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Die E-Commerce-Agenda des Handwerks

verfasst von Martin Gross-Albenhausen

Das bevh-Konzept für einen neuen Ausbildungsberuf der „E-Commerce-Kaufleute“ unterscheidet sich von den stärker am stationären Handel orientierten Entwürfen durch den Blick auf E-Commerce in angrenzenden Berufen. E-Commerce ist, wie mehrfach hier betont, ein Querschnittsberuf entlang der Wertschöpfungskette zwischen Hersteller und Endkunde.

Aber tangiert das auch das Handwerk? Die Preisbildung des Angebots, der Auftrag, die Leistung – erfolgen sie nicht deutlich näher am Kunden, weniger standardisiert und daher von den Transparenz-Regeln des E-Commerce (Sortimentsbreite und -tiefe, Preis, Lieferbereitschaft) weniger herausgefordert?

Die Adolf Würth GmbH hat in der aktuellen „Reinhold Würth Handwerksstudie manufactum 2015“ mehr als 700 Unternehmen zu Geschäftslage, Management, Handwerksleistung, Mitarbeiterentwicklung und Kundenorientierung befragt. Dieser Servicebarometer-Erhebung ist eine Studie vorangestellt, die vom Künzelsauer Institut für Marketing an der Hochschule Heilbronn unter der Leitung von Prof. Dr. Dirk Hass mit über 450 Handwerks-Auszubildenden durchgeführt wurde. Sie trägt den Titel „Azubi im H@ndwerk 2.0“. 

In dieser spannenden Kombination – der Blick des Nachwuchses und die Selbsteinschätzung der Unternehmen – entsteht gewissermaßen die digitale Agenda des Handwerks.

„Azubis im H@ndwerk 2.0“ kennzeichnet heute eine große Affinität zu neuen Technologien. Sie informieren sich über Online-Portale, Wikipedia und YouTube.

„Produktinformationen werden meist ad hoc gegoogelt oder auch gezielt auf Firmenhomepages nachgeschlagen. Im Rahmen dieser spontanen Informationssuche betonen die Auszubildenden die Bedeutung des mobilen Internetzugangs per Smartphone. Die Bedeutung des stationären PCs schwindet. ... Abschließend wird deutlich, dass die Auszubildenden ihr privates Mediennutzungsverhalten auf das Berufsleben übertragen. Bei einer Abfrage der präferierten Wege im Rahmen der Information und Beschaffung im Berufsleben dominieren Online-Shops, Websites, Messenger, Mails und Apps. Auch der Außendienst, das Telefon und der Katalog haben hier noch Bedeutung – in Ergänzung zu den neuen Medien. Der Einsatz von Faxgeräten und die postalische Kommunikation sind für diese Probanden zumindest in ihrer aktuellen Ausbildungssituation (fast) unvorstellbar.“

In der Vergleichsgruppe der Digital Immigrants, die mit dem Commodore C64 aufgewachsen ist, haben Telefon und Katalog noch eine höhere Bedeutung, aber die neuen Medien haben auch hier auf breiter Front Einzug gehalten. Selbst die Digitalen Neulinge der 1950 Geborenen haben ihre „anfänglich zurückhaltende Einstellung beim zunächst eher ‚notwendigen beruflichen Umgang’ mit den digitalen Medien“ aufgegeben und zeigen sogar eine „gewisse Begeisterung“.

Soweit der Tenor. Die Befragung deckt sämtliche Handwerksberufe ab und zeigt damit, dass E-Commerce in vielen Aspekten auch dort zum Alltag gehört – so sehr, dass sich die Auszubildenden eine bessere Berücksichtigung dieser Geschäftsaspekte wünschen. Bei den Anforderungen an den Arbeitsplatz äußern nur 16 % der Befragten, dass die neuen Medien in der Ausbildung „voll angemessen“ berücksichtigt werden (weitere 29 % empfinden die Bedeutung als „eher angemessen“). Und im Einklang damit empfinden nur 26 % die Aussage „Mein Beruf ist modern und liegt im Trend“ als voll zutreffend.

Und wo sehen diese „Chefs von morgen“ Handlungsbedarf? Hier zeigt sich die E-Commerce-Agenda für das Handwerk:



Die Studie hat im Detail von der Verwaltung über Logistik bis zu Marketing abgefragt, wo der Bedarf liegt – und das für die unterschiedlichen Gewerke. Durchgängig erscheinen die Präsenz in den sozialen Netzwerken, automatisierte Lagerhaltung und Database-Marketing als Potentialfelder. Ein Drittel der Befragten meint, dass Sichtbarkeit in Suchmaschinen verbesserungsfähig sei, 41 % glauben, der Internetauftritt lasse zu wünschen übrig. Und zwei Drittel glauben nicht, dass ihr Betrieb für die digitale Vernetzung mit den Kunden schon gerüstet sei.


