verfasst von Martin Groß-Albenhausen (bevh)
Für die Berufsschulen stellt der neue Ausbildungsberuf eine Herausforderung dar, die aus Sicht der Betriebe zunächst kaum deutlich wird. Weil E-Commerce Branchengrenzen überschreitet, müssen die Lehrer von der spezifischen Ausprägung des E-Commerce etwa in Multichannel-Betrieben abstrahieren – in der Chemie-Industrie oder in der Gaming-Branche, bei Versicherungen oder bei Reiseveranstaltern sind viele elementare Bestandteile von E-Commerce anders organisiert. Eine „Online Travel Agency“ kann keine Preise gestalten, und ein B2B-Großhändler für Elektrikerbedarf kuratiert keine Sortimente. Für den Modeanbieter ist genau das essentiell.
Am 6. und 7. September hat der bevh deshalb eine Fortbildungsveranstaltung für Berufsschullehrer organisiert und gemeinsam mit dem Bundesverband Groß- und Außenhandel BGA, dem Handelsverband Deutschland HDE und dem Deutschen Reiseverband DRV veranstaltet. Mit rd. 150 teilnehmenden Berufsschullehrern war die Veranstaltung quasi dreimal überbucht: ein Beleg für den großen Bedarf nach Klarheit über den richtigen Kurs und die Inhalte des schulischen Teils der dualen Ausbildung von Kaufleuten im E-Commerce.
Ganz praktisch haben dabei bevh-Mitglieder wie BAUR und seine Tochtergesellschaft empiriecom Themen wie Shopmanagement und KPI-basierte Steuerung, unsere Preferred Business Partner Omikron und dotSource Produktdaten-Optimierung und den Weg zu Usability für bessere Conversions detailliert dargestellt. Ein Beispiel aus dem Großhandel steuerte die Gautzsch-Gruppe bei, und Michael Masuch, bei Robinson und TUI Magic Tours für Digital Commerce verantwortlich, erläuterte die hohe Relevanz von Performance Marketing im Reisevertrieb. Die Systeme dahinter erklärte Stefan Schneider von travel-IT den Teilnehmern.
An den Beginn hatten wir – nach einem Überblick über den Status Quo des E-Commerce in den verschiedenen Branchen – in Kooperation mit Google einen Impulsvortrag von Christian Spancken (https://www.christian-spancken.de; aktuelles Buch: „Digital Denken statt Umsatz verschenken“) gestellt. Er bereitete den Boden, um alle praktischen Ausführungen der beiden Fortbildungstage zu verklammern.
„Digital denken“ ist – mehr noch als die schon anspruchsvolle Entwicklung von Lernsituationen – die eigentliche Herausforderung für die Lehrer. E-Commerce ist eben nicht Einzel- oder Großhandel, nur eben im Internet. Die Autoren der ersten Lehrwerke zum neuen Beruf haben sich aber stark auf die klassischen Handelsformen gestützt, so dass zuweilen Irritation aufkam: wie stark müssen E-Commerce-Kaufleute das klassische Buchen lernen? Beschäftigen sie sich noch mit den traditionellen Ansätzen von Kern- und Randsortiment? Wie sieht die Kosten-Leistungs-Rechnung aus
Es geht um nicht weniger als die Frage, wie die Berufsschulen einer so heterogenen Schülerschaft den „common core“ des E-Commerce in Theorie und Praxis vermitteln können. Denn sie haben auch die Aufgabe, einen belastbaren Wissensstandard zu vermitteln, der dann auch geprüft werden kann. Sie gleichen die Niveau-Unterschiede der Betriebe aus, so dass am Ende ein Unternehmen weiß, was es von einem E-Commerce-Kaufmann erwarten kann.
Und das ist eben: ein Geschäftsmodell von einem digitalen Standpunkt aus „denken“ und die Umsetzung organisieren. Ohne Unterstellung eines bestimmten Online-Vertriebskanals, mehrkanaliger Kundenansprache oder einer vorgegebenen Logistikstruktur.
Die Fortbildung brachte zum Ausdruck, dass Azubis in diesem Beruf nicht lernen „was ist“, sondern lernen „was geht“. Und dass darum die Berufsschulen durch die Breite der dort zusammengesetzten Branchen die größte Chance für den E-Commerce darstellen. Aus diesem Grund auch haben wir uns als Vertreter der Betriebe gegen die sog. „gemeinsame Beschulung“ innerhalb einer Branche und für echte gemischte Fachklassen ausgesprochen. Die Azubis werden mindestens so viel voneinander lernen, wie sie von den Berufsschullehrern vermittelt bekommen.
Die mir vorliegenden Lernsituationen und pädagogischen Umsetzungen stimmen mich dabei optimistisch. Viele Berufsschulen geben den Schülern Raum, sich mit ihrem betrieblichen Vorwissen aktiv in bestimmten „Rollen“ einzubringen. Dadurch wird jede Art von Festlegung auf einen vermeintlichen „normalen“ E-Commerce vermieden.
So lernen Schüler und Lehrer miteinander, digital zu denken.