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E-Commerce im Wahlkampf – Die bevh-Wahlprogrammanalyse zur Bundestagswahl 2017 Teil 2: Das Programm der FDP

zusammengestellt von Sebastian Schulz

Am vergangenen Wochenende machte FDP-Chef Christian Lindner in einem Interview deutlich, dass er die Gemeinsamkeiten zwischen seiner Partei und den Sozialdemokraten schwinden sieht. Ein Vergleich beider Wahlprogramme bestätigt diesen Befund. Während die SPD einer weiteren staatlich gelenkten Umverteilung und einer überproportionalen Aufwertung von Arbeitnehmerrechten das Wort redet, stellen die Liberalen erwartungsgemäß die Ertüchtigung des Einzelnen, das eigene Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen, in den Vordergrund. Inwieweit diese strukturellen Unterschiede doch unter einen Hut zu bekommen sind, wird sich – wenn überhaupt – erst nach der Wahl zeigen.

Geht es nach den Liberalen, ist Bildung die Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Die ersten zehn Seiten des Wahlprogramms der FDP widmen sich ausschließlich diesem Thema; vom „Mondfahrtprojekt weltbeste Bildung“ über lebenslanges Lernen bis hin zu dem Vorsatz, Medienkompetenz bereits ab der KiTa vermitteln zu wollen.

„Freie Demokraten verstehen [sich daneben] als Anwalt der neuen Möglichkeiten der Digitalisierung“ (S. 19). Zumindest auf den ersten Blick konsequent ist hiernach die Forderung zur Errichtung eines Digitalministeriums, das zu einer schlankeren und effizienteren Regierung führen soll (S. 83). (Anm.: Mir scheint ja eine solche künstliche Aufspaltung in analoge und digitale Welt mittlerweile als überaus anachronistisch. Analoge und digitale Sachverhalte müssen zusammen gedacht und ganzheitlich politisch bewertet werden. Die erhoffte Reduzierung des (zutreffend beklagten) Kompetenzgerangels zwischen den unterschiedlichen, für Digitalisierungsthemen zuständigen Bundesministerien, würde durch ein Digitalministerium jedenfalls nicht erreicht.)

Weitere Aspekte, die die Digitalisierung im Allgemeinen bzw. den Digital Commerce konkret betreffen, finden sich im Wahlprogramm der FDP an unterschiedlichen Stellen. Zu den aus meiner Sicht wichtigsten Punkten zählen dabei:

  • Ladenöffnungszeiten (S. 16); „Damit es nicht mehr nur Online-Anbietern, sondern auch traditionellen Ladengeschäften möglich wird, ihre Waren rund um die Uhr zu verkaufen“, setzt sich die FDP für flexible Ladenöffnungszeiten ein. Das allgemeine Verkaufsverbot für den Einzelhandel an Sonntagen wie auch „andere Verbote“, Dienstleistungen an Sonn- und Feiertagen anzubieten, sollen aufgehoben werden. (Anm.: Nach dieser Maßgabe wäre das weiterhin in der Schwebe befindliche Verbot von Callcenter-Leistungen an Sonn-und Feiertagen mit der FDP nicht zu machen. Auch der beklagenswerte Kampf des Online-Handels um die ausnahmsweise Zulässigkeit der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung, z.B. in der Vorweihnachtszeit, fände hiernach ein Ende.)
  • Hinsichtlich der Bekämpfung des sog. Geoblocking, d.h. zu den Plänen der EU-Kommission, den Abschluss eines (Kauf-)Vertrages im Onlinehandel nicht vom Aufenthaltsort des Käufers abhängig machen zu dürfen, wäre eine noch deutlichere Positionierung die Liberalen wünschenswert gewesen. Zwar wird in erfreulicher Deutlichkeit klargestellt, dass auch die Bestrebungen für einen einheitlichen Europäischen Binnenmarkt nicht dazu führen dürfen, dass der Grundsatz der Vertragsfreiheit in Frage gestellt wird (S. 19). Gefolgt wird dieses Bekenntnis zur Privatautonomie jedoch von der nebulösen Einschätzung, dass es in einem gemeinsamen Binnenmarkt keine Rolle spielen könne, „von welchem Ort aus Verbraucher auf Internetseiten zugreifen, um beispielsweise ein Hotel für den Urlaub zu buchen oder in einem Online-Shop einzukaufen.“ (Anm.: Das spielt eine gewaltige Rolle, liebe FDP. Ob Logistik, Paymentmix, Customer Service, unterschiedliche Gewährleistungsrechte, Informationspflichten, usw. usf.; die Gründe, für oder gegen grenzüberschreitenden Handel sind überaus zahlreich und haben mit Diskriminierung nichts zu tun.)
  • Deutlicher werden die Liberalen zur Frage eines möglichen Verbots des Rx-Versands, d.h. des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Ein Pauschalverbot des Rx-Versandhandels wird abgelehnt, bei gleichzeitiger Anmahnung fairer Rahmenbedingungen zwischen inländischen stationären Apotheken und in- und ausländischen Versandapotheken (S. 48).

