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Das OSS-Verfahren im Rahmen der „VAT in the Digital Age”-Initiative: Wird das besondere Besteuerungs- verfahren noch groß rauskommen?

Anfang Dezember 2022 hat die Europäische Kommission ihren Legislativvorschlag zur Umsetzung der Initiative „Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter” (VAT in the Digital Age – ViDA) veröffentlicht. Ein für den Onlinehandel zentraler Bestandteil ist das Ziel der Umsetzung einer einzigen Mehrwertsteuerregistrierung. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob lokale umsatzsteuerliche Registrierungen im grenzüberschreitenden Onlinehandel zukünftig obsolet werden – und welche Rolle das One-Stop-Shop-Verfahren dabei spielt.


Nach dem E-Commerce Package ist vor der ViDA-Initiative

Rund eineinhalb Jahre nach der großen Mehrwertsteuerreform für den grenzüberschreitenden Onlinehandel – der zweiten Stufe des E-Commerce Package – beschäftigen sich die Umsatzsteuerexperten bereits mit der nächsten Reform. Man könnte sich fragen, warum bereits nach dieser kurzen Zeit die nächste Reform notwendig ist. Die Antwort ist einfach: Die zweite Stufe des Mehrwertsteuerdigitalpakets trug den Anforderungen des grenzüberschreitenden Onlinehandels nicht ausreichend Rechnung. Denn in der Praxis bedeutete dies, dass auch nach Einführung des One-Stop-Shop-(OSS)-Verfahrens weiterhin lokale umsatzsteuerliche Registrierungen im EU-Ausland notwendig waren.

Das liegt vor allem an den in der Praxis gängigen grenzüberschreitenden Fulfillment-Strukturen, die die großen Marktplätze Onlinehändlern regelmäßig zur Nutzung anbieten. Der Knackpunkt dieser logistisch optimierten Strukturen ist, dass die Waren auch im EU-Ausland gelagert werden. Dadurch entsteht aus umsatzsteuerlicher Sicht ein bunter Strauß an Geschäftsvorfällen:

  • Lokale B2B und B2C-Lieferungen außerhalb des Ansässigkeitsstaats
  • Innergemeinschaftliche Lieferungen
  • Innergemeinschaftliche Verbringungen
  • Ausfuhrlieferungen
  • Fernverkäufe

Der umsatzsteuerlich gebildete Leser weiß, dass aus Sicht eines Onlinehändlers ausschließlich innergemeinschaftliche Fernverkäufe über das besondere Besteuerungsverfahren OSS deklariert werden können. Alle anderen Transaktionsarten sind seit dem 1. Juli 2021 weiterhin über lokale umsatzsteuerliche Registrierungen im jeweiligen Mitgliedstaat zu deklarieren. Somit hat die zweite Stufe des Mehrwertsteuerdigitalpakets den grenzüberschreitenden Onlinehandel nur bedingt vereinfacht, denn viele Steuerpflichtige sind auch nach der Reform umsatzsteuerlich im Ausland registriert.

 

Bild: Im grenzüberschreitenden Onlinehandel sind weiterhin lokale umsatzsteuerliche Registrierungen erforderlich.

Dies ist einer der Gründe, warum sich viele Umsatzsteuerspezialisten bereits mit der nächsten Initiative zur Mehrwertsteuerreform beschäftigen. Für den Onlinehandel ist speziell das Maßnahmenpaket der EU Kommission zur Umsetzung einer einzigen Mehrwertsteuerregistrierung von Bedeutung. Dieses könnte zukünftig – zumindest für die Onlinehändler – zu einer deutlichen Vereinfachung führen.

Ciao ausländische Umsatzsteuerregistrierung, hallo einzige Mehrwertsteuerregistrierung

Um das Ziel einer einzigen Mehrwertsteuerregistrierung zu erreichen, ist eine Kombination aus mehreren Maßnahmen notwendig. Daher schlägt die Kommission ein Paket an komplexen rechtlichen Maßnahmen vor, um – unter anderem – die Besteuerung im grenzüberschreitenden Onlinehandel zu vereinfachen. Hintergrund des Maßnahmenpakets ist, dass seitens der Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen keine Kompromissbereitschaft besteht. Dies betrifft etwa die Einbindung von B2B-Umsätze in das OSS-Verfahren.

All dies führt seitens der Kommission zum Vorschlag der hier beschriebenen Maßnahmen. Die Rechtsänderungen sollen gemäß Vorschlag der Kommission bereits zum 1. Januar 2025 in Kraft treten.

