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Brauchen Distanzhandels-Unternehmen einen Chief Digital Officer?

verfasst von Christian Milster

Dass aufgrund der Digitalisierung in nahezu jeder Branche bestehende Geschäftsmodelle komplett umgewälzt werden und dass echte digitale Transformation grundlegende Veränderungen für ein Unternehmen – nicht zuletzt auch für dessen Führungsriege – bedeutet, ist weder neu, noch eine Vision, sondern längst Realität. „Wer hier nicht mitgeht, wird bald überholt und abgehängt sein.“ (Stefan G. Gfrörer, Experte für E-Commerce und Digitale Transformation)

Gleichzeitig ist dieses Thema nur sehr schwer bis gar nicht greifbar. Denn was was genau heißt eigentlich „Digitalisierung“? Was verändert sich in meinem Unternehmen durch die Digitalisierung? Was gehört neben der IT eigentlich sonst noch dazu?

Und wer kann schon genau vorhersagen, wie sich in Zukunft die „schöne neue“ Welt, die Kundenwünsche, die Wertschöpfungskette und damit auch die Unternehmensprozesse ändern werden, welche die richtigen Schritte dafür sind und wie man diese bestmöglich einleitet?

Umso mehr verwundert es dann, dass bislang nur sehr wenige Unternehmen die Verantwortung für den digitalen Unternehmensumbau bei einem geeigneten, kompetenten und durchsetzungsstarken Manager – einem Chief Digital Officer (CDO) – bündeln.

„Unternehmen, deren DNA nicht das Online-Business ist, die jedoch, um zukünftiges Wachstum abzusichern, das digitale Geschäft ganzheitlich entwickeln wollen und das eng verzahnt über alle Kanäle (on- wie offline), benötigen einen CDO.“ (Stefanie Waehlert Chief Digital Officer bei TUI Deutschland, Quelle: http://www.gruenderszene.de/allgemein/chief-digital-officer-fachbeitrag)

Laut einer repräsentativen Umfrage von Digitalverbands bitkom ist jedoch „ […] die Funktion des Chief Digital Officers in der deutschen Wirtschaft so gut wie nicht verbreitet.“ Lediglich zwei Prozent der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten gaben an, einen CDO zu haben. Bei kleineren Unternehmen sei diese Funktion überhaupt nicht vorhanden. (Quelle: https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Chief-Digital-Officer-das-unbekannte-Wesen.html)

Heißt das nun, dass Unternehmen sich der Digitalisierung und der dazugehörigen Transformation nicht stellen? Nein, heißt es nicht. Denn viele Unternehmen haben der Relevanz und Bedeutung dieses Themas längst erkannt und versuchen nun, dieses in den Griff zu bekommen und effizient umzusetzen. Doch bislang weitgehend nur mit mäßigem Erfolg.

Die Ursachen hierfür sind so zahlreich wie vielschichtig. Einer der zentralen Gründe in diesem Kontext das Thema „CDO“.

Grundsätzlich ist es als absolut positiv zu bewerten, wenn die Geschäftsleitung bzw. der Vorstand eines Unternehmens erkannt haben, dass digitale Transformation kein Selbstläufer ist, sondern dass man jemanden mit umfassender digitaler Kompetenz und speziellen Managementfähigkeiten im Unternehmen braucht, der dieses Thema verantwortet, strukturiert vorantreibt und letztendlich umsetzt.

Doch lediglich das Wissen um die Bedeutung eines CDOs im Unternehmen und die Besetzung dieser Position bedeuten noch lange nicht, dass das Problem damit gebannt und die Digitalisierung des Unternehmens somit nachhaltig gesichert ist.

Denn bereits bei der personellen Besetzung der Position des CDO werden nicht selten gravierende Fehler gemacht.

Häufig werden schlichtweg die falschen Mitarbeiter zum „digitalen Häuptling“ eines Unternehmens erklärt.

Gerne macht man dann schon mal den E-Commerce-Manager oder Head of E-Commerce  für die digitale Unternehmensstrategie und deren Umsetzung verantwortlich. Die Gründe sind naheliegend: I.d.R. kann der E-Commerce Verantwortliche, gemeinsam mit seinem Team, die größte digitale Kompetenz im Unternehmen vorweisen. Zwangsläufig, denn „sein“ Geschäft ist digital getrieben. Er verantwortet den digitalen Vertrieb der Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens, für das er arbeitet. Zudem hat er zumindest einen tiefen Einblick in die digitale Vermarktung, wenn er diese nicht sogar selbst verantwortet. 

Auf Basis der von ihm bzw. seiner Abteilung erstellten Reportings weiß er darüber hinaus ziemlich genau, wie die digitale Kundschaft tickt – was funktioniert und was nicht. Und das alles ist i.d.R. in straffen, schlanken und digital ausgerichteten Prozessen organisiert. 

