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Arbeiten im E-Commerce

Das Jahr 2020 neigt sich dem Ende. Die Vorweihnachtszeit, und damit verbunden auch die wichtigste Zeit für den Handel, ist eingeläutet. Dennoch fühlt sich in diesem Jahr alles anders an. Durch die Corona Pandemie liegt ein enorm einschneidendes Jahr mit vielen Einschränkungen und Entbehrungen hinter jedem einzelnen Unternehmen. Dennoch möchte die Branche der Online- und Versandhändler die neu entstehenden Chancen im Auge behalten und offen sein für das, was am Markt passiert und an Veränderungen eintritt. Der bevh hat daher im Sommer 2020 im Rahmen einer repräsentativen Online-Umfrage die Einstellung der Bevölkerung zum E-Commerce generell und in einzelnen Aspekten beleuchtet.

Über einige Ergebnisse und die damit verbundene Bedeutung haben wir mit Martin Groß-Albenhausen, Stv. Hauotgeschäftsführer des bevh, unter dem Stichwort "Arbeiten im E-Commerce" gesprochen. Ein Interview von Christin Wehrstedt, bevh:

Die E-Commerce Branche stellt sich als hochinteressantes Arbeitsumfeld dar. Viele Felder werden hier bedient und die Zahl der digitalen Themen und Projekte als nur einer von vielen Teilbereichen scheinen kontinuierlich zu wachsen. Du hast dich seit Jahren für den Beruf Kaufmann im E-Commerce eingesetzt und diesen etablieren können. Wie gut wird der Ausbildungs-Beruf wahrgenommen und was glaubst du können wir vom Onlinehandel als Arbeitgeber in den kommenden Jahren erwarten?

Martin Groß-Albenhausen: Schon im ersten Jahr des neuen Ausbildungsberufes (2018) hat die Zahl der Auszubildenden die Erwartungen deutlich übertroffen. Die Arbeitgeberverbände hatten darauf gehofft, etwa 1.000 Verträge zu erreichen – tatsächlich waren es mehr als 1.200. Im zweiten Jahr konnten wir diese Zahl noch einmal deutlich auf 1.600 steigern. Und dann kam Corona. Wir haben noch keine endgültigen Zahlen, weil diese immer erst zu Beginn des Folgejahres vorliegen. Aber aus einzelnen IHK-Regionen hören wir, dass die Zahl mindestens gleich geblieben sei. Und das, obwohl die Zahl neuer Verträge in den kaufmännischen Ausbildungsberufen bis zu 15 Prozent eingebrochen ist. Wir sehen also, dass sich der Beruf immer besser etabliert.

Aber angesichts des Anteils, den der Onlinehandel allein am Einzelhandel hat, finde ich die Zahl noch viel zu niedrig. 2019 gab es gut 26.000 neue Ausbildungsverträge für Kaufleute im Einzelhandel. Das zeigt, wie viel Potential der neue Beruf allein in dieser Teilbranche noch hat. Anders gerechnet: Wenn jedes zehnte Unternehmen mit einem Onlineshop oder Marketplace-Verkauf ausbilden würde, könnten wir die Ausbildungszahl locker verzehnfachen. Und das wird zukünftig sicher auch passieren.



Die Civey Befragung zeigt auf, dass dennoch über 70 Prozent der Befragten über alle Altersklassen hinweg lieber im stationären Handel als im Onlinehandel arbeiten würden. Wie erklärst du dir dieses Ergebnis?

Martin Groß-Albenhausen: Das hat verschiedene Gründe. Ganz sicher ist das Berufsbild noch vielfach unbekannt. Jeder hat Verkäufer im Laden beobachtet, aber wer schaut schon in E-Commerce-Unternehmen hinein? Eltern, die Einfluss auf ihre Kinder nehmen, haben oftmals kaum mehr Vorstellung davon als, dass es „irgendwas mit Internet“ ist. Weiterhin werden Berichte über angeblich problematische Arbeitsbedingungen wahrgenommen. Und auch in den Schulen wird das Internet häufig noch kritisch dargestellt, also kommt auch von dort kein Rückenwind. Ich glaube aber, dass sich das rasch ändern wird. Mut machen mir Schüler-Projekte, in denen diese unternehmerisch handeln lernen. Vermarktung und Verkauf über das Internet sind dort regelmäßig übliche Vertriebswege. Wir werden bei den Ausbildungsplätzen vermutlich in den nächsten Jahren einen deutlich höheren Anteil von E-Commerce-Kaufleuten sehen. Dann treffen die Bereitschaft und Kenntnis der Schüler mit Abitur und mittlerem Schulabschluss auf deutlich mehr Angebote, weil der Onlinevertrieb überdurchschnittlich wächst.



