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Das Projekt "Tarifpolitik und Arbeitsmarkt Logistik" - Eine Analyse und Bewertung des Arbeitsmarktes Logistik

Ein Gastbeitrag von Andreas Heß, AT-Solution

Der digitale Wandel zieht sich prägend durch alle Lebensbereiche der Menschen – ob jung oder alt – und der gesamten Gesellschaft. Die Wirtschaft verändert sich rasant und prägt entsprechend die Arbeitswelt. Die vorhandenen Rahmenbedingungen passen nicht immer oder schnell genug zu den Anforderungen, die an die Wirtschaft, die Politik und an die Menschen gestellt werden. Die Akteure in der Gesellschaft – aus der Wirtschaft, aus der Politik, aus den Gewerkschaften und den Verbänden – sind gefordert, Initiativen zu starten, Unterstützung zu geben und begleitende Prozesse zu schaffen, die wirtschaftliches Wachstum, die neuen Anforderungen an die Gesellschaft, an die Umwelt sowie an den Menschen (in Freizeit und Beruf) in einen positiven Einklang bringen können.

Das tarifpolitische Projekt Logistik hat sich speziell für die Branche Logistik und für den Handel mit vorhandenen Rahmenbedingungen in Verbindung mit den hier neu gestellten Anforderungen befasst. Die Analyse und eine erste Bewertung bilden als Ergebnis der Phase 1 dieses Projektes ein Booklet zur Tarifpolitik und zum Arbeitsmarkt Logistik.

Die Projektteilnehmer haben sich im Schwerpunkt mit dem Arbeitsmarkt und mit der vorhandenen Arbeitswelt, den Arbeitsbedingungen und mit der bestehenden Tarifpolitik befasst. Die Identifizierung von weißen Flecken in der Tariflandschaft war ein Fokus der Projektarbeit, wie auch die Gestaltungsmöglichkeiten für neue und flexible Arbeitsbedingungen in den Branchen/Sparten. Der Status der Tarifpolitik in der Logistik und im Handel wurde ebenso analysiert wie das Veränderungspotenzial in den Branchen und Sparten. Die Player in der Logistik, im E-Commerce/Versandhandel und in der Handelslogistik erscheinen dabei als Treiber und Taktgeber im Arbeitsmarkt der Zukunft.

In diesem Zusammenhang wurde das Potenzial, aber auch die Notwendigkeit für die Gestaltung neuer Arbeitsbedingungen in einer spartenbezogenen Tarifpolitik herausgearbeitet. Hinsichtlich der Gestaltung des Arbeitsmarktes und der Anforderungen an eine neue, differenzierte Tarifpolitik sind Thesen herausgearbeitet worden, die nach weiterer Analyse und Aufarbeitung Handlungsansätze für Tarif- und Sozialpartner, aber auch zum Teil für die Politik darstellen können.

Der Status in der Tarifpolitik - Tarifbindung nimmt tendenziell ab

Mit Blick auf die gegenwärtige Tarifpolitik wurde beispielsweise festgestellt, dass die schwindende Bindungswirkung und die Bindungskraft bestehender Tarifverträge bzw. des Tarifvertragssystems, gepaart mit der Zunahme von weißen Flecken in der Tarifpolitik des Handels und in der Logistik, in der Tendenz zur Erosion von Tarifverträgen und einer Destabilisierung des Tarifvertragssystems führt. Eine Vielzahl von Unternehmen in der Handels- und in der Logistikbranche sowie in den aufstrebenden Sparten wie E-Commerce/Versandhandel und Handelslogistik orientieren sich zwar an vorhandenen Tarifrahmen oder speziellen Rahmenregelungen hinsichtlich Entgelt und sonstiger Arbeitsbedingungen. Die betriebliche Flexibilität aber wird in diesen Fällen durch vertragliche Systeme oder Vereinbarungen außerhalb von Tarifverträgen sichergestellt.

Der Wunsch nach Regulierung – explizit durch den Gesetzgeber – nimmt, bedingt durch die tendenzielle Erosion von Tarifverträgen, vor allem bei den Gewerkschaften zu. Das Tarifautonomiestärkungsgesetz hat im Rahmen der Neuregelung von Allgemeinverbindlichkeit hierzu im Jahr 2014 erleichternde Voraussetzungen geschaffen. Zum Anstoß oder zur Umsetzung solcher Maßnahmen gehören allerdings weiterhin – bei einer Allgemeinverbindlicherklärung explizit – die Tarifpartner.

