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Der E-Commerce braucht ein europäisches Gesicht

Einkaufen in Zukunft: Ein Gastbeitrag von Gero Furchheim, Präsident des bevh

Der E-Commerce steht regelmäßig im Zentrum gesellschaftlicher Debatten. Das ist ein gutes Zeichen, denn es zeigt: Die Branche bewegt. Deshalb hat der bevh Wissenschaftler, Politiker und Verbände gefragt, wie sie den E-Commerce sehen. Dabei lassen wir selbstverständlich auch diejenigen zu Wort kommen, die nicht unserer Meinung sind und laden alle Leser dazu ein, die Beiträge kritisch zu kommentieren. Der bevh wird zudem auf Grundlage der Beiträge ein Thesenpapier erarbeiten, das nach Abschluss der Reihe die Beiträge aufnimmt. Bis dahin können Sie im September und Oktober jede Woche Dienstag im Rahmen unserer Beitragsreihe „Einkaufen in Zukunft“ lesen, was andere über den E-Commerce denken.

Heute mit Gero Furchheim, Präsident des bevh und Vorstand der Cairo AG.

Die Welt des elektronischen Handels ist im Umbruch. Der chinesische E-Commerce Gigant Alibaba plant den größten Börsengang eines Technologieunternehmens seit Facebook. Mit den an der New Yorker Börse eingesammelten Milliarden und dem chinesischen Heimatmarkt im Rücken, wird den Weltmarktführern Amazon und eBay zum ersten Mal eine ernst zu nehmende Konkurrenz erwachsen.

Europa hingegen ist mit sich selbst beschäftigt. Hier berät je eine Expertengruppen von Europäischer Kommission und OECD parallel darüber, wie die hiesige Steuergesetzgebung so angepasst werden kann, dass sie die grenzüberschreitende Bestellung und Versendung von Waren fördert statt sie zu behindern. Ein vorläufiges Papier wird im September erwartet; endgültige Ergebnisse erst 2015.

Während also in den USA und nun auch in China die digitale Wirtschaft rasant wächst und international agiert, herrscht in Europa eine Kleinstaaterei und Kurzsichtigkeit, als würde es den Binnenmarkt und gemeinsame europäische Interessen nicht geben. Der E-Commerce braucht ein europäisches Gesicht. Sonst droht die hiesige Branche zwischen den Big Playern aus China und den USA zerrieben zu werden – mit negativen Folgen für Datenschutz, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.

Gegenwärtig ist ein innergemeinschaftlicher E-Commerce kaum vorhanden. Neben der Sprachenvielfalt gibt es drei wesentliche politische Gründe dafür. Grund eins: Nach wie vor hat Europa kein einheitliches Verbraucher- und Datenschutzrecht. Die kürzlich umgesetzte Verbraucherrechterichtlinie hat daran nichts geändert. Wer also in einem EU-Mitgliedsstaat Ware bestellt oder anbietet, muss sich unter Umständen mit italienischem oder griechischem Kaufrecht auseinandersetzen. Eine gesamteuropäische Lösung ist nach wie vor in weiter Ferne. Grund zwei: Zwar gibt es keine Zölle mehr, aber die Umsatzsteuerregelungen und deren Abrechnung sind europaweit so unterschiedlich, dass neue Grenzen entstanden sind. Der Aufwand, sich durch das Steuerdickicht zu kämpfen, übersteigt für viele Händler jeden möglichen Gewinn. Noch höher ziehen die Einzelstaaten die Mauern beim Thema Verkehrsfähigkeit. Hier liegt der dritte Grund für die europäische Markt-Zersplitterung. In Frankreich beispielsweise dürfen Fahrräder nur vollständig montiert versendet werden, um die französischen Fahrradhersteller von ausländischer Konkurrenz zu schützen. Auch nicht-französischen Möbelhändlern wird das Leben schwer gemacht. Sie haben in Frankreich mit einer Altmöbelentsorgungsabgabe zu kämpfen, die sie basierend auf einem komplexen Regelwerk erheben müssen. Ein unglaublicher Aufwand. Und da alle EU-Staaten unterschiedliche Regelungen erlassen haben, können im E-Commerce keine europäischen Unternehmen entstehen, die den Branchenriesen Paroli bieten können.

Das hat auch Jean-Claude Juncker erkannt, der in seinem 10-Punkte-Plan die groben Linien seiner Kommissionspräsidentschaft gezeichnet hat. Im Zentrum: der digitale Binnenmarkt. Er will insbesondere eine Harmonisierung der Verbraucher- und Datenschutzrechte. Erste Initiativen sollen innerhalb der nächsten sechs Monate gestartet werden. Junckers Bemühungen um einen starken europäischen Markt sind redlich. Sie können aber kaum Wirkung entfalten, wenn europäischen Firmen von europäischen Mitgliedsstaaten gegenüber nicht-europäischen Anbietern so benachteiligt werden, wie heute.

Ein Beispiel: US-Unternehmen zahlen auf in Europa gemachte Gewinne heute kaum Steuern. Grund dafür ist ein naiv ausgehandeltes Doppelbesteuerungsabkommen. Finanzminister Schäuble will nun während der deutschen G7-Präsidentschaft den unfairen Steuerwettbewerb eindämmen. Das beträfe Amazon genauso wie eBay. Hier wird es allerdings kräftigen Widerstand geben. Zwar können US-Unternehmen die Gewinne nicht in ihr Heimatland zurück führen, da sie spätestens dann steuerpflichtig würden. Allerdings können sie die schätzungsweise 2,1 Billionen Dollar auf Konten in Steuerparadiesen wie Barbados parken. Und auf eine Steueramnestie von Barack Obama hoffen. Schon George W. Bush hat gegen Ende seiner Amtszeit eine Rückführung von Gewinnen forciert, indem er amerikanischen Unternehmen eine Pauschalbesteuerung anbot, die diese gern angenommen haben. Das ist vorteilhaft für Staat und Firmen zugleich. Warum sollte sich Obama eine solche Chance nehmen lassen?

Wie verzweifelt die Lage ist, zeigte kürzlich ein Interview des Zalando-Gründers Oliver Samwer. Er bat den deutschen Staat um zwei Milliarden Euro an zusätzlichem Geld für Internet-Start-Ups. Doch die Rolle des Bittstellers passt nicht zur digitalen Wirtschaft in Europa. Die Umsätze des E-Commerce in Deutschland wachsen jedes Jahr im zweistelligen Bereich. Gute Ideen und gutes Geld für Neugründungen sind da, auch weil aufgrund der niedrigen Zinsen konservative Anlageformen unattraktiv geworden sind. Um aber mit den Großen konkurrieren können, sind nicht 80 Millionen deutsche Kunden nötig, sondern 500 Millionen europäische.