Betreiber elektronischer Marktplätze rücken in den Fokus

Die Betreiber elektronischer Marktplätze sind bereits seit dem 1. Juli 2021 in den Fokus gerückt. Seit Inkrafttreten der zweiten Stufe des Mehrwertsteuerdigitalpakets sind elektronische Schnittstellen, sprich digitale Plattformen, in die Lieferkette zwischen Onlinehändler und Endverbraucher eingebunden. Das bedeutet, dass die Steuerschuld für die Lieferung des Händlers an den Endkunden auf die Plattform übergeht und zwei Lieferungen fingiert werden. Einerseits wird eine Lieferung zwischen Onlinehändler und der Plattform fingiert. Im zweiten Schritt wird eine Lieferung zwischen der Plattform und dem Endkunden fingiert. Im Ergebnis trägt die Plattform die Steuerschuld für den Verkauf an den Endkunden. Ausführliche Informationen hierzu findet Ihr hier.

Bild: Einbindung der elektronischen Schnittstelle in die Lieferkette

Derzeit ist dieses fingierte Reihengeschäft nur auf drittlandsbezogene Lieferungen mit Endverbrauchern begrenzt. Im Rahmen des ViDA-Legislativvorschlags will die Europäische Kommission die beschriebene Lieferkettenfiktion deutlich ausweiten. Zukünftig soll die Übertragung der Steuerpflichten auf Marktplätze für alle Lieferungen in der EU unabhängig vom Status des Leistungsempfängers erfolgen.

Auch innergemeinschaftliche Verbringungen, die im Rahmen der grenzüberschreitenden Fulfillmentsysteme der großen Marktplätze erfolgen, sollen künftig seitens der Marktplatzbetreiber deklariert werden. Das bedeutet, dass Betreiber elektronischer Plattformen für die Abführung der Umsatzsteuer und die übrigen steuerlichen Pflichten für alle Umsätze, die in den Mitgliedstaaten ausgeführt werden, verantwortlich sind.

Aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht ist es naheliegend, Marktplätze weiter in den Fokus zu nehmen – um umsatzsteuerrechtliche Registrierungen der Onlinehändler im EU-Ausland zu vermeiden. Aus Sicht der Marktplätze müssen allerdings umfangreiche (technische) Prozesse geschaffen werden, um die vorgesehenen steuerlichen Pflichten erfüllen zu können.

Weiterhin ist der Vorschlag der Kommission auf Lieferungen innerhalb der EU begrenzt. Daher stellt sich die Frage, wie zukünftig mit Ausfuhrlieferungen umzugehen ist. Gemäß aktuellem Vorschlag würde die Deklarationspflicht von Ausfuhrlieferungen aus dem EU-Ausland, die seitens der Händler über elektronische Plattformen ausgeführt werden, weiter bei den Händlern verbleiben. Damit geht auch regelmäßig eine Registrierungspflicht einher.

Doch damit nicht genug. Um auch im Bereich der Lieferungen, die nicht über Marktplätze abgewickelt werden, eine Vereinfachung zu schaffen, enthält der Vorschlag der Kommission weitere Maßnahmen.

Der kleine OSS wird zum großen OSS

Aus Sicht der EU war bereits die Einführung des „kleinen” OSS zum 1. Juli 2021 ein großer Schritt. Denn das besondere Besteuerungsverfahren ermöglicht die zentrale Abwicklung sämtlicher aus innergemeinschaftlichen Fernverkäufen resultierenden Steuerpflichten im Sitzstaat. Dennoch ist das Verfahren in seiner aktuellen Form für die umfangreichen Transaktionsarten des grenzüberschreitenden E-Commerce nicht ausreichend. Daher beinhaltet der Vorschlag der Kommission auch die Erweiterung des OSS, und zwar um folgende Transaktionsarten:

  • Lieferungen an Nichtunternehmer von Waren (mit oder ohne Installation, steuerfrei oder steuerpflichtig), Waren an Bord von Transportmitteln sowie die Lieferung von Gas, Strom, Wärme oder Kälte
  • Lokale Lieferungen innerhalb eines Mitgliedstaats – ruhend oder bewegt – an Nichtunternehmer

Die geplante Ausweitung des OSS-Verfahrens ist eine sinnvolle Ergänzung um im Onlinehandel relevante Transaktionsarten. Für viele Steuerpflichtige, die ihre Waren über eigene Onlineshops – unabhängig von Marktplätzen – verkaufen, würde der OSS in der erweiterten Form zur Vermeidung von umsatzsteuerlichen Registrierungen im EU-Ausland führen. Allerdings ist zu beachten, dass grenzüberschreitende B2B-Lieferungen, die aus dem Ausland ausgeführt werden, nicht im Rahmen des ausgeweiteten OSS deklariert werden können. Somit würden auch diese Lieferungen weiterhin dazu führen, dass – analog zur heutigen Situation – lokale Registrierungspflichten bestehen bleiben würden, auch wenn eine innergemeinschaftliche Lieferung im Abgangsmitgliedstaat grundsätzlich steuerfrei ist.