Player im E-Commerce/Versandhandel und in der Handelslogistik 

Unternehmen wie Amazon und Zalando betreiben erfolgreich organisches Wachstum und prägen bzw. treiben die Gestaltung des Arbeitsmarktes der Zukunft vorwärts. Amazon wird hinsichtlich des organischen und strategischen Wachstums kontinuierlich handeln. In den kommenden Monaten werden hier weitere Aktivitäten erwartet bzw. sind umgesetzt:

  • Amazon bietet seit einiger Zeit auf seiner E-Plattform auch Artikel des täglichen Bedarfs bis hin zu frischen Lebensmitteln an. Unter anderem werden gratis frisches Gemüse, Obst, Fleisch und Käse mit entsprechenden Salaten gemäß den Hygienevorschriften geliefert. Dies bedeutet den Einstieg in die Lebensmittellogistik B2C – „Amazon Fresh“.
  • Amazon bündelt auch in Deutschland die Beschaffungslogistik als Grundlage für den schrittweisen Einstieg in eine eigene Beschaffungslogistik.
  • Amazon vollzieht zudem den schrittweisen Einstieg in das Geschäft B2B. Damit steht potenziell dieses Unternehmen in direkter Konkurrenz zum Beispiel zur Metro (Cash & Carry) und weiteren Playern des Großhandels in Deutschland sowie in Europa. In den USA ist Amazon im B2B-Geschäft bereits erfolgreich tätig. Das heißt, nach einer üblicherweise vorzunehmenden Testphase, wird ein entsprechender Teilmarkt im Großhandel angegriffen. Der Umsatz des Großhandels in Deutschland betrug 2014 immerhin 1.134 Milliarden Euro.
  • Amazon und Zalando werden weitere Verteilzentren in Europa/Osteuropa erschließen und aufbauen. 

Mit Blick auf die Gestaltung von Arbeitsbedingungen vertreten Amazon und Zalando weiterhin die grundsätzliche Position, nicht in Tarifverhandlungen auf der Grundlage der in Deutschland bestehenden Einzelhandelstarifverträge einzusteigen. Dies wird auch damit begründet, dass diese Unternehmen sukzessive Fullfillment-Anbieter in der Logistik, im E-Commerce/Versandhandel und in der Handelslogistik werden. Hinzu kommt, dass immer mehr Unternehmen in der Handelsbranche aus der jetzigen Tarifbindung des Einzelhandels herausgehen. Amazon Deutschland erkennt jedoch auch allmählich, dass im Zuge eines stetigen organischen Wachstums auch die Stakeholder erkennbar und spürbar – und zwar im Rahmen ethischer, sozialer und gesamtwirtschaftlicher Verantwortung – eingebunden werden müssen.

Das durch den Onlinehandel allgemein getriebene Wachstum führt auch dazu, dass weitere Anbieter wie z.B. Zalando noch mehr in die eigene Logistik investieren. Stationäre Händler wie z.B. Rewe, als einer der Marktführer im Einzelhandel, investieren erfolgreich in digitale Sparten und entwickeln neue ergänzende Geschäftsmodelle. Der Einstieg in die Lebensmittellogistik (Fresh) wird nicht allein den Playern wie Amazon überlassen. Rewe Fresh beispielsweise agiert zunehmend erfolgreich am Markt. Das Wachstum im Onlinehandel mit Lebensmitteln wird weiterhin anhalten.

Ein erstes Fazit aus dem Projekt ist in Form von Thesen zum Arbeitsmarkt Handel, E-Commerce/Versandhandel und Handelslogistik mit neuen Sparten gezogen worden:

  • Die etablierten Tarifverträge des Großhandels, des Einzelhandels und zum Teil auch die in der Logistik sind partiell überholt und noch geprägt von z.T. restriktiven tarifpolitischen Zielsetzungen, wie z.B. die Erhöhung von Personalkosten bei Anpassung an kundenfreundliche Ladenöffnungszeiten im Handel. Hier fehlt es an nachhaltiger Korrektur, Reformfähigkeit und Reformwillen bei den Tarifpartnern.
  • Die vorhandenen Flächentarifverträge im Handel müssen zukünftig mit Öffnungs- und Krisenklauseln ausgestattet werden, um auch während der Laufzeit von Tarifverträgen branchen- und unternehmensbezogene Schwankungen sowie Volatilitäten aufzufangen und gleichzeitig die Beschäftigung absichern zu können.
  • Der digitale Wandel in der Arbeitswelt muss auch von den Tarifparteien im Handel und in der Logistik analysiert, bewertet und entsprechend nachvollzogen werden.
  • Die Attraktivität von Tarifbindung kann nur durch moderne und gemeinsam gestaltete flexible Tarifpolitik in neuen Sparten/neuen Teilarbeitsmärkten erhöht werden. Es bedarf der Entwicklung von Initiativen. Eine schwindende Tarifbindung darf nicht automatisch zu mehr staatlicher Regulierung und schon gar nicht zu flächendeckender Allgemeinverbindlicherklärung führen. Tarifautonomie bedingt Verantwortung in der Tarifpolitik – daraus folgt gemeinschaftliche Gestaltung.
  • Die Teilarbeitsmärkte/neue Sparten wie E-Commerce/Versandhandel, Multi-Channel und Handelslogistik müssen von den Unternehmen – insbesondere von den Playern im Markt – analysiert und bewertet werden, um auf dieser Grundlage neue und ggf. nachhaltig wirkende Ansätze zur Neugestaltung von Arbeitsbedingungen zu definieren. Es geht um die Entwicklung marktorientierter und wettbewerbsfähiger Arbeits-/Tarifbedingungen. Darin liegen der Schlüssel und die Herausforderung für die Tarifpartner zugleich, um eine nachhaltige Ordnungswirkung in neuen Sparten bewirken und das bisherige Tarifvertragssystem stabil halten zu können. Neue Wege sollen gemeinsame Wege sein.
  • Die Unternehmen der Dienstleistungswirtschaft, die sich zudem in einer zeitkritischen Supply-Chain sowie in einem entsprechend volatilen Geschäft befinden, sollten im Rahmen zukünftiger Verhandlungen über Flächen- oder Haustarifverträge die Möglichkeit erhalten, Schlichtungs- bzw. Abkühlverfahren einzuführen. Das heißt, auf Antrag einer Partei wird nach dem Scheitern von Verhandlungen ein Schlichtungsverfahren eingeleitet. In dieser Zeit besteht dann Friedenspflicht.
  • Die Unternehmen werden sich mit durchaus nachvollziehbarer Begründung keiner Tarifbindung, d.h. auch keinem Arbeitgeberverband, anschließen, wenn bei der Gestaltung der entsprechenden Arbeits-/Tarifbedingungen die Anforderungen an die neue Arbeitswelt nicht berücksichtigt sind, die Akzeptanz der Unternehmen in dieser Sparte insgesamt nicht gegeben ist und die Mitarbeiter in dieser Branche/Sparte keine Heimat hinsichtlich dieses speziellen Teilarbeitsmarktes für sich identifizieren können.