Schon fast traditionell und auch insoweit umso weniger nachvollziehbar offenbart auch das Wahlprogramm 2017 dort Schwächen, wo Fragen des Datenschutzes aufgeworfen werden. Die im Grundsatz nicht zu beanstandende Forderung nach einer umfassenden Verfügungsgewalt des Einzelnen über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten, wird von den Liberalen offenbar weiterhin und damit weiterhin schlicht (rechts-)irrig als prinzipieller Einwilligungsvorbehalt verstanden (S. 37, „Opt-In“). Von einer Partei, die das Streben nach einem angemessenen Ausgleich von im Zweifel auch gegenläufigen Interessen unterschiedlicher Grundrechtsträger in der DNA trägt, sollte man im Jahr 2017 eigentlich mehr erwarten dürfen. Ein strikter Opt-In-Vorbehalt würde das ohnehin schon antiquiert daherkommende datenschutzrechtliche Verbotsprinzip auf die Spitze treiben, wäre hiernach doch eine Datenverarbeitung auf Grundlage gesetzlicher Erlaubnistatbestände nicht (mehr) statthaft. Dass aber auch die Daten verarbeitende Wirtschaft Grundrechtsträger und insoweit an einer Datenverarbeitung berechtigt ist bzw. sein kann, scheint bei den Verfassern des FDP-Wahlprogramms weiterhin nicht angekommen zu sein.

Deutlich besser sind da die Vorschläge für mehr Bürokratieabbau. Das Thema, dass schon seit jeher zur liberalen Kernmaterie gehört, findet auch im aktuellen Wahlprogramm an verschiedenen Stellen seinen Niederschlag: 

  • Eingeführt werden soll etwa eine verbindliche Mittelstandsklausel, auf Grundlage derer neue Gesetze und Verordnungen auf ihre Verträglichkeit für KMU hin überprüft werden sollen (S. 18).
  • Auch soll der gegenwärtig geltende und in der Praxis nicht selten zu Liquiditätsproblemen führende Grundsatz der Soll-Besteuerung im Umsatzsteuerrecht durch die Ist-Besteuerung ersetzt werden (S. 17). Ein schon heute denkbarer hierauf gerichteter Antrag des Unternehmens würde so überflüssig.
  • Die degressive AfA für bewegliche Wirtschaftsgüter soll wiedereingeführt werden (S. 73). Für digitale Anlagegüter wie Hard- und Software sollen einheitliche und verkürzte Abschreibungsfristen von höchstens drei Jahren gelten.
  • Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit demMindestlohn sollen vereinfacht werden (S. 82).

Ohnehin setzt die FDP auch im Bereich Arbeit ganz auf (weitere) Flexibilisierung. „Überflüssige Regulierung“ bei der Zeitarbeit soll abgeschafft werden, um gerade die im Zuge der Digitalisierung zunehmende Projektarbeit zu erleichtern (S. 31). Anstelle von gesetzlichen Vorgaben für gleiche Bezahlung „vom ersten Tag an“, setzt die FDP auf Equal-Pay-Lösungen der Tarifpartner. Die Weiterentwicklung der Höchstarbeitszeit von acht bzw. zehn Stunden täglich hin zu einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von max. 48 Stunden soll Stechuhren den Kampf ansagen. Dem auch in unserer Branche zu beklagenden Fachkräftemangel will die FDP durch eine schnellere und unbürokratischere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse begegnen (S. 35).

So viel für den Moment zum Wahlprogramm der FDP. Nächste Woche wenden wir uns den Grünen zu.