Neues OSS-Verfahren zur Deklaration von Warenverbringungen in der EU

Wie eingangs erwähnt, sind vor allem die grenzüberschreitenden Fulfillment-Strukturen des E-Commerce dafür verantwortlich, dass auch nach Einführung des OSS-Verfahrens Registrierungspflichten im Ausland bestehen. Das liegt auch an den grenzüberschreitenden Warenumlagerungen, die zwischen den unterschiedlichen Lagerstandorten erfolgen. Umsatzsteuerlich handelt es sich hierbei um innergemeinschaftliche Verbringungen und Erwerbe, die in lokalen Umsatzsteuermeldungen zu deklarieren sind.

Um im Rahmen der ViDA-Initiative diesen Transaktionsarten Rechnung zu tragen, ist ein weiteres besonderes Besteuerungsverfahren für Warenverbringungen innerhalb der EU vorgesehen. Bei Anwendung dieser optionalen Sonderregelung können Steuerpflichtige ihre innergemeinschaftlichen Verbringungen sowie die korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerbe in dem besonderen Besteuerungsverfahren deklarieren. Registrierungspflichten in Lagerländern werden auf diese Weise vermieden. Die Abgabe der OSS-Meldungen für innergemeinschaftliche Verbringungen ist monatlich vorgesehen – und auch dann erforderlich, wenn keine Lieferungen im Berichtszeitraum stattgefunden haben.

Registrierungspflichten aufgrund innergemeinschaftlicher Verbringungen führen unter dem derzeit gültigen Rechtsrahmen in vielen Fällen zu umsatzsteuerlichen Registrierungen. Daher ist das neue besondere Besteuerungsverfahren aus Sicht des E-Commerce zu begrüßen, da es im Zusammenspiel mit den übrigen Maßnahmen zu einer signifikanten Reduktion der Registrierungspflichten führt.

Lokales Reverse-Charge-Verfahren zur Vermeidung der Registrierungspflicht in B2B-Fällen

Lokale Lieferungen innerhalb eines Mitgliedstaats an Unternehmer können derzeit – je nach Ausgestaltung der nationalen Vorschriften – zu einer Registrierungspflicht im betroffenen Land führen. Zur Reduzierung entsprechender Registrierungspflichten wird der bestehende Art. 194 MwStSystRL (Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie) modifiziert, der den Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger vorsieht, wenn der leistende Unternehmer nicht im Mitgliedstaat der Lieferung ansässig ist.

In diesem Fall würde die Registrierungspflicht für den leistenden Unternehmer in dem Mitgliedstaat entfallen, da die steuerliche Deklaration durch den Leistungsempfänger erfolgt. Die modifizierte Version sieht eine verpflichtende Umsetzung des Art. 194 MwStSystRL-Entwurf durch die Mitgliedstaaten vor. Zudem wird festgelegt, dass das Reverse-Charge-Verfahren nur dann anwendbar ist, wenn der Leistungsempfänger im Mitgliedstaat der Lieferung registriert ist.

Aus Sicht des grenzüberschreitenden E-Commerce komplettiert die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens das Maßnahmenpaket zur Umsetzung einer einzigen Mehrwertsteuerregistrierung, da die Regelung nationale B2B-Lieferungen abdeckt.

Was bedeutet das Maßnahmenpaket für den grenzüberschreitenden Onlinehandel?

Das vorgeschlagene Maßnahmenpaket der Kommission zur Umsetzung einer einzigen Mehrwertsteuerregistrierung ist umfassend und betrifft viele Bereich des geltenden Mehrwertsteuerrechts. Insbesondere die Ausweitung des OSS-Verfahrens, die Einführung des OSS für innergemeinschaftliche Verbringungen sowie die Ausdehnung der Lieferkettenfiktion können für die Steuerpflichtigen zu einer deutlichen Senkung der Befolgungskosten führen.

Obwohl einzelne Transaktionsarten, zum Beispiel innergemeinschaftliche Lieferungen über den eigenen Onlineshop, auch weiter zu lokalen Registrierungspflichten führen könnten, dürfte für viele Steuerpflichtige eine lokale umsatzsteuerliche Registrierung im EU-Ausland überflüssig werden.

Die geplante Reform hat nicht nur umfassende rechtliche Auswirkungen, sondern auch signifikante praktische und technische Implikationen für E-Commerce-Unternehmen. Auch wenn es sich gegenwärtig nur um einen Legislativvorschlag der Europäischen Kommission handelt, der noch ausgiebig durch die Mitgliedstaaten diskutiert wird, sollten sich Steuerpflichtige frühzeitig mit den Auswirkungen beschäftigen, um die Bedeutung für das eigene Geschäftsmodell zu beurteilen.

Das Maßnahmenpaket der Kommission hat allerdings nicht nur umfassende Auswirkungen auf die Steuerpflichtigen, sondern auch auf die Finanzverwaltungen. Daher ist fraglich, ob die Mitgliedstaaten einer Umsetzung zum 1. Januar 2025 in diesem Umfang zustimmen werden.

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