Insgesamt aber – und das ist ein klares Signal – sehen die Azubis ihre Betriebe überwiegend schon ausgesprochen fit für die digitale Zukunft.

Die Selbsteinschätzung der Unternehmen unterstreicht dies, zeigt aber auch exemplarisch die Herausforderungen für die kommenden Jahre auf. Herausforderungen, die den Bedarf an qualifiziertem Personal verdeutlichen.

  • Nur ein gutes Viertel der befragten Handwerksbetriebe recherchiert vor der Angebotserstellung im Internet den aktuellen Marktpreis für Produkte und Dienstleistungen. 
  • Nur gut jeder fünfte sucht die so online-affinen Auszubildenden durch Ausschreibung im Internet (immerhin 4 von 10 schreiben Fachkräfte-Stellen online aus).
  • Der Internet-Auftritt ist zwar mit 81 % der Nennungen das Mittel der Wahl für die Aktive Kundenansprache – aber nur gut ein Drittel nutzt z.B. Adwords, und e-Mail-Werbung betreiben nur 3 %. Entsprechend setzen 60 Prozent keine oder kaum CRM-Tools ein.
  • Obwohl Handwerk stark lokal verankert ist, tragen nur 40 % der Unternehmen ihren Betrieb bei Google Maps ein – andere lokale Onlinedatenbanken spielen keine Rolle.
  • Und außer Referenzen gibt es wenig Content auf den Websites – nur 30 % bieten den Download von Prospekten, Produktkonfiguratoren haben nur 14 % der befragten Unternehmen und 93 % verzichten bisher auf einen Onlineshop. 

Die Würth-Studie zeichnet sich methodisch dadurch aus, dass nicht einfach ein Durchschnitt gebildet wurde, sondern die Top 10 Prozent der Branchenleader als Benchmark in jedem Aspekt ausgewiesen werden. Dadurch kann man die aktuelle Erfolgsrelevanz verschiedener Methoden und Tools kritischer beurteilen.

Gerade die Top 10-Unternehmen zeigen, dass sie nicht jedem Online-Trend folgen oder jede Plattform nutzen, sondern besonders durch den Fokus auf direkte Kundenansprache – auch offline – glänzen. Nicht online ist für sie das Maß der Dinge, sondern der Kundennutzen.

Und der Nachwuchs? Wer sich heute für einen handwerklichen Beruf entscheidet, möchte kein E-Commerce-Kaufmann werden, sondern tischlern, auf dem Bau arbeiten, Heizungen montieren, als Schlosser, im Elektrohandwerk oder KFZ-Betrieb Kunden zufrieden stellen. Und dennoch sehen diese Fachkräfte Online-Kompetenz als relevant an – für sich selbst noch mit Einschränkungen, für den Ausbildungsbetrieb aber ohne jeden Zweifel.

Was aber, wenn Amazon – wie in Amerika – demnächst auch hierzulande Handwerksleistungen vermittelt? Wenn Produkt und Service entkoppelt werden? Wenn „White Vans“ die lokale Relevanz angesichts einer eher online verwurzelten Generation aufbrechen? Wenn neue Pricing-Modelle dem Handwerk Transparenz aufzwingen? Wenn die Kunden den möglichen Zeitpunkt der Leistungserbringung oder ein Rating durch andere Nutzer als Auswahlkriterium schon für die Anfrage heranziehen?

So wie heute schon ein kleiner Teil von Einzelhandelskaufleuten im Handwerk ausgebildet werden, ergibt sich auch dort ein wachsendes Potential und ein parallel ansteigender Bedarf an E-Commerce-Ausbildungsplätzen. Dass abgeschottete Vertriebsmodelle auch höchstrichterlich aufgebrochen werden, hat etwa die HSK-Branche durch reuter.de lernen müssen. Ohne für E-Commerce qualifizierte Fachleute läuft jeder Handwerksbetrieb Gefahr, Marge aufgrund höherer Transparenz, überkommener Prozesse und damit mangelnder Relevanz zu verlieren.

Skilled crafts and trades seem to not have been as deeply challenged by digital transformation as retail. Young craftsmen, however, perceive too slow an adoption of online techniques in professional education. Thorough research, commissioned by leading supplier Adolf Würth GmbH, helps to understand the skills necessary to master future digital challenges, thus establishing the E-Commerce Agenda of Craftsmanship.