verfasst von Sebastian Schulz
Das Wahlprogramm der Linkspartei hat mich ein wenig enttäuscht. Nicht etwa, weil es überaus schmucklos, schwarz auf weiß und teilweise schlecht gesetzt daherkommt. Vielmehr scheint mir das Programm der LINKEN für die Wahlen zum 19. Deutschen Bundestag gerade nicht mehr der totale Gegenentwurf zu allem zu sein, was man sonst dieser Tage zu lesen bekommt. Zugegeben; in vielen Themen gehen auch in diesem Wahlprogramm linke Forderungen wenigstens etwas, gern auch deutlich über das hinaus, was ein verständiger Mitteleuropäer noch als angemessen und verhältnismäßig erachten wird. An anderer Stelle wiederum scheint sich die LINKE fast schwer zu tun, Themen links der Programme von SPD und Grünen zu adressieren. Über diesen Befund helfen auch die in diesem Programm freilich nicht fehlenden Kampfbegriffe wie „Überausbeutung“ (von Beschäftigten in Privathaushalten, S. 12) oder dem „kollektiven Belegschaftseigentum“ (als Ergebnis der Übernahme von Betrieben, S. 84) nicht hinweg. Die Programme von rot-rot-grün scheinen in weiten Teilen derart aufeinander abgestimmt, dass, wären wir im Wirtschaftsleben, das Kartellamt einschreiten müsste. Unterm Strich verbleibt nach Lektüre des 136 Seiten umfassenden Manifests dann auch der Eindruck, dass, bei allen weiterhin bestehenden Unterschieden zu SPD und Grünen, die LINKE tatsächlich ernst machen wolle mit ihrer Ansage, raus zu wollen aus der Rolle der ewigen Opposition, hinein in Ämter und Regierungsverantwortung. Die Bewertung dieser Entwicklung überlasse ich ganz Ihnen.
Unverkennbar ist die große Schnittmenge innerhalb des linken Parteienspektrums erwartungsgemäß im Bereich der Arbeitspolitik. Beispiele:
- ersatzlose Streichung der sachgrundlosen Befristung; Verbot von Kettenbefristungen, „Der zweite Arbeitsvertrag beim gleichen Arbeitgeber muss unbefristet sein“, S. 11
- Abschaffung der Leiharbeit als Fernziel; kurzfristig Equal-Pay zuzüglich 10% Flexi-Prämie, S. 12
- volle Sozialversicherungspflicht „ab dem ersten Euro“, S. 12
- Rechtsanspruch auf Mindeststundenanzahl von 22 Wochenstunden, S. 12
- Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen auf Antrag nur einer Tarifpartei, S. 13
- Anhebung des Mindestlohns auf 12 EUR, S. 11
- Rückkehrrecht in die vorherige vertragliche Arbeitszeit, S. 17
- Die aus der Digitalisierung heraus entstehenden neuen Formen von Arbeit und Beschäftigung (S. 14) geißeln die LINKEN vor allem als „Prekarisierung“ und als stetig wachsendes digitales Tagelöhnertum (S. 14). Solo-Selbständige sollen in die Erwerbslosen-, Gesundheits-, Renten- und Pflegeversicherung einbezogen sowie über bundesweit (!) „branchenspezifische Mindesthonorarregelungen“ dem „ruinösen Preiswettbewerb“ entzogen werden (S. 15).
Kommen wir zur Wirtschaftspolitik. Die LINKE steht schon qua Mission seit jeher nicht für überbordende Wirtschaftskompetenz. Lieb gewonnene Feindbilder werden auch im Jahr 2017 beschworen; das planwirtschaftliche Korsett sitzt fester denn je. Die lesenswerten Kernbotschaften linker Wirtschaftspolitik finden sich auf den Seiten 79, 82 und 94:
- Eine auf mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Standortwettbewerb ausgerichtete Wirtschaftspolitik ist das falsche Konzept (S. 79).
- „Unternehmen, Banken und Konzerne sitzen gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern am längeren Hebel und nutzen ihre Macht regelmäßig zum Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher aus.“ (S. 82)
- „DIE LINKE kämpft dafür, Unternehmen der Daseinsvorsorge, Banken und Versicherungen, Energiekonzerne, Unternehmen der Pharma- und medizinischen Industrie, der Post, der Telekommunikationsinfrastruktur sowie weiterer Schlüsselindustrien in öffentliche (oder genossenschaftliche) Hand und in gesellschaftliche Eigentumsformen zu überführen.“ (S. 94)
Echte wirtschaftspolitische Ideen existieren im Programm der LINKEN nicht. Die in Kapitel XIV unter der Überschrift „Menschen und Natur vor Profite – für eine soziale, ökologische und demokratische Wirtschaft der Zukunft“ aufgelisteten Standpunkts sind fast ausschließlich arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Inhalts. Kuriosum: In den geforderten „Wirtschaftsräten“, die „den sozialen und ökologischen Umbau der Wirtschaft fachlich begleiten“ sollen, sollen Wissenschaft, Umwelt- und Konsumentenverbände, Gewerkschaften sowie zur Hälfte direkt gewählte Bürgerinnen und Bürger und Vertreterinnen und Vertreter der Belegschaften vertreten sein (S. 84). Die Wirtschaft selbst freilich nicht.
Größer geschrieben wird dementgegen der Schutz des Kollektivs Verbraucher:
- Gruppenklagen sollen eingeführt werden, S. 93
- Zwei Jahre Gewährleistung für Mängel und die Beweislastumkehr von 6 Monaten sind Linken „zu wenig“; Garantie- und Gewährleistungspflichten sollen verlängert und der „geplanten vorzeitigen Verschleiß“ gesetzlich verboten werden, S. 93
- Unlautere Telefonwerbung will die LINKE beenden, S. 93 (Anm. für die Verfasser des Programms: Vgl. § 7 Abs. 2 Ziff. 2 UWG)
- Kuriosum II: „Beleuchtete Werbung im öffentlichen Raum“ ist der LINKEN ein Dorn im Auge und soll verboten werden, S. 95
- Und ginge es nach der LINKEN, wäre der Erwerb von Waren im Internet in Zukunft nicht mehr auf offene Rechnung möglich. Nichts Anderes wäre die Konsequenz aus der Aussage, dass die Bewertung und Einordnung von individuellem Verhalten zum Beispiel im Rahmen der Bewertung der Kreditwürdigkeit durch die LINKE abgelehnt wird (S. 132). Ob die Postkommunisten bei Ihrer Klientel mit Forderungen wie diesen am Wahltag punkten werden, bleibt abzuwarten.
Die Lektüre des Wahlprogramms der LINKEN erschöpft. Insoweit mache ich jetzt von meinem „individuellen Veto-Recht gegen Überlastung“ Gebrauch (S. 16) und schreibe nächste Woche weiter.