Die im Rahmen des Projekts erarbeiteten Thesen beruhen auf einer z.T. wissenschaftlichen, aber vor allem sehr praxisbezogenen Analyse und Bewertung von Projektteilnehmern, die als Unternehmen in der Wirtschaft erfolgreich vertreten sind.

Der Arbeitsmarkt wird komplexer

Gerade in den letzten Monaten hat es im Zusammenhang mit der Einführung des Tarifeinheitsgesetzes und im Rahmen von erheblichen Tarifkonflikten bei der Deutschen Bahn und der Deutschen Lufthansa Entwicklungen gegeben, die sich weiter manifestieren. Berufsgewerkschaften, denen ursprünglich durch ein Tarifeinheitsgesetz mit Blick auf die BAG-Rechtsprechung von 2010 weitere Hürden gestellt werden sollten, treten zwischenzeitlich zielgerichtet konzertierter auf. So zum Beispiel hat sich die Industriegewerkschaft Luftfahrt (IGL) gegründet, die in direkter Konkurrenz zur ver.di steht. Dadurch gestaltet sich der Arbeitsmarkt noch komplexer hinsichtlich vorhandener Tarif- und Sozialpartner.

In dem Booklet „Tarifpolitik und Arbeitsmarkt Logistik“ sind Tariflandkarten erwähnt, die auf aktueller Grundlage und validen Daten branchen- und spartenbezogen erstellt wurden. Die Tarifvergleiche wurden auf der Basis von Anforderungsprofilen erstellt. Diese Tarifvergleiche können je nach Bedarf ausdifferenziert oder aktualisiert werden.

Das Booklet ist kostenlos über AT-Solution zu beziehen. Die Tariflandkarten stellen wir Ihnen auf Anfrage zur Verfügung. In speziellen tarifpolitischen oder arbeitsmarktpolitischen Themen ist AT-Solution Ihr Ansprechpartner. Informieren Sie sich bitte über unsere Website www.at-solution.de

Über den Autor

Andreas Heß, 1962 in Warnemünde geboren, war nach einer zehnjährigen Tätigkeit in der Gewerkschaft ÖTV auf Bundesebene von 2001 bis 2009 Geschäftsführer und Arbeitsdirektor der LSG Sky Chefs Deutschland sowie Senior Vice President HR Europa/Afrika. Die LSG gehört zu hundert Prozent zum Lufthansa-Konzern. Seit 2009 ist Andreas Heß selbständig in einer Unternehmensberatung, spezialisiert auf tarifpolitische und arbeitsmarktpolitische Themenstellungen, tätig.

The digital transformation can be seen as an electronic revolution affecting and shaping not only technology but all conditions of the urban environment, society and therefore all areas of life. The economic and political operators as well as people themselves are challenged to find answers and solutions in order to create a positive and supportive framework for the environment, society, business environment and family life. Within the scope of a project an evaluation and analysis of the new labour market logistic with its facets was conducted. A booklet on tariff policy and labour market in the logistic sector originates from this project.

The booklet contains an analysis of the changing labour market logistic and trade. The structural order of the labour market was assessed and white spots within the tariff landscape were identified. The role of trendsetters in e-commerce/mail-order business and retail logistics as well as the positioning of established and upcoming trade unions within the economic and tariff-political environment were analyzed. The mapping of the tariff landscape logistic and trade offers a comparison of sectors and divisions based on the job specifications.