Stellen Sie sich vor…
Sie können plötzlich nicht mehr gehen und sitzen im Rollstuhl. Eines Tages passiert es dann: Sie möchten im anvertrauten Supermarkt einkaufen gehen – und finden sich am Kopf einer schier unüberwindbaren Treppe wieder.
Dieses Gedankenexperiment lässt sich 1:1 in die digitale Welt übertragen. Genauso wie Menschen an einer Treppe eine Rollstuhlrampe benötigen, um diese zu überwinden, brauchen viele Menschen im Internet einen barrierefreien Zugang zu Websites.
Nie wurde dies deutlicher als heute. Wenn uns die Corona-Pandemie eins gelehrt hat, dann ist es die Notwendigkeit, an der digitalen Welt teilhaben zu müssen. Ob Impftermin, Durchführung eines PCR-Tests, oder einfach um sich im Internet über Corona-bedingte Einschränkungen zu informieren: Das Internet ist der einzige Zugang zu diesen Informationen. Umso gravierender ist es, wenn es vielen Menschen verwehrt bleibt. Genau deswegen sollte jedem Menschen der Zugang zu diesen Informationen unabhängig von einer Behinderung möglich sein.
Um sich die Thematik der Barrierefreiheit im digitalen Raum besser vorzustellen, lohnt es sich, auch vorerst einen Blick in die analoge Welt zu werfen: In der realen Welt, fern von 0en und 1en, ist Barrierefreiheit oftmals so definiert: Hat jeder Mensch Zugang zu allen Lebensbereichen und Aktivitäten, gelten diese als barrierefrei. Barrierefreiheit lässt sich in der analogen Welt also mit der Abwesenheit von Hindernissen und Zugangsbeschränkungen beschreiben.
Und in der digitalen Welt? Das Ziel der digitalen Barrierefreiheit ist es, jedem Menschen den Zugang zu Informationen und Dienstleistungen im Internet zu ermöglichen. Das gilt nicht nur für Behinderte. Damit ist jeder Nutzer, mit und ohne Behinderung, gemeint.
Anders als für viele Menschen hat das Internet für Menschen mit Behinderungen aber eine weitaus größere Bedeutung für den Alltag, da sie mit ihm selbständig Erledigungen machen können, dabei ortsunabhängig sind und somit komplizierte Strecken vermeiden können.
Sie sind es, die am meisten von der Barrierefreiheit profitieren. Der WHO zufolge sind es 1,2 Millionen allein in Deutschland – um genau zu sein. Die Probleme, denen sie im Internet begegnen, sind aufgrund der unterschiedlichen Erkrankungen, Ausprägungen und deren Auswirkungen einer Behinderung jedoch sehr individuell. Eine an Tremor erkrankte Person kann körperlich im realen Leben gut zurechtkommen, ist aber oft kaum in der Lage, eigenständig eine Computermaus zu bedienen. Eine stark sehbehinderte Person mag an der Straßenkreuzung kaum eine Ampel erkennen, aber durchaus einen Website-Text lesen, wenn Schriftgrößen, Farben und Kontraste individuell angepasst werden und eine Assistenz-Software weiterhilft.
Bleiben wir bei den Sehbehinderten, die eine nicht ganz kleine Teilmenge aller Kunden im Internet ausmachen: Mit zwischen 150.000 und 275.000 Betroffenen in Deutschland machen blinde Personen fast ein Prozent aller Verbraucher aus. Hinzu kommen ungefähr acht Prozent aller Männer (fast jeder 12. Kunde im Internet) die von einer Farbsehschwäche betroffen sind. Genannt seien auch Personen mit kognitiven Einschränkungen, für die komplexe Texte und zu überlaufene Inhalte schnell eine Barriere darstellen.
Wir leben in einer immer älter werdenden Gesellschaft. Schon heute ist fast jede zweite Person in Deutschland über 50 Jahre alt. Damit einher geht auch eine stetig steigende Anzahl an altersbedingten Seherkrankungen wie der Altersweitsichtigkeit (Presbyopie), mit der sich jeder von uns früher oder später konfrontiert sehen wird. Besonders mit Blick auf diese wachsende Zielgruppe ist es für Onlinehändler unverzichtbar geworden, einen barrierefreien Zugang zu Websites zu ermöglichen, einerseits um digitale Teilhabe auch im gehobenen Alter zu ermöglichen, andererseits um diese wachsende Zielgruppe besser erreichen zu können.
Zum Abschluss lässt sich festhalten, dass das Potential der digitalen Barrierefreiheit groß ist und bisher nur von den wenigsten Unternehmen erkannt und ausgeschöpft wurde. Was wäre ein Einkaufszentrum ohne Fahrstuhl für Menschen mit Krücken oder im Rollstuhl? Eine Ampelanlage ohne Signal Hinweise für blinde Passanten?
Wie wäre es, wenn jeder E-Commerce-Shop eine Vorlesefunktion hätte? Wenn jeder sich die Produkte in seinen Kontrasten anschauen könnte? Wenn der Check-out endlich reibungslos funktioniert, weil man die Buttons endlich findet? In der analogen Welt ist die Barrierefreiheit längst angekommen, verankert und nicht mehr wegzudenken. Es wird Zeit, dass dies auch im digitalen Raum zum Standard wird, um jedem Menschen einen Zugang zu ermöglichen, mit oder ohne Behinderung.