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Die Disruption frisst ihre Kinder: Bye-bye, Online-Marketeers?

verfasst von Martin Groß-Albenhausen

Die Entscheidung von Zalando, künftig in stärkerem Maß Marketing-Entscheidungen von Algorithmen als von Menschen treffen zu lassen, ist ein Menetekel. Tatsächlich ist es heute schon so, dass durch Programmatic Advertising – angesichts von Entscheidungen in Millisekunden auf Bidding-Plattformen – die Tätigkeit des einzelnen Marketeers neu definiert werden muss.

Um die 200+ Zalando-Mitarbeiter braucht man sich keine Sorgen machen. Es hagelt schon Angebote aus dem E-Commerce, in dem Fachkräfte mit Praxiserfahrung im Online-Marketing Mangelware sind. Und für jeden entfallenden Job will Zalando zehn neue schaffen.

Aber wie steht es um die Zukunft auch der digitalen Arbeit?

Gerade hat die Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers eine spannende Untersuchung über die Folgen von Algorithmen, Automatisierung und autonom interagierenden und entscheidenden Computern veröffentlicht.

Danach sind bis in die Mitte der 2030er Jahre in Deutschland in drei Wellen 37 Prozent aller Tätigkeiten durch Automatisierung ersetzbar. Kein Spitzenplatz auf der Bedrohungsskala, immerhin.

Interessant ist dabei, dass die Studie eigentlich die repetitiven, manuellen/handwerklichen Tätigkeiten im Blick hat. Fokussiert man sich auf die Handelsbranche, taxiert PWC das Gefährdungspotential im gleichen Zeitraum hierzulande auf 43 Prozent, und fast jede zweite einfache Tätigkeit in Groß- und Einzelhandel könnte wegfallen. Aber auch nahezu jede fünfte Position, die einen höheren Bildungsabschluss voraussetzt.



Es sollte den deutschen Händlern zu denken geben, dass sie gemeinsam mit der Slowakei die zweit-düstersten Aussichten im Hinblick auf Jobverlust haben. Noch schlimmer stehen lediglich die USA da – aus dem Blickwinkel des Distanzhandels keine Überraschung, da dort z.B. in den Logistikzentren wegen der geringen Lohnkosten noch deutlich weniger intelligente Fördertechnik zum Einsatz kommt.

Und nun zurück zu Zalando: Während anderswo das Onlinemarketing gerade erst Einzug hält und es als weitsichtig und zukunftsorientiert gilt, sich mit Analytics zu beschäftigen, will ein bildlich gesprochen auf Steroiden laufender E-Commerce-Sprinter hier Maschinen mit Maschinen handeln lassen. Investiert wird stattdessen in „Digital Creative“, mit Fokus auf Personalisierung. Gesucht werden Coder, keine Marketer.

Muss dies der Branche den Angstschweiß auf die Stirn treiben? Müssen sich die „digitalen Fachkräfte“, die wir ab 2018 mit dem Ausbildungsberuf der Kaufleute im E-Commerce überhaupt erst entwickeln, schon vor dem Start Sorgen um ihre Zukunft machen?

Sicher ist, dass künstliche Intelligenz überall da massiv Arbeitsplätze kosten wird, wo Algorithmen unbestechlich und filigran Entscheidungen testen, messen, analysieren und optimieren. Das wälzt heute schon die Banken- und Versicherungsbranche um und wird erbarmungslos auch die heute noch begehrten „Data-Cruncher“ im E-Commerce dezimieren. Wir dürfen uns auch daran gewöhnen, dass Computer bessere Algorithmen entwickeln: sonst wäre KI nur ein Programm, keine „Intelligenz“.

Algorithmen gefährden in diesem Sinn längst Positionen im klassischen Katalogmarketing und in der Kreation: Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass ein Category-Manager Doppelseiten und Strecken besser verplanen könnte als ein Computer, der deutlich mehr Datenpunkte heranzieht. „Seiten schrubben“ – das können Maschinen bald genau so gut wie Menschen.

Wer sich mit fortgeschrittenen Database-Publishing-Systemen beschäftigt, erkennt freilich, dass es eine Grenze gibt, wo ein Katalog mehr ist als eine perfekt bebilderte und nach Quadratzentimetern optimierte Artikelliste. Wo Kundenverständnis, pardon: Customer Centricity mehr ist als die Auswertung von Touches. Wo „relation“ in „rapport“ übergeht.

Und doch: Mit der „dritten Welle“ aus dem PWC-Report werden auch viele Positionen im E-Commerce entfallen. Die Digitalisierung nimmt keine Gefangenen. Sie lässt sich auch nicht durch Tarifmäntel und Arbeitsrecht domestizieren.

Die Disruption frisst ihre Kinder. Und gebiert neue.