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E-Food it King. Aber gilt das auch für die Lieferung?

Dieser Beitrag erschien erstmals unter dem Titel „Viele E-Food-Spezialisten brauchen gute Paketdienste“ in der Lebensmittelzeitung, Ausgabe 41, vom 15. Oktober 2021, Seite 57. Wir bedanken uns für die freundliche Erlaubnis der Lebensmittelzeitung, ihn an dieser Stelle zeigen zu dürfen. 

Man mag ihn noch kaum wahrnehmen, aber sein Potential ist riesig: Der digitale Handel mit Konsumgütern des alltäglichen Bedarfs, besonders Lebensmitteln, wächst rasant. Daten des bevh weisen für das erste Halbjahr 2021 bei Lebensmitteln einen Umsatz-Anstieg von 50,7 Prozent aus, im Vergleichshalbjahr 2020 waren es 64,4 Prozent. Bei diesen Perspektiven stört es auch nicht­­­, dass die Onlinedurchdringung des gesamten Lebensmittelmarktes noch recht niedrig ist. Viel wichtiger ist die Erkenntnis: Die Verbraucher kaufen heute nicht mehr nur zu bestimmten Anlässen im E-Commerce ein, sondern auch für die tägliche Grundversorgung.

Entsprechend gut sind die Wachstumsaussichten für die Händler, wenn da nicht die Sache mit der Zustellung wäre. Wie die Ware zum Kunden gelangt, unterscheidet sich nämlich je nach Anbieter stark: Da sind zum einen die großen Lieferdienste wie Rewe, Picnic oder Amazon Fresh, die eine eigene Lieferflotte unterhalten. Da sind zum anderen die jungen Expresslieferdienste wie Gorillas, Flink & Uber Eats, die den Großen mit Muskelkraft und Fahrrad die Innenstädte streitig machen wollen.

Daneben gibt aber noch eine dritte Gruppe, die weniger in der Offentlichkeit steht: Die Rede ist von den vielen kleinen bis mittelständischen Versandhändlern, die zwar nicht das Sortiment eines Supermarkts führen, sich aber eine eigene, attraktive Nische zugelegt haben. Die Vielfalt dieser Händler ist enorm und reicht von Versendern edler Weine über regionale Erzeuger von Spreewaldgurken bis zu Biohöfen, die ihr Urgetreide per Internet direktvertreiben. Was sie alle von den Lieferdiensten unterscheidet, ist das Fehlen einer eigenen Zustellung. Stattdessen wird der Versand von einem KEP-Dienstleister übernommen. Es ist ein Unterschied, der im Lebensmittel-Onlinehandel die Welt bedeuten kann.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Die deutschen KEP-Dienstleister müssen sich nicht verstecken. Während der Pandemie hat die Branche gezeigt, dass sie auch unter widrigen Bedingungen die Versorgung der Menschen aufrecht halten kann. Je normaler es jedoch für die Kunden wird, Waren des täglichen Bedarfs online zu bestellen, desto spezieller werden auch ihre Erwartungen an die Zustellung von Lebensmitteln.

Im Online-Lebensmittelhandel gilt daher mehr noch als in jeder anderen Branche: Einkaufserlebnis ist gleich Versanderlebnis. Das liegt daran, dass Lebensmittel eine Produktkategorie wie keine andere sind: Bestellen sich Kunden Schuhe, die nicht recht passen, wird das Paar zurückgeschickt und ein anderes probiert. Das ist nicht weiter tragisch, schließlich kauft man Schuhe nicht jede Woche ein und wenn man mal doch neue braucht, sollten sie bitte passen. Nicht so bei Lebensmitteln. Hier sind Händler darauf angewiesen, dass ihre Kunden gewohnheitsmäßig und regelmäßig zu ihnen zurückkehren. Hat sich ein Kunde über die ersten 19 Pakete gefreut, findet im Zwanzigsten aber zerbrochene oder zerquetschte Ware vor, ist es mit der Kundenloyalität schnell vorbei.

Die (Schnell-)Lieferdienste wissen das nur zu gut. Anders als kleine Versender führen sie ihre Lieferflotte selbst – ob auf vier oder nur zwei Rädern – und können das Versanderlebnis bis zum Moment der Paketübergabe selbst steuern. Statt in einem Paket werden dem Kunden die Lebensmittel dann in einer schick bedrucken Einkaufstüte überreicht, zu einem Zeitpunkt, den der Kunden wählt, nicht der Überbringer. Und wenn ein Produkt auf dem Weg kaputt gegangen sein sollte, kann es dem Boten gleich wieder mitgegeben werden.

Natürlich hinkt der Vergleich zwischen den Lieferdiensten und KEP-Dienstleistern ein wenig. Supermärkte konkurrieren online mit ihren eignen Filialen, und stehen unter großem Druck, den Kunden an der Haustür ein ähnlich angenehmes und service-orientiertes Erlebnis zu bereiten, wie in einem echten Supermarkt.

Dass KEP-Dienstleister den Lebensmittel-Bestellern kaum ein ähnliches Versanderlebnis schaffen können, kann man hingegen als verschlafene Chance bezeichnen. Dabei hatten sie es einst in der Hand, innovativ am Markt voranzugehen. Innovativ waren sie dann zwar auch, aber auf eine engsichtige Weise: Statt neue Konzepte und Ideen zu entwickeln, haben sie lieber weiter in bestehenden Systemen und Prozessen gedacht und versucht, diese zu optimieren. Ein Beispiel: Das „Milchmann-Prinzip“ von Picnic ist so genial und einfach, dass es jemandem schon früher hätte einfallen müssen. Wer aber jeden Tag im Universaldienst einzelne Adresse bedienen muss, denkt nicht an solche Konzepte. Noch ein Beispiel: Die Zustellung per Fahrradkurier. Wer hat die größte Flotte an Fahrradboten in Deutschland? Sicher die Post, für Briefsendungen. Dort wird aber weiter tourisiert und nicht über andere Auslastungen für die Fahrräder und Boten nachgedacht, obwohl die Briefmenge permanent sinkt.

Fakt ist: Die Zustellung im Lebensmittel-Onlinehandel ist ein Lehrstück der Sprunginnovation. Der Markt hat viel Platz für mehr Wachstum, aber auch neue Logistiker und neue Geschäftsmodelle. Alle beteiligten Wertschöpfungspartner sind gut beraten, dies ernst zu nehmen.