Onlinehändler sind nicht verpflichtet, per Telefon für ihre Kunden erreichbar zu sein. So urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 10. Juli 2019. Hintergrund ist eine Klage der deutschen Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gegen Amazon, dass das Unternehmen nicht ausreichend über eine telefonische Erreichbarkeit informiere. Die Luxemburger Richter sahen das nicht so, sondern halten eine Verpflichtung zur Erreichbarkeit per Telefon für „unverhältnismäßig“.
Soweit die aktuelle Rechtslage. Doch was bedeutet das nun für Onlinehändler? Aus unserer Sicht reagiert die Branche relativ unaufgeregt, zumal die Mehrzahl der Internethändler nach wie vor Servicerufnummern anbietet. Und das vermutlich auch weiterhin tun wird, auch wenn sie nicht dazu verpflichtet sind. Denn ein moderner Customer Service sollte neben seiner Effizienz vor allem eins sein: kundenorientiert. Das bedeutet, dass möglichst viele Kommunikationskanäle angeboten werden sollten, vom Call bis zu WhatsApp. Wir raten jedenfalls dazu, sich auf die Lebensgewohnheiten der User einzustellen. Je komfortabler der Service, desto zufriedener die Kunden. Und Erreichbarkeit spielt da eine wichtige Rolle.
Ein Chatbot beispielsweise ist immer erreichbar, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Und diese werden immer beliebter. Branchenkenner halten sie für eines der „Next Big Things“ in der Online-Welt, gerade auch als Ansprechpartner im Customer Service von Onlinehändlern. Der Siegeszug digitaler Sprachassistenten wie Siri oder Alexa ist ein Vorbote für die Akzeptanz der virtuellen Helfer im Customer Service. Aktuell werden sie noch vereinzelt eingesetzt, dabei kann ein guter Chatbot bis zu 80 Prozent aller eingehenden Service-Anfragen im Erstkontakt erledigen, ohne dass ein Mitarbeiter eingreifen muss. Sobald das allerdings notwendig wird, geht auch das einfach und schnell: Der Agent übernimmt die bisherige Chatbot-Kommunikation exakt dort, wo der Kunde mit seinen bisherigen Fragen steht und setzt den Dialog im Live-Chat fort. Wichtige Grundsatzregel für den Einsatz von Chatbots: Konzentration auf ihr Kompetenzfeld und rechtzeitige Übergabe an den Agenten, wenn dieses überschritten wird.
Noch einfacher für den Erstkontakt ist der Einsatz eines intelligenten FAQ-Centers. Die Sammlung der häufigsten Kundenfragen kann schnell und individuell installiert werden. Dabei zählt heute auch hier das Google-Prinzip: Online-Kunden möchten auch beim Shopping-Prozess so viel Information wie möglich, mit so wenig Aufwand wie nötig, erhalten. Deshalb reduzieren moderne FAQ-Center die Eingabemöglichkeiten von Suchbegriffen, ähnlich wie bei Google auf einen einzigen Suchwortschlitz im Online-Shop. Von dort aus filtert die intelligente Dialogerkennungs-Software im Hintergrund die passenden Kategorien und leitet die Frage zielgenau weiter, so dass sich ein virtueller Agent um die Beantwortung kümmern und damit den Dialog starten kann. Und das ist der entscheidende Unterschied zum Google-Prinzip: Die Suchmaschine liefert Suchergebnisse, das moderne FAQ-Center führt eine virtuelle Unterhaltung. Gelernte Funktionen wie Autosuggestion und die Möglichkeit zur Bewertung von Produkten und Prozessen lassen das FAQ-Center kontinuierlich lernen und besser werden. Moderne FAQ-Center sind heute darauf ausgerichtet, Kundenanfragen auf allen Kanälen in Echtzeit oder zumindest in Sekundenschnelle beantworten zu können. Auf der Grundlage einer tiefgreifenden Wissensbasis und mithilfe speziell für diese Zwecke entwickelte Customer-Service-Software können E-Mails, Briefe, SMS, Chats und Posts schnell und zuverlässig automatisch erkannt, zugeordnet und beantwortet werden. Durch den Einsatz von Audio- und Videochat sowie ein kundengerechtes automatisches Beschwerdemanagement sind die wirklich guten Kunden- und Servicecenter von heute das, was sie sein sollten: das Ohr zum Kunden. Und damit der einfache und schnelle automatische Helfer, den sich der Kunde wünscht. Ob mit oder ohne Servicenummer.
Inwieweit Onlinehändler vor dem Hintergrund des aktuellen EuGH-Urteils ihr telefonisches Servicenummer-Angebot reduzieren, bleibt abzuwarten. Alternativen gibt es, automatisierte ebenso wie „menschliche“. Dennoch ist die telefonische Erreichbarkeit nach wie vor einer der direktesten Zugänge ins Unternehmen. Und wenn man sich vor Augen hält, wie sehr Messaging-Dienste wie WhatsApp das Kommunikationsverhalten der Menschen verändern und dominieren, wird die Servicenummer so schnell nicht verschwinden – denn auch zur Erreichbarkeit per WhatsApp gehört schließlich eine Rufnummer.