Um den von ihm verantworteten Geschäftsbereich voranzutreiben, muss er darüber hinaus permanent entsprechende Strategien dafür entwickeln und umsetzen können. Alles in allem doch eine ganz gute Basis.

Aber: In aller Regel ist der E-Commerce Leiter auf Abteilungsleiterebene angesiedelt und damit kein Mitglied der Geschäftsführung oder des Vorstands. Der CDO muss sich in seiner Funktion jedoch in und zwischen nahezu allen Abteilungen sowie im etablierten Unternehmensmachtgefüge durchsetzen und behaupten können. Denn digitale Transformation betrifft nicht nur alle Unternehmensbereiche, sondern verändert dabei nachhaltig Prozesse und lässt häufig völlig neue Geschäftsmodelle entstehen. Fehlt dem Chief Digital Officer ein entsprechendes Standing im Unternehmen und hat er nicht die benötigte Entscheidungskompetenz, die er zwingend für seine Arbeit braucht und der digitale Unternehmensumbau ist mit großer Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt.

Ein anderer beliebter Kandidat für den zu besetzenden Posten des Digitalchefs ist der IT-Manager oder CIO (Chief Information Officer). Und warum der CIO? Weil er zum einen den notwenigen technischen Hintergrund hat, um den digitalen Wandel des Unternehmens zu verstehen und zu verantworten.

Zum anderen ist der CIO – leider nicht immer, aber hin und wieder schon – in der Geschäftsführung angesiedelt, was ihn dann mit der erforderlichen Handlungsfähigkeit ausstatten sollte.

Doch auch wenn Technologie grundsätzlich der Enabler für die digitale Unternehmenstransformation ist, diese eigentlich erst ermöglicht, so umfasst der digitale Umbau eines Unternehmens doch sehr viel mehr als lediglich die technische Infrastruktur. Zudem ist Technik nicht gleich Strategie. Denn der Chief Digital Officer muss neben dem umfassenden Verständnis für Technologie auch über vertiefende Kenntnisse u.a. im E-Commerce, im mobilen Umfeld, über digitale Geschäftsmodelle, im digitalen Marketing, in der Unternehmenskultur und auch im Change Management verfügen. Er muss in der Lage sein, Strategisches und Operatives miteinander zu verbinden und muss dabei zu gleichen Teilen als Treiber und als Mediator agieren. Zumindest erste Erfahrungen in umfassenden Transformationsprozessen wären ganz klar von Vorteil. Ein CDO ist also ein Stratege, ein Umsetzer, ein Change Manager sowie ein Impulsgeber in einer Person.

Auch wenn ich mir darüber im Klaren bin, dass ich vielen CIOs an dieser Stelle Unrecht tue, so behaupte ich dennoch, dass die meisten CIOs inhaltlich eben nicht wie oben beschrieben aufgestellt sind. Und tiefgreifendes Technologiewissen im eigenen Fachgebiet reicht einfach nicht aus. Insofern würde die Besetzung der Position des CDO mit dem CIO m.E. viel zu kurz greifen.

Nachdem ich nun versucht habe darzulegen, was bei der Besetzung der Position des CDO nicht funktioniert und welche Fehler dabei häufig gemacht werden, möchte ich nun aber auch ein paar konkrete Vorschläge unterbreiten, die hoffentlich Abhilfe schaffen:

Grundsätzliche Anforderungen an die Kompetenzen eines CDO:

  • Der CDO sollte kein reiner Techniker sein, sondern muss Kompetenzen in verschiedenen Bereichen vorweisen können. Hierzu zählen u.a.: Betriebs- und Volkswirtschaft, Strategieentwicklung, Kommunikations- und Medienwissenschaften, E-Commerce, Mobile, Produktentwicklung, natürlich auch IT und noch so einiges mehr... 
  • Grundsätzlich ist es wichtig, dass der künftige CDO belastbare und langjährige Erfahrungen in der digitalen Welt in Führungspositionen gesammelt hat. 
  • Er sollte zudem über spezielle Managementfähigkeiten verfügen und muss sich, wie bereits erwähnt, als Stratege, ein Umsetzer, ein Change Manager sowie ein Impulsgeber in einer Person verstehen und dafür höchst unterschiedliche Fähigkeiten aufweisen. 