Die Mehrheit der Befragten spricht sich auch dafür aus, dass Arbeitsplätze im stationären Handel erhalten bleiben sollen, gegenüber der Optionen, dass der Onlinehandel neue Arbeitsplätze schaffen könnte. Ist diese Bewertung nicht unrealistisch, wenn man betrachtet, dass der E-Commerce immer mehr Interessenten findet und die Digitalisierung und somit auch neue Geschäftsmodelle kontinuierlich voranschreiten?

Martin Groß-Albenhausen: Eine gewisse Nostalgie prägt auch diese Wunschvorstellungen. Aber es wäre falsch, die Tätigkeit im stationären Handel gering zu schätzen oder ihr keine Zukunftsfähigkeit zuzuschreiben. Sie kann im Gegenteil für den unabhängigen E-Commerce ein enorm wichtiger Faktor werden. Wer wäre näher am Kunden als der, der ihm buchstäblich den Arm um die Schulter legen könnte? Übersetzt bedeutet das, dass mit dem Wachstum des Onlinehandels Mitarbeiter im Ladengeschäft nötig werden, die einen wahrnehmbaren Unterschied ausmachen. Der Laden als Markenbotschafter und als Ort, um die Kunden besser zu verstehen, kann für den E-Commerce eine ideale Ergänzung darstellen. Es wird also weiter Verkaufsberater im Laden brauchen, aber nur im Tandem mit einem starken E-Commerce-Angebot.

Was glaubst du, ist der Hintergrund, dass dem stationären Handel noch der Vortritt gelassen wird, obwohl sich der Onlinehandel gerade in der Zeit der Pandemie als so wichtig erwiesen hat?

Martin Groß-Albenhausen: Zum großen Teil Unwissenheit um die spannenden Arbeitsfelder im E-Commerce. Und möglicherweise auch hoher Respekt oder sogar Berührungsangst vor einem scheinbar hochtechnisierten, IT-orientierten, virtualisierten, mindestens digitalen Umfeld. Onlinehandel ist „Distanzhandel“, und Nähe ist für die meisten Menschen ein emotional besser besetzter Begriff. Also mit Menschen und Waren zu tun zu haben, nicht mit Maschinen oder Bits und Bytes.

In den Gesprächen, die du mit unterschiedlichsten Mitarbeitern aller Abteilungen verschiedenster E-Commerce Unternehmen führst: Was sind die wichtigsten Argumente, warum die Mitarbeiter gerne im E-Commerce arbeiten?

Martin Groß-Albenhausen: Interessanterweise ist das, was dem E-Commerce häufig vorgeworfen wird, auch ein Aspekt, der von den Mitarbeitenden oft positiv hervorgehoben wird: Man sieht Erfolge, weil man alles tracken und messen kann. Ich höre immer wieder, dass dieses Gefühl, durch kleine Maßnahmen kontinuierlich besser zu werden, einen hohen Reiz ausmacht. Damit hängt zusammen, dass im E-Commerce auch der Wert kleiner und zum Teil lästiger Tätigkeiten dadurch sichtbar wird. Also zum Beispiel das Nachpflegen von Produktdaten, welches dann in besserer Conversion mündet. Oder eine Veränderung im Retourenprozess, der zu einer Verbesserung des Net Promoter Scores führt und damit eine Wertsteigerung zeigt.

Und abgesehen davon erleben die Azubis die ganze bunte Welt des E-Commerce – sowohl die rationalen, „linkshirnigen“ Analytics-Prozesse als auch die emotionalen, „rechtshirnigen“ Aktivitäten in der Shopgestaltung oder in Social Media. Es ist für jeden etwas dabei, und im Idealfall kann man sich nachher den Bereich aussuchen, der einem am besten liegt. Wer im E-Commerce kaufmännisch arbeitet, hat einen vielfältigen, modernen, immer wieder neuen und spannenden Beruf, in dem jedes Jahr neue Vorgehensweisen gemeinsam entwickelt werden. Viele loben die Selbständigkeit in agilen Organisationen und kaum ein anderer Handelsberuf ist derart innovationsgetrieben, international und – auch das ist für viele wichtig – besonders teamorientiert.

Vielen Dank für das Interview.