der Endkunde früher drei Restaurants im Ort hatte, kann er nun über verschiedene Lieferdienste von einer Vielzahl mehr Restaurants unterschiedlichste Gerichte aus aller Welt beziehen.
Warum ändert das die Welt des Gastronomie-Bedarfs? Weil sich Auslastungen von Geräten ändern und damit die Qualität des Angebots. Oder aber es treten ganz neue Anbieter in den Markt ein. Denn bei Lieferheld, lieferando und Co. tritt die Mechanik des Aggregators vor die Kenntnis des Restaurationsbetriebs. Sprich: Die positiven Bewertungen des Lieferanten ersetzen die Besichtigung der Gaststätte.
So wie es Merchants gibt, die sich perfekt auf den überschießenden Convenience-Wert der Plattform einrichten, diesen perfekt unterstützen und damit etablierte Handelsmarken überholen, können Restaurants ohne Gastraum entstehen. (Ganz ähnlich können seit der Novellierung der Handwerksordnung 2004 über die fast zeitgleich entstehenden Plattformen Betriebe ohne klassischen Sitz eine Vielzahl von Gewerken anbieten. Im Fachjargon heißen sie deshalb „mobile Generalisten“.)
Werden die etablierten Gastronomiebetriebe so von ungebundenen Newcomern bedrängt, hat von der anderen Seite des Spektrums aus die Systemgastronomie die Chance erkannt. Peter Zodrow, Geschäftsführer der Sattgrün Gastronomie GmbH, hat das im vergangenen Jahr auf den Punkt gebracht:
„Der Systemgastronomie gehört unserer Meinung nach die Zukunft und genauso, wie man im Bereich des Einzelhandels in den Innenstädten fast nur noch große Ketten sieht, wird die Systemgastronomie der Individualgastronomie immer mehr Flächen streitig machen. Interessant ist sicherlich dabei auch der Bereich Lieferservice. Wobei es hier darauf ankommen wird, ob die Systemer es schaffen werden, konkurrenzfähige eigene Angebote als Alternativen zu Lieferando, Foodora und Co. ins Leben zu rufen.“
Es wäre zu kurz gegriffen, in dieser Veränderung lediglich eine Herausforderung und Chance für die Produktentwicklung und die Optimierung des Außendienstes zu sehen. Tatsächlich ändert sich das Geschäftsmodell der Gastronomen im Hinblick auf die Daten, mit denen Nachfrage gesteuert werden kann. Liefergeschwindigkeit wird zum Faktor, und dieser wird z.B. durch die systemische, digitale Integration des Betriebes mit den weiteren genutzten Plattformen und Geräten ausgespielt.
Was ist also der kommende Bedarf des Gastronomen, und wie können Gastronomie-Ausstatter durch diese indirekte Disruption im E-Commerce angreifen?
Meines Erachtens können das neuartige Pricing-Modelle sein – etwa nicht mehr der Verkauf eines Dampfgarers, sondern die Bezahlung nach gekochten Gerichten. Oder eine Integration der verbauten digitalen Steuerungen verschiedener Geräte-Hersteller in einer digitalen Steuerungsplattform, die eine bessere Berechnung der Lieferzeiten möglich macht. Oder ein Service, der den Ausfall von Geräten absichert.
Durch die erste Disruption sortiert sich der Markt der Gastronomie neu, und die zweite Disruption verändert die Wertschöpfung im Gastronomie-Bedarf.