Folgende zentralen Aufgaben sollte ein CDO in jedem Fall angehen:

  • Konzeption einer veritablen Strategie zur Digitalisierung des Unternehmens sowie deren Umsetzung
  • Hinterfragen bestehender und Entwicklung neuer Business-Modelle
  • Entwicklung neuer, digitaler Produkte und Services
  • Prozessmanagement: Beleuchten jedes einzelnen Unternehmensprozesses und nachhaltige Verbesserung derselben
  • Wohldurchdachtes und professionell organisiertes Change Management:
  • >> Transformation der Unternehmensstruktur und –kultur
    >> Entwicklung neuer Formen der Zusammenarbeit

Die Aufgabe der Digitalisierung eines Unternehmens darf nicht in der zweiten oder dritten Unternehmensebene liegen, sondern muss ganz klar „hochrücken“. 

Sie muss daher weit oben in der Organisation angesiedelt sein, da sie sich, beginnend beim eigentlichen Geschäftsmodell, durch die gesamte Wertschöpfungskette und damit durch das gesamte Unternehmen und somit alle Abteilungen zieht.

Insofern sollte der CDO mindestens Mitglied der Geschäftsführung oder des Vorstands sein. Denn nur so, verfügt er über die erforderliche Handlungsfähigkeit.

Oder doch nicht?

Als Mitglied der Geschäftsführung bzw. des Vorstands befindet sich der CDO hierarchisch zwar direkt unterhalb des CEO und hätte somit deutlich mehr Entscheidungskompetenz, ist aber gleichzeitig auf einer Ebene mit u.a. dem Einkauf, der Finanzleitung, der IT-Leitung, dem Vertrieb/Marketing, dem Einkauf, dem Business Development etc.. Der CDO kann sich mit diesen Unternehmensbereichen zwar intensiv austauschen und ggf. auch Vorschläge unterbreiten, aber konkrete Weisungen kann er in diesem Kontext nicht erteilen.

Um es nochmal ganz deutlich zu sagen: Die digitale Transformation muss von der Unternehmensführung ausgehen. Sie hat die Aufgabe dieses Thema möglichst hoch zu priorisieren und sodann sehr genau eruieren, was Digitalisierung für das Unternehmen tatsächlich bedeutet – sowohl heute, als auch morgen.

Auf Basis dieser Erkenntnisse lässt sich dann ein konkretes Anforderungs- und Aufgabenprofil an bzw. für den zukünftigen CDO erstellen.

Wenn der digitale Unternehmensumbau nun also von der Unternehmensspitze ausgeht, so muss der CDO auch genau dort angesiedelt sein – auf einer Ebene mit dem CEO und nicht darunter.

In dieser Position hat der CDO die Aufgabe den CEO strategisch zu beraten, sich intensiv mit ihm auszutauschen, Impulse zu geben und auch Entscheidungen zu hinterfragen und ggf. ein Veto einzulegen. 

Das Verhältnis zwischen CEO und CDO sollte symbiotischer Natur sein. Während der CEO für das steht, was das Unternehmen jetzt ist, verkörpert der CDO das, was das Unternehmen zukünftig sein wird. Insofern ist der CDO das digitale Komplementär des CEO.

D.h. aber eben auch, dass der CDO mit nahezu denselben Entscheidungskompetenzen ausgestattet sein muss, wie der CEO. Denn nur so wäre der CDO direkt in jede strategische Entscheidung einbezogen und könnte auch direkt Einfluss darauf nehmen. 



Damit wäre der CDO definitiv ein "Störenfried, der überall reingucken will und damit kolossal nervt." (Quelle: Dwight Cribb, Geschäftsführer der gleichnamigen Personalberatung, www.cio.de)

Und genau das muss er auch sein. Denn echter Wandel steht selten in Einklang mit bedingungsloser Einvernehmlichkeit und Harmonie.

Dennoch ist in diesem Kontext aber auch wichtig, dass die Ideen und Impulse des CDO von der gesamten Geschäftsleitungs- bzw. Vorstandsebene mitgetragen werden. Der CDO sollte daher in der Lage sein, die Führungsriege von seinen Konzepten und Strategien zu überzeugen und sie auf die digitale Reise mitzunehmen. (Quelle: Thorsten Louis, Chief Digital Officer KAISER+KRAFT-Gruppe Stuttgart)

Kurzum: Der CDO muss ein fähiger, mit speziellen Fähigkeiten ausgestatteter Change Manager sein, der die Unternehmensdigitalisierung versteht, diese strukturieren, planen, vorantreiben kann. Als „digitales“ Pendant des CEO – mit denselben Entscheidungskompetenzen – und „nervender Störenfried“, der alles sehen und verstehen muss, kann er diese dann auch tatsächlich umsetzen.

Ein auf den ersten Blick nicht unbedingt beneidenswerter aber extrem spannender Job!

Anmerkung des Verfassers: Dieser Artikel ist in intensivem Austausch mit Martin Groß-Albenhausen (Stellv. Hauptgeschäftsführer des bevh) sowie in Abstimmung mit Stefan G. Gfrörer (Experte für E-Commerce und Digitale Transformation) entstanden.